Politik

„Steigende Terror-Gefahr“: Die Chronologie der Angstmache in Europa

Lesezeit: 4 min
14.12.2014 00:05
In den vergangenen zwei Jahren hat es geradezu eine Inflation an Terror-Warnungen gegeben. Doch konkrete Anschläge sind ausgeblieben. Die Warnungen haben jedoch neue Feindbilder in Europa geschaffen: Wer sich heute als Muslim zu erkennen gibt, steht fast zwangsläufig unter Generalverdacht.
„Steigende Terror-Gefahr“: Die Chronologie der Angstmache in Europa

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Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will zur Terrorabwehr «Polizeistreifen» in offenen Internetforen einsetzen. Wenn Verbrecher solche Plattformen nutzten, um sich zum Terror zu verabreden, müsse sich der Rechtsstaat wehren, sagte de Maizière am Mittwoch beim CDU-Parteitag in Köln. Auch in geschlossenen Foren müsse man gegen Kriminelle vorgehen, dafür aber «andere Wege» finden.

Mit aller Schärfe will die CDU gegen Islamisten vorgehen, die die Freiheitsrechte in Deutschland missbrauchen. In einem Beschluss heißt es: «Die Dschihadisten sollten sich nicht täuschen: Wir sind ein tolerantes Land. Wer aber unseren freiheitlichen Staat bekämpft, dem werden wir mit aller Härte und Schärfe begegnen. Islamistische Umtriebe von Salafisten und anderen werden wir bei uns nicht dulden.»

Terroristischen Vereinigungen soll über einen neuen Straftatbestand der Geldhahn zugedreht werden. Polizei und Justiz sollen personell und informationstechnisch gut ausgestattet werden - zum Umfang wird nichts gesagt. Speicherfristen für Verbindungsdaten sollen wieder eingeführt werden.

Großbritanniens Innenministerin Theresa May hatte bereits im November 2014 angekündigt, die Anti-Terror-Gesetze zu verschärfen. Hintergrund sei eine steigende terroristische Bedrohung.

Verdächtige sollen künftig gezwungen werden können, innerhalb Großbritanniens umzuziehen. Grenzbehörden sollen Pässe von Briten und Ausländern für bis zu 30 Tage einziehen dürfen, wenn der Verdacht einer beabsichtigten Beteiligung an terroristischen Aktivitäten etwa in Syrien besteht. Außerdem sollen mehr Daten von Fluggästen kontrolliert werden. „Die Botschaft an britische Staatsbürger ist eindeutig. Ihr dürft nur zu unseren Bedingungen in eure Heimat zurückkehren“, zitiert die Financial Times May.

Rachel Logan, Rechtsberaterin von Amnesty International UK, sagt, dass der Gesetzesvorschlag ein „Sammelsurium von Maßnahmen“ sei, die „nicht durchdacht sind“.

Logan wörtlich: „Natürlich muss die Regierung sicherstellen, dass die Planung von Terror-Anschlägen im In- oder Ausland untersucht werden müssen. Aber Maßnahmen wie die Annulierung von Reisepässen und der Ausschluss von Briten aus ihrer Heimat könnten bedeuten, dass Großbritannien gegen das internationale Völkerrecht verstößt.“

Der Kampf gegen den Terror hat in den vergangenen Jahren zu einem inflationären Anstieg an offiziellen Warnungen geführt, die durchaus geeinigt sind, massive Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

Der Überblick über einige Warnungen zeigt: Konkret waren die offiziellen Verlautbarungen nie - dafür umso unheimlicher. 

Die dpa meldete am 5. Juni 2014:

De Maizière warnte vor der Gefahr von Anschlägen durch Islamisten in Europa. Allein aus Deutschland seien rund 320 radikalisierte junge Menschen ins Bürgerkriegsland Syrien ausgereist, um in Terrorcamps zu trainieren. Das seien deutsche Staatsbürger, Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit oder auch Asylbewerber. Einige würden «kampferprobt und entschlossen» zurückkehren und Anschläge planen. «Darauf müssen wir uns einstellen», sagte der Minister und sprach von einer konkreten Gefahr. Wichtig sei, die Radikalisierung junger Menschen zu verhindern, damit «sie erst gar nicht auf diese merkwürdigen und mörderischen Ideen kommen.»

Der europäische Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kerchove bezifferte die Zahl gewaltbereiter Islamisten mit Syrien-Erfahrung für die EU auf 2.000. «Das ist eine verlorene Generation, die keinen Sinn im Leben sieht, schlecht ausgebildet ist und das Abenteuer sucht, ich spreche vom Testosteron-Faktor», sagte de Kerchove in Luxemburg.

Auch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zeigte sich besorgt: «Welche Auswirkungen das haben kann, haben wir jetzt erst gesehen beim Anschlag in Brüssel, wo der Täter in Frankreich festgenommen wurde und wir wissen, dass er ein Jahr im syrischen Kampf war. Das macht uns Sorgen.»

