Politik

Oberstes Beschlussgremium der Ärzte knickt gegen Pharmaindustrie ein

Lesezeit: 2 min
14.01.2014 00:12
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bewertet regelmäßig neue und bereits im Markt eingeführte Medikamente auf ihren Nutzen hin. Von dieser Bewertung hängen die Preise ab, die die Pharmaindustrie verlangen kann. Aus Angst vor Klagen will der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses nun aber keine bereits am Markt existierenden Medikamente mehr bewerten.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Das wichtigste Organ der Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser in Deutschland beugt sich der milliardenschweren Pharmaindustrie. Der Chef des Gemeinsamen Bundesausschuss (B-GA), Josef Hecken, will sein Institut vor Klage der Pharmariesen bewahren und übt Selbstbeschneidung. Medikamente sollen ihm zufolge zukünftig nicht mehr nachträglich auf ihren Nutzen hin untersucht werden, so Hecken. So sollen Klagen der Pharmahersteller gegen den B-GA verhindert werden.

Nutzen bestimmt Preise

Medikamente auf dem deutschen Markt werden vom G-BA auf ihren Nutzung hin bewertet. Je größer der Nutzen im Vergleich zu anderen Medikamente in einem Bereich der Anwendung, desto höhere Preise kann die Pharmaindustrie verlangen. Die Bewertung dieser Medikamente erfolgt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Dieser ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen etc. So werden alle neu zugelassenen Medikamente seit 2011 vom B-GA einer Nutzenbewertung unterzogen. Aber auch schon am Markt befindliche Medikamente können vom G-BA auf ihren Nutzen hin überprüft werden.

Diese Bewertung der Medikamente am Bestandsmarkt hält der Chef des G-BA, Hecken, jedoch für eine unnötige „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Bei einem großen Teil der betroffenen Arzneimittel sei die Pa­tentlaufzeit bereits weit fortgeschritten und die Medikamente in der Versorgung flächendeckend etabliert, sagte Hecken der Pharmazeutischen Zeitung.

Klagewelle droht

Allerdings gibt es einen noch viel relevanteren Hintergrund für die Forderung Heckens diese Bewertung am Bestandsmarkt zu beenden. Auf die Frage eines Spiegel-Reporters, ob er vor der Pharmaindustrie eingeknickt sei, antwortete Hecken:

„Unsinn, ich bin einfach pragmatisch. Mir war klar: Mit der Bewertung von älteren Arzneimitteln reiten wir ein totes Pferd. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat im Novartis-Verfahren angedeutet, dass eine Pharmafirma, wenn einer ihrer Blockbuster bei einer Überprüfung negativ abschneidet, unter Umständen gegen den G-BA klagen darf. Das heißt, meine Rechtsabteilung wäre jahrelang mit Prozessen beschäftigt. Es gibt Wichtigeres zu tun.“

Novartis hatte beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Dezember 2012 Klage gegen den G-BA erhoben. Der G-BA hatte im Juni 2012 entschieden, die so genannten Gliptine zur Behandlung von Diabetes mellitus zu untersuchen. Auch Novartis sollte zur Nutzenbewertung zweier bereits auf dem Markt befindlicher Arzneimittel ein entsprechendes Dossier bei G-BA einreichen. Die Klage von Novartis wurde zwar inzwischen abgewiesen, aber dennoch fürchtet Hecken Nachahmer unter den Pharmariesen, vor allem, wenn die Nutzungsprüfung im Nachhinein schlecht ausfällt. Dies würde nachträglich den Preis für die Medikamente senken und die Pharmaunternehmen immense Gewinne kosten.

Pharmaindustrie setzt sich durch

Heckens Forderung, die Nutzenbewertung am Bestandsmarkt zu beenden hat bereits Gehör gefunden. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es diesbezüglich: „Wir werden den gesamten Bestandsmarktaufruf (§35a Abs. 6 SGB V) beenden. Dies gilt auch für laufende Verfahren.“ Bis wann dies geschehen soll, ist noch nicht klar. Doch wird die Pharmalobby keine Mühen scheuen, dass die Politik dem schnell nachkommt.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kampf gegen Monopole: Europas Schlüsselrolle im Kampf gegen Big Tech und für den Klimaschutz
21.12.2024

Teresa Ribera steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die sozialistische Vizepremierministerin Spaniens wurde im September von der...

DWN
Finanzen
Finanzen Nach Trumps missglücktem Finanztrick: Stillstand der US-Regierung doch noch abgewendet
21.12.2024

Der US-Kongress hat einen drohenden Stillstand der Regierungsgeschäfte im letzten Moment abgewendet. Nach dem Repräsentantenhaus...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Griechenlands Wirtschaft boomt: Erfolgreiche Steuerreformen und starke Investitionen treiben den Aufschwung
21.12.2024

Griechenlands Wirtschaft überrascht: Für 2025 erwartet das Land einen Haushaltsüberschuss von 13,5 Milliarden Euro – mehr als doppelt...

DWN
Panorama
Panorama Winterurlaub in Gefahr: Weniger Gäste in den Alpen erwartet
21.12.2024

Die Alpenregion, ein traditionell beliebtes Ziel für Wintersport und Erholung, steht in der neuen Saison vor Herausforderungen. Weniger...