Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kommt in seinem aktuellen Sondergutachten zur Lage in Europa (Original hier) zu einem ernüchternden Ergebnis. Wenn man einmal alle höflichen Floskeln weglässt und das Papier nur auf seine Kernaussagen hin untersucht, bleibt nicht viel übrig, worüber sich Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und der beauftragende Wirtschaftsminister (wer ist das eigentlich im Moment?) freuen können.
Die Sachverständigen kommen zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass es eng wird in Europa. Bemerkenswert ist jedoch ihre Begründung: Sie sagen nicht mehr und nicht weniger, dass der Euro mit dem gegebenen politischen Rahmenwerk nicht zur Gemeinschaftswährung taugt: „Die besondere Exponiertheit der Problemländer gegenüber den Finanzmärkten resultiert zusätzlich daraus, dass ihre gesamte Verschuldung auf eine Währung lautet, die sie nicht selbst schaffen können. Das kann man prinzipiell als einen erwünschten Disziplinierungseffekt ansehen, es kann sich daraus aber auch ein destabilisierender Prozess ergeben, bei dem steigende Anleihezinsen die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen beeinträchtigen, was wiederum über negative Vertrauenseffekte zu höheren Renditeforderungen der Investoren führt. Ein solcher Teufelskreis, der durch Befürchtungen über das mögliche Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion noch zusätzlichen Auftrieb erhält, hatte sich bereits im Herbst 2011 aufgebaut. Er konnte Ende des Jahres 2011 zunächst durch sehr umfangreiche Liquiditätshilfen der EZB gestoppt werden. Im zweiten Quartal 2012 hat deren Wirkung jedoch nachgelassen, sodass die Zinsaufschläge wiederum bedrohlich angestiegen sind.“
Eine solche Aussage aus der Feder derjenigen Experten, die die Bundesregierung in den zentralen wirtschaftspolitischen Fragen berät, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Hier wird nicht mehr und nicht weniger gesagt, dass der Euro bisher nur überlebt hat, weil die EZB den Markt mit Liquidität geschwemmt hat.
Dass die Sachverständigen dennoch nicht zur D-Mark zurückkehren wollen, liegt an demselben Grund, den schon der BDI als zentralen Wert des Euro für die deutsche Industrie ausgemacht hat (hier): Der Euro hilft den deutschen Unternehmen bei den Exporten: „Die mit einer Wiedereinführung der D-Mark verbundene Aufwertung würde auf Dauer die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht nur in Europa, sondern auch auf den Weltmärkten erheblich beeinträchtigen. Es sollte nicht übersehen werden, dass die deutschen Unternehmen in den letzten Jahren erheblich dadurch begünstigt wurden, dass sie in einem Währungsraum produzieren, dessen Währung von den Märkten – anders als beispielsweise der Yen oder der Schweizer Franken – nicht als typische ,Starkwährung‘ angesehen wird.“
Diese Argumentation hat natürlich etwas für sich, reicht jedoch nicht aus, wenn man eine Währung als den Ausdruck der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft sieht und nicht als platte Export-Fördermaßnahme. Denn der zweite Teil des Arguments, den die Sachverständigen an dieser Stelle bringen, zeigt, wie kurz eine solche Perspektive greift: „Die Erfahrungen dieser Länder (Japan und der Schweiz) sowie von China und Deutschland in der Phase des Festkurssystems von Bretton Woods …zeigen zudem, dass Versuche die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft mit Devisenmarktinterventionen zu verteidigen, zu hohen Devisenbeständen führt, mit denen de facto die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten finanziert wird.“
Dies bedeutet doch nichts anderes, als dass die exportorientierten Staaten in Wahrheit nicht auf lange Sicht erfolgreich sein können, wenn sie die Exporte durch dirigistische Maßnahmen in andere Märkte drücken: Am Ende führt jede Maßnahme, die ein Ungleichgewicht im internationalen Handel mit zentralistischen Mitteln kaschiert, zur Verschuldung auch der exportierenden Völker: Man kann dann wählen, ob man eine Verschuldungs-Union mit den Schuldnern wählt oder aber sich über Devisenmarkt-Interventionen selbst verschuldet – das Ergebnis ist beide Male das selbe.
