Deutschland

Gerhard Schick: „SPD befördert die Interessen der großen Industrie-Unternehmen“

Lesezeit: 7 min
16.05.2014 01:18
Der Grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick fordert eine stärkere Trennung von Industrie-Lobbyisten und der Politik. Vor allem in der Energie-Politik sieht er die SPD auf einem schlechten Weg. Auch in der EU müssten die parlamentarischen Kräfte wieder die Führung übernehmen - und sie undemokratischen Einrichtungen wie der Troika entreißen.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem neuen Buch überraschen Sie mit der Aufhebung von bekannten Gegensätzen. Sie sagen, dass die Gleichungen "links=staatsorientiert" und "rechts=marktorientiert" nie funktioniert haben. Wie meinen Sie das?

Gerhard Schick: Ich gelte als Linker, bin aber überzeugter Marktwirtschaftler. Mir ist daran gelegen, dass wir als Linke auch auf marktwirtschaftliche Lösungen setzen und dem Staat kritisch gegenüberstehen, wenn er sich für die Interessen der Wenigen einspannen lässt. Denn das sind die eigentlichen Fragen: Für wen ist der Staat tätig? Sind die Regeln am Markt so gesetzt, dass er für die Kunden gute Ergebnisse bringt, oder können sich Unternehmen zu Lasten der Verbraucher verhalten? Gerade die Manager, die häufig über Marktwirtschaft reden und den Sozialstaat als überzogen hinstellen, beziehen sehr gerne milliardenschwere staatliche Subventionen. Und umgekehrt muss, wer sich für die Interessen der kleinen Leute einsetzen will, oft erst einmal marktwirtschaftliche Strukturen gegen bestehende Oligopole durchsetzen und eine einseitige Parteinahme des Staates zugunsten der wirtschaftlich Starken überwinden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie führen in Ihrem Buch die CDU bzw. die Konservativen an, die durch ihre Nähe zur Wirtschaft "Mutti Staat" für die Konzerne spielen. Wo wird das in Deutschland besonders deutlich?

Gerhard Schick: Da könnte ich viele Beispiele nennen - von der Unterstützung der deutschen Autoindustrie bei den Verhandlungen über Abgasnormen auf europäischer Ebene über die Gründe des mittlerweile korrigierten Ausstiegs aus dem Atomausstieg 2010 bis hin zur Subventionierung der Agrargroßbetriebe. Besonders deutlich aber wurde die Symbiose von Markt und Staat bei den teuren Bankenrettungen.

Anstatt dass im Zuge der Finanzkrise für Fehlinvestitionen das Haftungsprinzip durchgesetzt wurde, garantierte der deutsche Staat die Schulden strauchelnder Finanzinstitute in Milliardenhöhe. Davon profitiert natürlich nicht die Bank selbst, sondern diejenigen, denen sie Geld schuldet: Fonds, Versicherungen oder auch Unternehmen. Diese Gläubiger sind in der großen Mehrzahl Menschen, die zu den obersten 10 Prozent gehören, denn bei denen liegen 66,6 Prozent des Geldvermögens. Die Stabilisierung dieser Vermögen durch die Steuerzahler ist also eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Mutti Staat wurde äußerst effizient eingespannt.

In einem Fall allerdings ist der Schaden sogar klar quantifizierbar, nämlich beim Kauf von 18 Prozent der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg für 4,7 Milliarden Euro. Weil interne Mails öffentlich wurden, können wir heute die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Investmentbanker Dirk Notheis (CDU) von Morgan Stanley und Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) nachvollziehen, die sich aus gemeinsamer Zeit bei der Jungen Union kannten.

Sie ging bis hinein in die Absprache zur parteiinternen Taktik. „Du fragst Mutti, ob sie Dir das arrangieren kann“, riet Notheis seinem Kumpel Mappus. Gemeint war ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy, das Bundeskanzlerin Merkel organisieren sollte. Am Ende zahlten Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg 780 Millionen Euro zu viel für die Aktien. Eine teure Freundschaft.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Konsequenterweise gilt diese Nähe allerdings auch die SPD: Sigmar Gabriel hat zwischenzeitlich als Lobbyist für VW gearbeitet. Er dürfte wissen, was die Konzerne wünschen - oder?

Gerhard Schick: Ja. Das ist einer der großen Unterschiede zwischen Grünen und SPD. Das sieht man jetzt gerade auch wieder bei der Energiewende: Wir setzen auf dezentrale Lösungen und haben die Interessen der Verbraucher im Blick, die SPD hingegen befördert die Interessen der großen Industrieunternehmen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist die Nähe der Großen Koalition zu Konzern-Interessen und Lobbyisten nicht auch das größte Problem der EU? Hier haben wir ja quasi auf EU-Ebene die „Über-Mutti“ - wer soll die Verflechtungen kontrollieren?

