Die Europäische Zentralbank (EZB) gerät wegen der Durchführung des Banken-Stresstests unter Druck: Bisher wurde eher unter der Hand gegrummelt, dass einige Abläufe höchst undurchsichtig seien. Die FAZ berichtete über den Unmut in Bankenkreisen über die Bestellung des US-Beratungsunternehmens Oliver Wyman: „Da gibt es bestimmt Gesprächsbedarf“, sagte ein nicht namentlich genannter Banker der FAZ. Viele sehen offenbar eine klaren Interessenskonflikt, den Oliver Wyman im Hinblick auf die europäischen Bankenlandschaft hat: Das Unternehmen berät gleichzeitig die EZB und die eindeutig mit der EZB als Bankenaufsicht in Konkurrenz stehende Londoner Banken-Lobby The City UK (mehr dazu hier).
Nun bezieht erstmals ein hochrangiger Banker offen Stellung gegen die Zusammenarbeit der EZB mit Oliver Wyman. Der erste Vorstandsvorsitzende der NRW.BANK, Bernd Lüthje, sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Die EZB-Führung muss ihren Vertrag mit Oliver Wyman sofort beenden, also über eine öffentliche Erklärung Oliver Wyman als Berater aus allen Tätigkeiten bei sich rausschmeißen. Sie unterwirft sich sonst den Interessen der Londoner City, die nicht im Euro sein will, alle in seiner Währung möglichen Geschäfte aber, ohne Verantwortung für die Währung, auf sich konzentrieren möchte. Nur so glaubt der Lobbyarm der City, die City UK, ihre an New York verlorene erste Stellung zurückgewinnen zu können. In dieser Lobbyeinheit wirkt Oliver Wyman als direkter Beteiligter mit.“
Lüthje kritisiert die EZB darüber hinaus wegen der willkürlichen Bestimmung, welche Banken von der EZB beaufsichtigt werden: „ Die NRW.BANK ist wie andere deutsche Förderbanken in das EZB-Regime einbezogen worden, ohne ihre gemäß EU-Beihilferecht nur eingeschränkt mögliche Banktätigkeit zu berücksichtigen. Für die EZB, die Bankenaufsicht als Beherrschungsinstrument und damit die Banken als ihre Untertanen zu führen, gilt nur Bilanzgröße und Anzahl der Banken je Euroland. Was diese tun, ist der EZB egal. Das ist Diktatur in Reinkultur.“
Der Streit um Oliver Wyman ist zu einem Thema zwischen den Banken und der EZB geworden, nachdem die FT berichtet hatte, Oliver Wyman habe in einer Studie für The City UK vor den Gefahren einer europäischen Bankenaufsicht in Frankfurt für den Finanzplatz London gewarnt. Die EZB bestreitet, dass es einen Interessenskonflikt gäbe und sagte den DWN, dass der Bericht der FT „nicht akkurat“ sei. Die FT wurde jedoch nie zu einer Korrektur veranlasst – der Bericht steht heute noch unwidersprochen auf der Website der FT.
Das US-Beratungsunternehmen Oliver Wyman ist eine Tochterfirma des US-Finanzkonzerns Marsh & McLennan. Bernd Lüthje kritisiert bereits die Bestellung von Wyman durch die EZB: „Es hätte gar nicht so weit kommen dürfen, dass die EZB diesen weit verzweigten und versippten Berater engagiert.“
Lüthje fürchtet, dass die einschlägigen Beteuerungen der EZB, es gäbe „chinese walls“ zur Sicherung der Vertraulichkeit, in der Praxis wirkungslos seien: „Wie wollen Sie das kontrollieren? In der City gehen die Banker jeden Freitag gemeinsam in Pub. Es gibt Betriebskantinen und Betriebssport. Junge Kollegen wollen ihr Wissen für ihre Karriere verwenden. Es ist unmöglich, dass die Daten der europäischen Banken, die im Zuge des Stresstests erhoben werden, vertraulich behandelt werden. Das kann die EZB gar nicht sicherstellen.“
Lüthje verweist darauf, dass auch sachliche Argumente gegen Oliver Wyman sprechen: „Laut Eigendarstellung hat Oliver Wyman keine Erfahrung bei einem Banken-Stresstest.“ Die EZB hatte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten gesagt, dass das US-Unternehmen aus einer Ausschreibung als das bestqualifizierte hervorgegangen sei. Lüthje verweist dagegen auf einen grundsätzlichen Bericht, den Oliver Wyman vor einiger Zeit verfasst habe. Unter dem Titel „The challenges ahead“ hatte sich Oliver Wyman mit der Neuordnung der europäischen Bankenlandschaft beschäftigt. Lüthje: „Was Oliver Wyman betreibt, ist eine Interessenberatung. Das Unternehmen arbeitet für die EZB im Interesse seiner Kunden – und nicht im ungeteilten Interesse der europäischen Steuerzahler, in deren Auftrag die EZB eigentlich arbeiten sollte.“
Lüthje sieht die nationalen Notenbank-Gouverneure und die Mitglieder des EZB-Direktoriums in der Pflicht: „Die Beauftragung von Oliver Wyman stellt einen Interessenskonflikt dar und ist mit der Corporate Governance der EZB nicht vereinbar. Die Beauftragung muss widerrufen werden.“ Theoretisch könnte die Oliver Wyman-Beauftragung auch ein Thema für den Prüfungsausschuss der EZB werden. Im Mandat dieses Ausschusses ist unter 2.3. eine Zuständigkeit zur Überprüfung der „Einhaltung geltender Gesetze, Bestimmungen und Verhaltenskodizes“ der EZB vorgesehen.
Beobachter fürchten, dass der EZB-Stresstest nichts anderes als eine anlasslose Due Diligence aller europäischen Banken ist. In den vergangenen Monaten hatten internationale Bankenvertreter immer lauter festgestellt, dass es in Europa zu viele Banken gäbe. Lüthje sieht das völlig anders: „Es gibt in Europa zu wenig Banken. In den vergangenen Jahren hat eine Konsolidierung begonnen, die dazu führt, dass wenige Banken immer größer werden – und damit genau zu dem berüchtigten ,too big to fail‘ führen, das wir ja eigentlich zurückdrängen wollten.“
In den USA gibt es, wie die untenstehende Grafik zeigt, nach einem zwanzigjährigen Konsolidierungsprozess statt 37 Banken nur noch 4 Konzerne – die alle nur mit der unbegrenzten Überlebensgarantie des Steuerzahlers ausgestattet sind (Quelle: Exposingthetruth).