Wie außerdem das Beispiel Frankreichs zeigt, bedeutet eine Währung als Exportstützungs-Maßnahme nicht automatisch mehr Wohlstand für die Völker, aus denen die Unternehmen kommen: In Frankreich sind die meisten globalen Konzerne hochprofitabel, weil sie sich der billigen Arbeitskräfte aus aller Welt bedienen. Den Franzosen bleibt davon wenig: Die Arbeitslosigkeit ist in Frankreich auf einem Niveau, das in keinem Verhältnis zur Profitabilität der Unternehmen steht.
In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass die Sachverständigen der Bundesregierung im Jahr 2012 ganz ernsthaft über eine Rückkehr zur D-Mark diskutieren. Auch wenn sie am Ende die Idee verwerfen, ist die Tatsache, dass die Option von den Top-Beratern der Regierung öffentlich diskutiert wird, eigentlich schon eine ziemliche Blamage für den Euro.
Um den Euro allerdings wirklich zu retten, muss die Politik nach Einschätzung der Sachverständigen noch einen weiten Weg gehen. Bisher jedenfalls ist eindeutig viel zu wenig geschehen. Das Gutachten: „Die Politik macht bislang den Fehler, die Vertrauenskrise nicht als systemisches Problem zu begreifen, sondern die Probleme einzeln anzugehen. Anstatt sich auf glaubwürdige Konsolidierungspfade festzulegen, läuft die europäische Politik nach einer Reihe konzertierter Maßnahmen zur Stützung hoch verschuldeter Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion, die das Vertrauen der Märkte verloren haben, weiterhin den Märkten hinterher. Die europäische Politik entspricht einer Strategie der Trippelschritte, bei der versucht wird, auf neu aufbrechende Krisenherde mit weiter ausgedehnten Rettungsschirmen oder einer Veränderung des Zugangs zur EFSF oder zum ESM zu reagieren. Die Maßnahmen gehen jeweils nur so weit, wie es die Situation zwingend erfordert. Bei jeder Verschärfung der Krise müssen daher neue Verhandlungen über die Ausweitung der Rettungsmaßnahmen geführt werden.“
Wenn man bedenkt, dass die aktuelle Krise im Jahr 2008 sichtbar wurde – die Anzeichen dafür waren schon viel früher zu erkennen – ist diese Einschätzung der Sachverständigen eigentlich ein glattes „Ungenügend“ für die Politik, auch für die Bundesregierung. Denn eigentlich werden die Politiker von den Steuerzahlern dafür bezahlt, dass sie die Rahmenbedingungen schaffen, damit ein Land in Frieden und Wohlstand leben kann. Der Wohlstand muss allerdings erwirtschaftet werden, und kann nicht das Resultat einer Versorgungspolitik sein, in der der Staat, oder noch schlimmer, demokratisch nicht legitimierte Institutionen wie der IWF, die EZB oder der Rat der Europäischen Union, darüber entscheiden können, ob und wie ein Volk in Europa leben kann und darf.
Besonders bemerkenswert an dem Gutachten ist die Art, wie die Sachverständigen die neue Wunderwaffe ESM ignorieren. Zwar wird pflichtschuldig darauf eingegangen, dass der EU-Gipfel eine Erweiterung des ESM informell beschlossen hat. Die Sachverständigen gehen jedoch mit so gut wie keinem Wort (!) auf den ESM als Wunderwaffe ein. Sie stellen nur trocken fest, dass „die Mittel der EFSF und des ESM nach Abzug der bereits ausgereichten Mittel für Portugal, Griechenland und Irland sowie des Programms für die spanischen Banken maximal 400 Mrd. Euro betragen, was gerade einmal die jährlichen Finanzierungsbedarfe Italiens und Spaniens abdecken würde“. Spätestens hier müssen sich die Spitzen von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen, die nicht müde wurden, den ESM als die Lösung aller Probleme zu verkaufen und ihn als solche durch den Bundestag zu peitschen, unter allen verfügbaren Decken verstecken.