Gerhard Schick: Es gibt einige Beispiele, wo die EU sehr im Interesse der Bürgerinnen und Bürger agiert hat und gegen Big Business. Zum Beispiel bei den Roaming-Gebühren, wo der Kunde von den Telekommunikationsunternehmen ausgenommen wurde, bis die EU das unterbunden hat. Oder bei der Commerzbank, wo die EU-Kommission den deutschen Finanzminister darin hinderte, die Konditionen bei der Bankenrettung so auszugestalten, dass es ein allzu großzügiges Geschenk für die Bankaktionäre gewesen wäre. An anderer Stelle aber, insbesondere dort, wo die mitgliedsstaatlichen Regierungen über den Rat die Feder führen, kommen leider immer wieder die Unternehmensinteressen durch. Vor allem auch brauchen wir in Europa eine schlagkräftige und unabhängige Wettbewerbsbehörde, die bis hin zur Zerschlagung von Großunternehmen die rechtlichen Instrumente für eine knackige Wettbewerbspolitik bekommt. Besonders wichtig ist hierbei, dass auch neuere Forschungsergebnisse über die Konzentration wirtschaftlicher Macht zur Bewertung der Behörde einbezogen werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie Beispiele nennen, bei denen die Gleichung „links=marktorientiert“ gilt?

Gerhard Schick: Es ist doch so: Große Unternehmen fragen sich, warum sich mühen, zusätzliche Kundinnen und Kunden zu finden, wenn man auch über eine Gesetzesänderung mehr Gewinne machen kann? Warum das Risiko von Innovationen und Investitionen eingehen, wenn der Staat die alten Technologien schützen kann?

In der Wissenschaft werden solche Strategien als rent seeking bezeichnet. Im Gegensatz dazu beschreibt profit seeking den Versuch, über bessere Produkte und Prozesse am Markt zu reüssieren, was unmittelbar den Kundinnen und Kunden zugutekommt, indem sie bessere oder günstigere Produkte erhalten. In dieser Debatte muss man sich doch als Linker klar positionieren: Für mehr Markt, damit im Wettstreit der besten Ideen dann auch die besten Ergebnisse für die Gesellschaft erzielt werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der Diskussion wird gerne mit Schlagworten operiert - wie etwa mit dem Begriff „neoliberal“. Sie selbst haben in der Stiftung Marktwirtschaft gearbeitet, sind aber ein Grüner. Kann man liberale Positionen und grüne Werte vereinbaren?

Gerhard Schick: Ich sehe mich als grüner Ordoliberaler. In dem Wort steckt eben beides: Regeln und Freiheit. Nun werden diese Regeln nicht in einem luftleeren Raum gesetzt, sondern wir müssen und als Gesellschaft darüber verständigen, wohin die Reise gehen soll. Grüne Politik setzt hier an, indem wir die Regeln nach ökologisch-sozialen Zielen definieren, die Umsetzung dann aber einer Gesellschaft in möglichst großer Freiheit auferlegen. Und noch etwas: Viele Ordoliberale definieren heute wirtschaftlichen Erfolg allein am Wachstum des Bruttoinlandsprodukt. Wir Grüne sind die einzige Partei, der es beim Thema Wirtschaft nicht nur ums Geld geht. Deswegen verstehe ich mich auch nicht als Erbe Ludwig Erhards, für den "Wohlstand für alle" gleichbedeutend war mit Wachstum. Viel näher bin ich bei Walter Eucken, der als Ziel eine "menschenwürdige Ordnung" vor Augen hatte. Und ich sehe, dass heute, anders als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, für viele Menschen nicht nur materielle Ziele wichtig sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Parteien sind „staatsorientiert“, weil der Staat die Grundlage ihres Geschäftsmodells ist. Auch die sogenannten "Euroskeptiker" greifen hemmungslos in die Kasse, wenn es auf EU-Ebene etwas zu verteilen gibt. Wie können die Parteien wieder zu Dienern der Bürger werden?

Gerhard Schick: Das ist eine komplexe Frage, auf die ich in meinem Buch versuche, Antworten zu geben. Ich habe hier keine Illusionen oder ein Patentrezept. Mir geht es aber darum, dass sich die schweigende Mehrheit, die unter der "Machtwirtschaft" in Markt und Staat leidet, wieder Gehör verschaffen kann.