Bei dem Anschlag Ende Mai in Brüssel waren zwei israelische Touristen und eine Französin getötet sowie ein Belgier schwer verletzt worden. Als Tatverdächtiger wurde ein 29-jähriger Franzose mit radikal-islamistischem Hintergrund festgenommen.

Die EU-Innenminister berieten auch über die wachsende Zahl von Flüchtlingen. Das Thema bleibt umstritten. Italien, wo besonders viele Migranten übers Mittelmeer ankommen, verlangt von den anderen Staaten mehr Unterstützung. Die italienische Marine rettete am Donnerstag erneut 443 Bootsflüchtlinge. Nach Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden von Januar bis April an den Außengrenzen der EU rund 42 000 Flüchtlinge aufgegriffen - mehr als dreimal so viele wie im gleichen Zeitraum 2013. Die meisten stammten aus Syrien.

Minister de Maizière forderte die anderen EU-Länder auf, mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen: «Wir tun, was wir können, andere sollten mehr tun.» Deutschland habe rund 40 000 Syrer seit Beginn des Bürgerkriegs aufgenommen. Verhandlungen mit den Bundesländern über weitere Kontingente gebe es in den nächsten Wochen.

Am 17. September berichtet die dpa über einen Warnung des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen:

Angesichts der Anschlagsgefahr, die von Rückkehrern aus Syrien und dem Irak ausgeht, betonte Maaßen: «Wir tun alles, was möglich ist, um einen Anschlag zu verhindern.» Die auf nationaler und internationaler Ebene zusammenarbeitenden Sicherheitsbehörden könnten das Problem jedoch nicht alleine lösen. Die gesamte Gesellschaft sei gefragt, «Radikalisierungen insbesondere bei jungen Menschen frühzeitig zu erkennen und auf diese zu reagieren».

Anfang August 2013 schlossen die USA zahlreiche Botschaften. Washington rief einen globalen Terror-Alarm aus. Die Terror- und Reisewarnung beruhte auf Informationen des US-Geheimdiensts NSA. Senatorin Lindsey Graham, sagte auf CNN auf die Frage, ob die Amerikaner Angst haben müssten: „Die Terror-Gefahr ist erschreckend. Das NSA-Programm beweist einmal mehr, wie wertvoll es ist.“ Nach der umfassenden Reisewarnung für US-Bürger riet die Obama-Administration allen US-Bürgern, ihre privaten Reisepläne beim Außenministerium im Detail zu registrieren.

Nach weiteren Angaben der NSA sollte die islamistische Terrorgruppe Al Kaida Anschläge auf Schnellzüge in Europa geplant haben. Das meldete auch die NSA. Die deutschen Behörden waren alarmiert. ICE-Trassen und Bahnhöfe wurden zusätzlich gesichert. Zivil-Streifen suchten nach Bombensätzen und Saboteuren.

Ebenfalls im August 2013 rief Großbritannien angesichts des Vormarsches islamistischer Gruppen in Syrien und dem Irak die zweithöchste Terror-Warnstufe aus. Die britische Innenministerin Theresa May sagte damals, dass ein „terroristischer Anschlag hoch wahrscheinlich“ sei. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sagte, dass sich die Menschen in Europa auf „die Möglichkeit von Anschlägen in Europa einstellen“ müssen.

Einen Monat zuvor hatten die USA ihre europäischen Verbündeten zu Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen gedrängt, von denen aus Direktflüge in die USA gingen. Hintergrund war die Sorge, dass sich Al-Kaida-Mitglieder in Syrien und Jemen zusammengeschlossen hätten, um Bomben zu entwickeln, die an Bord von Flugzeugen geschmuggelt werden könnten.

In die lange Liste der Terror-Warnungen kommt hinzu, dass US-Zeitungen kuriose Theorien über die Möglichkeiten von Terroristen aufstellen. In der Washington Post wurde im Oktober 2014 plötzlich die Möglichkeit diskutiert, islamistische Terroristen könnten ganz Amerika mit Ebola infizieren - indem sie das Virus in einer Pepsi-Flasche aus Afrika importieren.

Zuletzt hatte das Auswärtige Amt im September 2014 eine zusätzliche durchgehende Terror-Warnung vermeldet. Der Islamische Staat (IS) drohe „mit Anschlägen auf die Interessen von Ländern gedroht, die mit den USA verbündet sind.“ In einer Mitteilung heißt es:

„Auch wenn konkrete Hinweise auf eine Gefährdung deutscher Interessen im Ausland derzeit nicht vorliegen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch deutsche Staatsangehörige oder deutsche Einrichtungen im Ausland Ziel terroristischer Gewaltakte werden.“


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