Leider nehmen die Sachverständigen keine detaillierte Analyse des ESM-Konstrukts vor. Dies hätte eine Hilfe für das Bundesverfassungsgericht sein können, welches kommende Woche über den ESM entscheiden will (hier). Es ist sogar noch ärgerlicher: Die Sachverständigen benennen zwar eines der juristischen Kernprobleme, indem sie zwar einräumen, dass die deutschen Steuerzahler den zu rettenden Banken „ohne den Status als vorrangige Gläubiger“ helfen müssen. Die Sachverständigen kommen jedoch, in diesem Fall ohne jeden juristischen Sachverstand, zum völlig falschen Schluss, wenn sie schreiben: „Obwohl eine solche Vergemeinschaftung von Risiken ordnungspolitisch bedenklich ist, lässt sie sich mit der systemischen Bedeutung des spanischen Finanzsystems für die Stabilität der Banken und Versicherungen im Euro-Raum insgesamt rechtfertigen.“ Die von den Deutschen Wirtschafts Nachrichten durchgeführte juristische Überprüfung des ESM-Textes in diesem Punkt kommt zu einem völlig anderes Ergebnis: nämlich, dass hier eine bewusste Täuschung der Bürger in Europa vorliegt, was vielleicht „ordnungspolitisch“ vertretbar, juristisch jedoch nicht haltbar ist (die detaillierte Analyse – hier).
Möglicherweise wollten sich die Sachverständigen mit dem ESM gar nicht weiter beschäftigen, weil sie ihn für eine Totgeburt halten. Auch die Bankenunion ist für die Sachverständigen keine Lösung – weil sie viel zu spät kommt und weil noch viel zu viele politische Hindernisse zu überwinden sind, bis es eine wirklich schlagkräftige europäische Bankenaufsicht gibt. Interessanterweise sind die Sachverständigen immer noch der Meinung, dass die Europäische Banken Aufsicht (EBA) eine stärkere Rolle spielen sollte als die EZB, die mit einem vermischten Mandat in einen Interessenkonflikt zwischen Geld- und Fiskalpolitik geraten könnte.
So stellen die Sachverständigen noch einmal ihren Lösungsansatz vor, den sie schon im November 2011 präsentiert hatten: den europäischen Schuldentilgungspakt. Demnach sollten alle über die Maastricht-Kriterien hinausgehenden Schulden in einem Fonds gesammelt und in einem Zeitraum von 30 Jahren getilgt werden. Die Schulden sollten mit Sicherheiten hinterlegt werden, etwa mit der teilweisen Besicherung durch die Goldreserven der einzelnen Staaten (mehr dazu hier).
Die Tragik dieses insgesamt eigentlich ganz ausgewogenen Vorschlags ist, dass er zu spät kommen wird. Die europäische Politik hat in den vergangenen Monaten den Beweis geliefert, dass sie im Grunde handlungsunfähig ist. Im Verein mit den Amerikanern, Briten, Japanern und Chinesen, die ebenfalls nicht den Hauch einer nachhaltigen Lösung für ihre Staatsschulden präsentieren können, sondern das Problem mit Gelddrucken hinweg-inflationieren wollen, finden wir die Weltwirtschaft im Zustand der Agonie. Der Sachverständigenrat glaubt, dass die Zukunft in einem „System“ liegen werde, „bei dem Haftung und Kontrolle zusammenfallen“. Dies „erfordert nicht zuletzt die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte“. Mit diesem finalen Fehlschluss zeigen die Experten leider herzlich wenig Sachverstand für die Zeit des Wiederaufbaus nach dem zu erwartenden, bitteren Ende.