Nachdem die Nato diese Woche mitgeteilt hatte, dass ihre schnelle Eingreiftruppe NRF (Nato Response Force) von 40.000 auf mehr als 300.000 Soldaten zu erhöhen, haben die USA noch einen draufgelegt und ihre größte militärische Expansion in Europa seit dem Kalten Krieg angekündigt. Unter anderem bauen die US-Truppen erstmals eine ständige Präsenz in Polen auf. "Wir gehen in die Offensive", sagte US-Präsident Joe Biden am Mittwoch bei der Eröffnung des Gipfel-Treffens in Madrid. "Wir beweisen, dass die Nato heute nötiger ist als je zuvor".
Doch während die US-Regierung die größte militärische Expansion in Europa seit dem Kalten Krieg vorantreibt, bemüht sie sich zugleich, die Aufmerksamkeit der Nato auch auf China zu lenken. Dies wurde bei der Veröffentlichung des aktualisierten "Strategischen Konzepts" der Nato deutlich, einer Aufgabenbeschreibung des Bündnisses für das kommende Jahrzehnt. In der letzten Version aus dem Jahr 2010 war China noch nicht erwähnt worden, aber seitdem ist die wirtschaftliche und militärische Macht stärker in den Fokus gerückt.
Die USA haben drängen ihre Verbündeten dazu, China stärker zu konfrontieren, auch weil die Besorgnis über Pekings Absichten gegenüber Taiwan und im indopazifischen Raum wächst. In dem aktualisierten "Strategischen Konzept" heißt es, China bedrohe die "Interessen, die Sicherheit und die Werte der Nato" durch Cyberoperationen und seine Kontrolle über Technologien, kritische Infrastrukturen, strategische Materialien und Lieferketten. Außerdem heißt es, dass die Vertiefung der Beziehungen zwischen China und Russland "unseren Werten und Interessen zuwiderläuft".
Die USA werden ihre derzeitige Truppenstärke von 100.000 Mann in Europa aufstocken und den Nato-Verbündeten mehr militärische Ausrüstung zur Verfügung stellen. Zu den zusätzlichen Truppen gehören rotierende Einsätze in Rumänien und im Baltikum sowie ein ständiger Armeestützpunkt und andere Einheiten in Polen, so das Weiße Haus. Bisher haben die USA und andere Verbündete Truppen in jenen Nato-Länder, die einst unter sowjetischer Herrschaft standen, nur vorübergehend stationiert. Dies ändert sich nun.
Die neuen Pläne sehen auch die Entsendung zusätzlicher Marinezerstörer nach Spanien, einer Kurzstrecken-Luftabwehrbatterie nach Italien und zweier Geschwader hochmoderner F-35-Kampfjets nach Großbritannien vor. Rumänien soll einen zusätzliche Brigade erhalten, die an der gesamten Ostflanke eingesetzt werden könnte, zitiert das Wall Street Journal Beamte der Regierung. Auch wird das Pentagon nach Angaben von Regierungsvertretern verstärkt Panzer-, Luftverteidigungs- und Sondereinsatzkräfte in die baltische Region entsenden.
Das Pentagon wird die Zahl der Soldaten in Deutschland um mehr als 600 erhöhen und die Luftverteidigung und andere Unterstützungsmaßnahmen für die Nato verstärken, heißt es in einer Erklärung. Nato-Vertreter haben erklärt, dass das Bündnis unter anderem seine Luftverteidigung verstärken muss. "Diese Streitkräfte - die ersten ständigen US-Streitkräfte an der Ostflanke der Nato - werden unsere Kommando- und Kontrollfähigkeiten, die Interoperabilität mit der Nato und die Verwaltung der bereitgestellten Ausrüstung verbessern", so das Weiße Haus.
Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow erklärte als Reaktion auf das Vorgehen der USA, Moskau werde ausgleichende Maßnahmen ergreifen. "Ich glaube, dass diejenigen, die solche Entscheidungen vorschlagen, sich der Illusion hingeben, sie könnten Russland einschüchtern und irgendwie zurückhalten. Das wird ihnen nicht gelingen", hießt es am Mittwoch in einem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti veröffentlichten Kommentar des Ministers.
"Die Ukraine kann so lange auf uns zählen, wie es nötig ist", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach den ersten Treffen des Gipfels im Namen aller Mitglieder. Die Verbündeten seien auf einen langen Zeitraum vorbereitet. Der ukrainische Präsident Zelensky hat die westlichen Verbündeten um mehr Hilfe gebeten und davor gewarnt, dass der strenge ukrainische Winter es seinen Truppen erschweren würde, ihre Stellungen zu verteidigen und die Nachschublinien aufrechtzuerhalten.
Die USA hatten als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine weitere 20.000 Soldaten nach Europa entsandt, sodass sich die Gesamtzahl der US-Truppen in Europa bereits auf etwa 100.000 beläuft. Die am Mittwoch in Madrid von den USA verkündete weitere Aufstockung der Truppen beläuft sich nach Angaben des US-Militärs auf etwa 1.500 neue, permanente oder semipermanente Kräfte. Dazu gehören nicht nur etwa 280 Soldaten zur Unterstützung des neuen ständigen Armeehauptquartiers in Polen.
Hinzu kommen weitere 625 Soldaten für ein Hauptquartier einer Luftabwehrartilleriebrigade, ein Luftabwehrbataillon und ein Hauptquartier eines Kampfunterstützungsbataillons in Deutschland sowie etwa 65 Soldaten für eine Luftabwehrbatterie mit kurzer Reichweite in Italien. Die USA werden mit der spanischen Regierung zusammenarbeiten, um zwei weitere Zerstörer in den Hafen von Rota zu bringen, die insgesamt etwa 600 zusätzliche Besatzungsmitglieder aufnehmen sollen.
Auf dem Gipfeltreffen der G7-Staaten Anfang der Woche hatte die US-Regierung bereits erklärt, sie werde der Ukraine auch ein modernes Raketenabwehrsystem, zusätzliche Artilleriemunition und Radarsysteme zur Verfügung stellen. Die neuen Zusagen kommen zu einem Zeitpunkt, da die Nato die Aufnahme Finnlands und Schwedens vorbereitet. Die Einigung kam am Dienstag zustande, nachdem Bedenken der Türkei hinsichtlich des Umgangs von Finnland und insbesondere Schweden mit mutmaßlichen kurdischen Terroristen ausgeräumt wurden.
Biden trat dann am Mittwochmorgen mit Stoltenberg auf, der sagte, die Entwicklung zeige, dass der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem Versuch, die Türen der Nato zu schließen, gescheitert sei. "Er bekommt das Gegenteil von dem, was er will", sagte Stoltenberg. "Er will weniger Nato. Präsident Putin bekommt mehr Nato." Biden sagte, es sende eine unmissverständliche Botschaft aus, dass die Nato stark und geeint ist und dass die während des Gipfels unternommenen Maßnahmen die kollektive Stärke ausweiten würden.