Die Staats- und Regierungschefs haben den Luxemburger Jean-Claude Juncker am Freitag für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nominiert. Dies erklärte Ratspräsident Herman van Rompuy. Die Wahl Junckers durch das EU-Parlament ist für Mitte Juli geplant.
Zuvor hatte sich der britische Premierminister David Cameron gegen die Wahl Junckers gestellt. An dieser Position hat sich bisher nichts geändert (mehr hier).
Doch die Personalquerelen bergen ein tiefer liegendes Problem:
Immer offener wird eingeräumt, dass sich die EU-Institutionen gegenseitig bekämpfen. „Es geht um die Balance zwischen Rat und Parlament“, betonte der Schwede Reinfeldt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban argwöhnt, dass es sich um ein Komplott der EU-Föderalisten handele, die die Macht weg von den Hauptstädten Richtung EU verschieben wollten. Nicht umsonst bemühten sich die 28 Regierungen in Brüssel deshalb, mit einer „strategischen Agenda“ den Eindruck zu erwecken, der nächsten EU-Kommission und dem neuen Parlament bindende Leitlinien für die künftige EU-Politik vorzugeben - was man im EP eher amüsiert registriert.
Ohnehin gibt man sich in Straßburg derzeit demonstrativ gelassen. „Natürlich ist dies ein Machtkampf“, räumt etwa Rebecca Harms ein, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EP. Aber damit werde nur eine Fehlentwicklung der vergangenen Jahre korrigiert, in denen sich die Gewichte viel zu sehr Richtung Rat verschoben hätten: „Barroso galt doch als Puppe Angela Merkels und damit des Rates“, sagte sie zu Reuters. Das Argument, dass das Spitzenkandidaten-Konzept gute Leute für die Spitze der Kommission verhindere, ziehe zudem nicht. „Ich sehe in der Runde der Regierungschefs ehrlich gesagt niemanden, der dies besser könnte als Juncker.“
„Der Einsatz von Spitzenkandidaten war ein erster Schritt zu mehr Demokratie und Transparenz in Europa. Wir müssen die ,Blackbox Europa‘ öffnen“, sagte auch der Fraktionsvorsitzende der EVP im Straßburger Parlament, Manfred Weber. „Es kann kein Zurück zu mehr Entscheidungen in den Hinterzimmern geben.“
Möglicherweise öffnet der Streit nun das Tor zu einer viel grundsätzlicheren Debatte über die Europawahl. „Es kann doch nicht sein, dass der Spitzenkandidat immer als Guerilla-Aktion des EP durchgedrückt wird. Nötig ist ein europäisches Wahlrecht“, forderte Harms. Damit würde es allerdings noch komplizierter. Denn dann wären nicht nur gesamteuropäische Wahllisten nötig. Es würde sich auch die heikle Frage stellen, ob eine Wählerstimme aus dem kleinen Malta wirklich viel mehr zählen darf als eine aus dem großen Mitgliedstaat Deutschland. Die CSU hat hier bereits Korrekturen gefordert.
Harms jedenfalls bleibt gelassen angesichts der Ankündigung der Regierungschefs, bei der nächsten Besetzung des Kommissionspräsidenten wieder den Rat in die führende Rolle zu bringen. „Ich bin gespannt, ob sich in fünf Jahren wirklich eine Parteienfamilie weigern würde, einen Spitzenkandidaten vorzuschlagen, wenn alle anderen dies tun“, sagte die Grünen-Politikerin.