Die Alterung der Gesellschaften wird bei uns meistens als ein Problem der Sozialversicherungen diskutiert. Wie sollen die Renten zukünftig bezahlt werden, wenn immer weniger Jüngere immer mehr Alten gegenüberstehen? Wie sollen die steigenden medizinischen Kosten bezahlt werden? Daneben werden auch manchmal die Folgen der Alterung für das Wirtschaftswachstum diskutiert. Denn wenn die Zahl der Arbeitskräfte sinkt, kann auch weniger produziert werden.
In einer jüngst veröffentlichten Studie des IWF wird dagegen eine andere mögliche Folge der Alterung von Gesellschaften ins Blickfeld gerückt: Deflation, also stetig sinkende Preise. Was allerdings die Konsumenten erfreut, mögen die meisten Ökonomen genauso wenig wie die Unternehmen. Denn sinkende Preise bedeuten für die Unternehmen sinkende Umsätze. Wer aber sinkende Umsätze erwartet, wird auch nicht investieren. Und zu geringe Investitionen können eine einmal aufgekommene Wirtschaftskrise verstärken.
Nun ist der Zusammenhang zwischen Alterung einer Gesellschaft und Deflation keineswegs unmittelbar einsichtig. Nehmen wir die Sozialkassen. Ihre Ausgaben für die medizinische Versorgung und Pflege wachsen. Diese erhöhte Nachfrage sollte die Preise für medizinische Versorgung und Pflege steigen lassen.
Oder nehmen wir die Alten selbst. Ihre Konsumbedürfnisse tragen zur gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bei, während ja das Produktionspotenzial wegen der sinkenden Zahl der Arbeitskräfte zurückgeht. Der Nachfrageüberhang sollte die Preise steigen lassen, etwa bei Dienstleistungen, die sich hauptsächlich an Ältere richten.
Entscheidend ist allerdings, wie die gestiegenen Bedürfnisse finanziert werden. Solange nur eine Umverteilung von den Jungen zu den Alten stattfindet, bedeutet das, dass der größeren Nachfrage nach Produkten für Ältere eine geringere Nachfrage nach Produkten für Jüngere gegenübersteht. Dann gibt es auch viele Wirtschaftsbereiche, in denen die Preise sinken.
Anstatt durch Umverteilung innerhalb einer Volkswirtschaft die Bedürfnisse der Alten zu finanzieren, kann man aber auch das Ausland heranziehen. Wie das? Das geschieht, indem die Älteren (bzw. ihre Banken) vorher im Ausland angelegte Ersparnisse auflösen und wieder heimholen. Das Problem dabei: das im Ausland angelegte und erwirtschaftete Geld muss wieder in die einheimische Währung umgetauscht werden. Und wenn das im großen Stil geschieht, steigt der Kurs der einheimischen Währung. Importgüter werden aber billiger, wenn die heimische Währung an Wert gewinnt. Und auch dadurch kann Deflation entstehen.
Bei all diesen vielfältigen Effekten, die die Alterung der Gesellschaft auf Inflation oder Deflation haben kann, blicken selbst Ökonomen ohne die Hilfe von Computern nicht mehr durch. Und so haben die Ökonomen des IWF die Effekte der Alterung auf das Preisniveau für Japan mithilfe eines komplexen Wirtschaftsmodells berechnet.
Japan ist deshalb besonders interessant, weil dort die Alterung der Bevölkerung am schnellsten voranschreitet. Aber die IWF-Experten schreiben selbst: was für Japan gilt, gilt mehr oder weniger auch für viele Länder der westlichen Welt. Nicht zuletzt auch für Deutschland.
Japan also, so das Ergebnis der Modellberechnungen, droht eine verstärkte Deflation durch die Alterung seiner Bevölkerung. Die japanische Zentralbank kann aber, so ergeben die Modellberechnungen gleichzeitig, die Deflation erfolgreich bekämpfen, wenn sie die richtigen Maßnahmen trifft. Gemeint ist das ganze Spektrum an Maßnahmen, mit denen Zentralbanken die Geldmenge ausweiten: Nullzinsen und das Versprechen, für eine lange Zeit, die Zinsen nicht zu erhöhen, nicht zuletzt der Ankauf von Staatsanleihen mit frisch gedrucktem Geld.
Eines sollten die Zentralbanken in Staaten (oder Währungsunionen) mit alternden Gesellschaften allerdings wissen, bevor sie nun hektische die Empfehlungen der IWF-Experten umsetzen: Prognosen mithilfe komplexer Wirtschaftsmodelle sind kaum zuverlässiger als intelligentes Raten. Nach der großen Wirtschaftskrise 2008/09, die von keinem Wirtschaftsforscher vorhergesehen wurde, sehen das inzwischen auch viele Ökonomen so. Oxford-Professor Simon Wren-Lewis kritisiert in seinem englischsprachigen Blog derartige Modellberechnungen.
Tatsächlich empfehlen die IWF-Ökonomen die Politik, die die Zentralbanken überall auf der Welt bereits durchführen: das massive Fluten der Volkswirtschaften mit neuem Geld. Nicht zuletzt die japanische Zentralbank, die Bank of Japan, geht bei der Geldmengen-Ausweitung am aggressivsten vor.
Offenbar versucht der IWF nur eine billige Rechtfertigung für die Politik der EZB, der FED und der Bank of Japan zu produzieren.