Die Regierungsgegner in der Ukraine geben ihre Proteste auch nach der jüngsten Gewalteskalation nicht auf. Am Mittwoch strömten erneut Demonstranten – viele von ihnen maskiert und in Kampfkleidung – auf den umkämpften Unabhängigkeitsplatz (Maidan) der Hauptstadt Kiew.
Dort waren sie in der Nacht zuvor von einem massiven Polizeiaufgebot zurückgedrängt worden. Die Gegend glich einem Schlachtfeld. Die Zahl der Toten stieg nach offiziellen Angaben auf 25 (mehr hier). Damit erlebte die ehemalige Sowjetrepublik die gewaltsamsten Auseinandersetzungen seit ihrer Unabhängigkeit vor mehr als 20 Jahren.
Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht, ein Krisentreffen von Regierung und Opposition in der Nacht brachte nur gegenseitige Schuldzuweisungen. Weitere Gespräche mit Präsident Viktor Janukowitsch sind nach Angaben des Oppositionspolitikers Vitali Klitschko geplant.
Am Morgen nach den Straßenschlachten rüsteten sich die Demonstranten mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails offenbar schon für die nächste Konfrontation. Sie rückten von einer anderen Seite als zuvor auf den Unabhängigkeitsplatz vor, während die Polizei noch die alten Protestlager räumte. Über dem Maidan hing weiter eine schwarze Rauchwolke. Mit immer mehr brennenden Barrikaden versuchten die Demonstranten, ein weiteres Vorrücken der Polizei zu verhindern. Nach stundenlangen Straßenschlachten hatten die Sicherheitskräfte am Morgen rund ein Drittel des symbolträchtigen Platzes im Zentrum Kiews unter ihre Kontrolle gebracht.
Seit Ausbruch der Gewalt am Dienstag wurden nach Angaben von Polizei und Opposition Hunderte Menschen verletzt, Dutzende von ihnen schwer. Unter den Toten waren den Behörden zufolge neun Polizisten.
In der Nacht hatten Demonstranten gepanzerte Fahrzeuge mit Brandsätzen beworfen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Demonstranten Steine auf Polizisten schleuderten, die ihrerseits Schlagstöcke einsetzten. Wasserwerfer wurden mit Feuerwerkskörpern beschossen (hier). Aus dem Gewerkschaftshaus am Maidan, das von der Opposition als Hauptquartier genutzt wurde, stiegen Flammen auf, mehrere Etagen brannten lichterloh. In anderen Städten im Westen der Ukraine haben Demonstranten Verwaltungsgebäude besetzt.
Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch demonstrieren bereits seit November gegen dessen Kehrtwende in der Außenpolitik des hoch verschuldeten Landes. Janukowitsch hatte ihren Zorn auf sich gezogen, weil er einen Handelspakt mit der Europäischen Union kippte und stattdessen Milliardenhilfen von Russland akzeptierte. Die Demonstranten fordern eine stärkere Anbindung an die EU.
Westliche Regierungen wie die USA und auch Deutschland fordern vom Präsidenten Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten. Die Regierung in Moskau spricht dagegen von unzulässiger Einmischung in der Ukraine. Präsident Wladimir Putin ließ erklären, dass Russland auch künftig nicht intervenieren werde. Die Ukraine steht vor einer Zerreißprobe zwischen Ost- und West-Orientierung.
In Deutschland brachte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder als Vermittler ins Spiel. Es müsse eine Lösung gefunden werden, mit der sowohl die Ukraine als auch Russland und die EU leben könnten, sagte Gysi im Deutschlandfunk. „Vielleicht muss man mal Leute heranziehen, die gut mit Putin sprechen können“, sagte Gysi. „Bei allen meinen sonstigen Vorbehalten: Wie wär‘s mit Gerhard Schröder?“
Bisherige Gespräche der Konfliktparteien in der Ukraine blieben ergebnislos. Bei einem Treffen habe man sich nicht auf eine friedliche Lösung verständigen können, sagte der ehemalige Box-Weltmeister Vitali Klitschko nach einem Gespräch mit Janukowitsch. Er habe das Gespräch beendet, nachdem der Präsident eine bedingungslose Räumung des Maidan gefordert habe.
Janukowitsch verlangte von den Oppositionsführern zugleich, sich von radikalen Kräften zu distanzieren. Der geschäftsführende Ministerpräsident Serhij Arbusow bezeichnete die Proteste vom Vortag als Umsturzversuch. Es sei nicht darum gegangen, ein Zeichen für die Demokratie setzen, sagte er. Vielmehr würden die Menschen manipuliert, um gewaltsam einen Regierungswechsel herbeizuführen.