Bundeskanzlerin Angela Merkel kämpft um eine eigene Linie in der Ukraine-Politik. In ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag musste die Kanzlerin vor allem dem immer stärker werdenden Druck der Amerikaner etwas entgegensetzen: Aus den USA und der Nato kommen immer lautere Rufe nach einer Bewaffnung der Ukraine und sogar nach einem direkten Militäreinsatz der Nato.
Merkel, die der Beschreibung der FT zufolge sehr müde wirkte, vermied jede Kritik an den USA und rief statt dessen die EU auf, in der Auseinandersetzung mit Russland Geschlossenheit und einen langen Atem zu haben. Ob der deutsch-französische Vermittlungsversuch zwischen Russland und der Ukraine wirklich Erfolg haben werden, sei ungewiss.
Merkel wies nach ihrer Rückkehr von gemeinsamen Gesprächen bei Putin immerhin die Forderungen nach Waffenlieferungen zurück. "Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainische Armee dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren", sagte sie. Das sei die "bittere Wahrheit", die man einfach zur Kenntnis nehmen müsse. Die Kanzlerin deutete an, dass es nur einen Fall geben, der dies ändern könnte, über den wolle sie aber gar nicht sprechen. Damit könnte sie ein direktes militärisches Eingreifen der Nato oder der USA gemeint haben. "Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt militärisch nicht gelöst wird", sagte sie.
Wie lange Merkel dem Druck der USA standhalten wird, dürfte sich bereits am Montag zeigen. Da reist die Kanzlerin zur US-Präsident Barack Obama. Die FT spekuliert bereits, dass die Kanzlerin in den USA bereis wegen ihrer zögerlichen Haltung an Reputation verloren habe und sich darauf einstellen müsse, in Washington auf einige Hardliner zu treffen.
Ein erste Duftmarke hat bereits Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove gesetzt: Der General sagte, der Westen solle Waffenlieferungen an die Ukraine nicht ausschließen. Die Lage dort verschlechtere sich, und darauf müsse der Westen reagieren, sagte Breedlove am Rande der Sicherheitskonferenz.
Merkel wich der direkten Konfrontation aus und übte sich stattdessen in europäischer Selbstkritik: Sie sagte, dass der Westen sich nicht auseinanderdividieren lassen dürfe. Sie sei besorgt, wenn sie sehe, dass in der EU bereits nach zwei Monaten die Frage gestellt werde, ob Sanktionen gegen Russland überhaupt wirkten. Die Demokratien müssten lernen, sich in einem hybriden Krieg gegen "gelenkte" Staaten durchzusetzen, die sehr viele nicht-militärische Mittel in diesem Konflikt einsetzen. Die europäischen Gesellschaften ließen sich dagegen sehr leicht verunsichern und hätten keinen langen Atem. "Das ist das, was mich viel mehr umtreibt."
Nach ihrer Rede traf Merkel in München mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und US-Vize-Präsident Joe Biden zu einem Dreiergespräch zusammen. Am Sonntag ist ein gemeinsames Telefonat der Kanzlerin und Hollandes mit Russlands Präsident Wladimir Putin und Poroschenko geplant.
Frankreichs Präsident François Hollande sprach nach der Rückkehr aus Moskau davon, dass sowohl Merkel als auch er Sorge vor einem Krieg hätten. "Wenn es uns nicht gelingt nicht nur einen Kompromiss, sondern einen dauerhaften Frieden zu finden, dann wissen wir ganz genau, was die Folge sein wird. Sie hat einen Namen, sie heißt Krieg", sagte er in Tulle.
Weder Merkel noch Hollande nannten Details ihrer Gespräche mit Putin am Freitag. Beide ließen auch die Erfolgsaussichten der Vermittlung offen. Es gebe keine Garantien. Die Erfahrungen, wie von russischer Seite frühere Vereinbarungen eingehalten worden seien, seien eher ernüchternd, sagte Merkel. Aber man müsse angesichts der militärischen Eskalation in der Ostukraine alle diplomatischen Möglichkeiten für eine Beilegung des Konflikts versuchen. "Deshalb gilt es jetzt mehr denn je, substanzielle Schritte festzulegen, die dazu dienen, das Minsker Abkommen mit Leben zu erfüllen", sagte Merkel. In Minsk hatten Russland, die Ukraine und die Rebellen im September einen Weg zur Deeskalation vereinbart, der aber in entscheidenden Punkten wie der Überwachung der ukrainisch-russischen Grenze oder dem Rückzug schwerer Waffen nicht eingehalten worden war. Die von Russland militärisch unterstützten Rebellen haben seither mehrere hundert Quadratkilometer der Region unter ihre Gewalt gebracht.
Die Kanzlerin erinnerte daran, dass sie als Ostdeutsche auch beim Fall der Berliner Mauer gelernt habe, dass man einen langem Atem haben müsse. Die USA hätten damals nicht militärisch eingegriffen. Dennoch habe am Ende die Entschiedenheit und Geschlossenheit des transatlantischen Bündnisses dafür gesorgt, dass die Mauer am Ende gefallen und die deutsche Einheit gekommen sei. Die EU und die USA müssten deshalb auch im Ukraine-Konflikt darauf bestehen, dass Völkerrecht eingehalten werde.
Russlands Präsident Wladimir Putin sagte dagegen am Samstag, dass Russland gegen niemanden Krieg führen wolle, eine einseitige Verschiebung der Weltordnung zugunsten der USA jedoch nicht hinnehmen werde.