Mein historisches Vorbild ist das progressive movement in den Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Da nur eine kleine Elite vom Monopolkapitalismus profitierte, standen die progressives für eine breite Allianz, die keineswegs auf die Arbeiterklasse beschränkt war. Im Gegenteil, die Speerspitze war vielmehr die Mittelschicht – Lehrer, Anwälte, Wissenschaftler und Geschäftsleute –, die sich einerseits vom Großkapital über den Tisch gezogen fühlte und die aber auch keine Revoluzzer waren. Auch in Europa braucht es jetzt eine progressive Bewegung: Wir müssen bestehende wirtschaftlich-politische Machtstrukturen zurückdrängen oder auflösen. Und wir müssen uns in Europa zusammenschließen, damit wir nicht gegeneinander ausgespielt werden können.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem Buch beklagen Sie, dass der Staat den meisten Bürgern nichts mehr bedeutet. Die Politik hat an Ansehen verloren. Brauchen wir eine Revolution, um die Dinge zu verändern?

Gerhard Schick: Wie zur Zeit des progressive movements in den USA braucht es die Mitte der Gesellschaft, nicht ein paar versprengte Radikale. Gerade diejenigen, die wirtschaftlich tätig sind, aber von großen Unternehmen in Markt und Staat an den Rand gedrängt werden, müssen Kern einer solchen Bewegung sein. Diejenigen, die die Steuern zahlen, die große Unternehmen eigentlich zahlen müssten, haben doch allen Grund, hier für eine Veränderung zu sorgen. Und ist es nicht gerade die Mittelschicht, die durch undurchsichtige Finanzprodukte am besten abgezockt werden kann? Dass eine solche Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft heraus keine Utopie ist, haben uns die „progressives“ gezeigt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Grünen waren ja einmal Vorreiter einer alternativen Politik: Müssten die Grünen nicht viel massiver gegen die Marginalisierung der Opposition in Deutschland (und in der EU) kämpfen? Nicht nur die Bürger sind „apathisch“ (Colin Crouch), auch weite Teile der politischen Eliten - warum kommt von den Grünen nicht mehr Attacke?

Gerhard Schick: Ich denke wir attackieren die Fehlentwicklungen schon in angemessener Deutlichkeit. Nur ist Politik eben auch ein Spiel um die Aufmerksamkeit und die wird uns nicht immer in angemessenem Maße zuteil.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das wirklich der Grund? Untersuchungen zeigen, dass Journalisten überproportional stark Grün wählen. Kann es nicht daran liegen, dass sich die Grünen mit den Vorteilen des Politik-Geschäfts arrangiert haben – und nichts mehr dabei finden, nach ihrer Karriere als Lobbyisten oder Industrie-Berater tätig zu werden?

Gerhard Schick: Wir Grünen sind gegen die negativen Seiten des Politikbetriebs natürlich nicht immun. Und wir können als Partei auch ehemalige Mandatsträger nicht daran hindern, für Verbände und Unternehmen zu arbeiten, die wir kritisch sehen. Deswegen streite ich ja für klare gesetzliche Regeln, die für alle gelten: Karenzzeiten beim Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft, volle Transparenz bei Nebenverdiensten, ein Fußabdruck bei Gesetzestexten, damit der Einfluss von Interessengruppen sichtbar wird. Dass wir Grünen uns mit den Vorteilen arrangiert hätten, mag ich aber keinesfalls erkennen. Ein Vergleich der Nebenverdienste unter den Fraktionen macht das auch deutlich. Bei der CDU gibt es Abgeordnete, die über Aufsichtsratstätigkeiten oder als Rechtsberater Einkommen weit über der Höhe der Diäten erzielen und wo sich die Frage stellt, in wessen Interesse sie eigentlich tätig sind. Das gibt es so bei uns nicht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie wollen die „europäische Nicht-Demokratie überwinden“. Ist das nicht bloß ein frommer Wunsch?

Gerhard Schick: Wir Grünen machen hier konkrete Vorschläge zur Stärkung der demokratischen Prozesse auf europäischer Ebene. Wir wollen das europäische Parlament stärken gegenüber der Hinterzimmer-Politik der Staats- und Regierungschefs und gegenüber der Kommission, die derzeit nicht wirklich parlamentarisch kontrolliert werden kann. Konkret wollen wir auch erreichen, dass nicht mehr die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Weltwährungsfonds quasi unkontrolliert die Krisenpolitik steuert, sondern in demokratisch legitimierten EU-Institutionen über diese Fragen entschieden wird. Für diese Vorschläge brauchen wir jetzt die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger.

Gerhard Schick hat soeben ein bemerkenswertes Buch vorgelegt: Für einen Linken beschäftigt er sich erfrischend undogmatisch mit der Frage, warum es für die Bürger schlecht ist, wenn der Staat sich in zu viele Bereiche mischt. S

chick glaubt, dass soziale Gerechtigkeit etwas mit Eigenverantwortung zu tun hat - und fordert daher eine Abkehr von der Machtwirtschaft.

Gerhard Schick, „Machtwirtschaft - nein danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient“. Das Buch ist bei Campus erschienen und kann hier bestellt werden.


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