Angesichts der politischen Turbulenzen machen russische Investoren einen großen Bogen um Deutschland. Im ersten Halbjahr registrierten weder die Wirtschaftsfördergesellschaften der 16 Bundesländer noch die für das Standortmarketing der Bundesrepublik zuständige Germany Trade & Invest (GTAI) eine Neuansiedlung russischer Unternehmen. "Das hat sicherlich mit der Ukraine-Krise zu tun", sagte GTAI-Experte Robert Hermann am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters.
Im Gesamtjahr 2013 hatten russische Investoren noch elf neue Projekte angeschoben - von der Produktion über den Vertrieb bis hin zu Forschung und Entwicklung. 2012 waren es sogar 13 Initiativen. Der Bestand russischer Direktinvestitionen in Deutschland wird auf über drei Milliarden Euro beziffert und ist damit mehr als doppelt so groß wie der von China.
Die GTAI hält trotz der aktuellen Flaute eine Verbesserung der Lage für möglich. "Deutschland spielt traditionell eine große Rolle für russische Unternehmen und bleibt einer der attraktivsten Standorte in Europa", sagte Hermann. "Ein langfristiger Trend lässt sich zudem nicht aus der Betrachtung eines Halbjahres herauslesen."
Deutschland hat zusammen mit der EU und den USA Sanktionen gegen Russland wegen des Vorgehens auf der Krim und in der Ostukraine verhängt. Diese wurden im Juli nochmals verschärft, was Sorgen vor einem Handelskrieg schürt. Russland kämpft zudem gegen den wirtschaftlichen Abschwung, der schon 2013 und damit vor der Ukraine-Krise einsetzte. Die deutschen Exporte dorthin brachen deshalb im ersten Halbjahr um 15,5 Prozent auf knapp 15,3 Milliarden Euro ein.
Bei anderen Ländern steht Deutschland als Investitionsstandort nach dem Rekordjahr 2013 weiter hoch im Kurs. "Im ersten Halbjahr registrierten allein wir 56 Neuansiedlungen ausländischer Unternehmen", so GTAI-Experte Hermann. "Auch in vielen Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Berlin ist das Interesse noch größer als im vergangenen Jahr." 2013 siedelten sich insgesamt 992 ausländische Firmen neu an, so viele wie noch nie. Sie kamen vor allem aus den USA und China. Der Standort Deutschland punktet dabei vor allem mit sozialem Frieden, Rechtssicherheit und guter Infrastruktur.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krisen in der Ukraine sowie im Nahen und Mittleren Osten bislang für überschaubar. In einem Interview der "Passauer Neuen Presse" vom Mittwoch sagte Schäuble: "Im Augenblick ist die Situation beherrschbar." In Deutschland sei die wirtschaftliche Lage nach wie vor stabil - vor allem dank der robusten Binnennachfrage. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft seien nicht gravierend.