Das von dem Kollaps des Banken-Systems kaum noch funktionsfähige Griechenland ist offenbar kaum noch in der Lage, das Flüchtlingsproblem im Land in den Griff zu bekommen. Die Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge seien in Griechenland «ausgesprochen prekär», sagte der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, António Guterres, am Donnerstag am Rande des EU-Innenministertreffens in Luxemburg. «Und die Bedingungen für eine Integration in die griechische Gesellschaft sind ebenfalls extrem prekär.»
Seit Jahresbeginn seien bereits 78.000 Migranten nach Griechenland gekommen. Viele reisten von dort in andere Länder weiter. «Daher beobachten wir mehr und mehr eine Bewegung von dort nach Mazedonien, Bulgarien, Serbien, Ungarn und dann immer weiter Richtung Norden», sagte Guterres.
Die Vereinten Nationen kooperierten mit der griechischen Regierung beim Aufbau des Asylsystems. Die Unterstützung in der Flüchtlingsfrage sollte aber «in die Verantwortung der Europäischen Union fallen», sagte Guterres.
Amnesty International fordert dringend eine Lösung in der EU-Flüchtlingspolitik. Die verheerende Lage in Griechenland und auch in Italien verlange rasch eine europäische Lösung. In einzelnen Flüchtlingslagern haben Caterer griechischen Medienberichten zufolge die Lieferung von Lebensmittel eingestellt, weil ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten. Amnesty gibt an, dass in den ersten drei Juni-Wochen 5.000 Flüchtlingen pro Woche auf den griechischen Inseln angekommen sind.
Die Lage ist offenbar kritisch. Die Zeit berichtet:
«Spätestens seit dieser Woche aber scheint die Situation in vielen Lagern zu eskalieren. Am Dienstag schrieben die zuständigen Regionalgouverneure einen Brandbrief nach Athen: Das zuständige Catering-Unternehmen für das Auffanglager in Samos habe seit Monaten kein Geld gesehen. Deshalb beliefere es seit Montag das Lager nicht mehr mit Nahrung. Die Behörden hätten keine andere Wahl gehabt, als die Türen der Flüchtlingslager zu öffnen. Die Flüchtlinge seien daraufhin in die Stadt gezogen, um selbst nach Essen zu suchen und irgendetwas zum Überleben zu finden. Organisationen wie das UNHCR, das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen und Human Rights Watch bestätigten die Darstellung der Gouverneure. Die Regierung in Athen hat mittlerweile mitgeteilt, dass das fällige Geld an das Unternehmen überwiesen wurde.»
Das Video am Anfang des Artikels zeigt, wie Flüchtlinge auf Lesbos auf einen Wagen einstürmen, in dem sie Nahrung erhoffen.
Die Lage könnte noch weiter eskalieren: Laut UNHCR sind allein aus Syrien 1,8 Millionen Menschen in die Türkei geflohen. Es ist zu erwarten, dass ein Teil von ihnen versuchen wird, über Griechenland nach Europa zu gelangen.
Doch die EU-Staaten sind nicht in der Lage, die Frage solidarisch zu lösen. Im Streit um die Verteilung von insgesamt 60.000 Flüchtlingen schaffen die EU-Länder ihr Ziel vorerst nicht. «Für die Umsiedlung sind wir noch nicht am Ziel», sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen am Donnerstag in Luxemburg. «Einige Staaten wollen sich erst in den nächsten Tagen festlegen, mit anderen Staaten werden wir sicher noch Gespräche führen.» Der für Immigration zuständige luxemburgische Minister Jean Asselborn sagte, man komme «in eine sehr akzeptable Nähe» zum Ziel. Bis Ende Juli sollen die Details stehen.
Innerhalb von zwei Jahren sollen 40.000 Asylberechtigte, also etwa syrische Kriegsflüchtlinge und Opfer der Militärdiktatur in Eritrea, von anderen EU-Ländern übernommen werden. Dies soll die Mittelmeerländer Italien und Griechenland von Bootsflüchtlingen entlasten.
Deutschland wird von den 40.000 Flüchtlingen 9.000 aufnehmen, sagte de Maizière. Dies ist mehr als zunächst angeboten und auch als die EU-Kommission mit 8763 Migranten vorgeschlagen hatte. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve kündigte an, 6.752 Flüchtlinge zu nehmen - exakt die Zahl des Kommissionsvorschlags. «Solidarität bedeutet auch, dass wir gemeinsam in der Verantwortung stehen», sagte Cazeneuve.
Außerdem sollen weitere 20.000 Menschen aus Lagern nahe der syrischen Grenze in der EU neu angesiedelt werden. «Wir liegen dort sogar etwas oberhalb der von den Regierungschefs angepeilten 2.0000», bilanzierte de Maizière. Deutschland werde von 3100 dieser Flüchtlinge aufnehmen.
Nach Angaben von Diplomaten weigern sich etliche der 28 EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen. Großbritannien hat dezidiert erklärt, an einer Aufteilung nicht mitzuwirken. Auch Polen weigert sich, eine größere Zahl aufzunehmen. Ungarn, das seine Quote erfüllt hat, will einen Grenzzaun errichten, um die Einreise zu stoppen. Die osteuropäischen und baltischen Staaten lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen ab.
In Österreich müssen Flüchtlinge im Lager Traiskirchen im Freien übernachten, weil das Lager überfüllt ist. Während der schweren Regenfälle der vergangenen Tage hat das Innenministerium Post-Busse in das Lager geschickt, damit die Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben. Die Slowakei hat mit Österreich einen Vertrag geschlossen und übernimmt 500 Flüchtlinge. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte: «Für Österreich ist das unterm Strich billiger.» Die Aussage stieß auf heftige Kritik bei Asyl-Organisationen, weil sie zum Ausdruck brächte, dass nicht das Menschenrecht auf Asyl gelte, sondern Flüchtlinge als Kostenfaktor behandelt würden. Das europäische Asylbüro EASO teilt die Kritik nicht, sondern lobt die Vereinbarung, weil sie den Flüchtlingen zumindest eine menschenwürdige Unterkunft brächte. Rechtlich ist der Vertrag ein Problem, weil sich die Flüchtlinge nun illegal in der Slowakei aufhalten.
Tschechien, das sich vehement gegen verbindliche Quoten gestellt hatte, will insgesamt 1.500 Flüchtlinge aufnehmen, wie ein Regierungssprecher in Prag ankündigte. Es handele sich um eine «einmalige Solidaritätsaktion», sagte demnach Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Gegen eine Quote waren vor allem osteuropäische und baltische Staaten, die selten das Ziel von Migranten sind.
Beim EU-Gipfel Ende Juni hatten die EU-Staaten die von der EU-Kommission vorgeschlagene feste Quote für jedes Land blockiert. Stattdessen vereinbarten sie, auf freiwilliger Basis Migranten aufzunehmen. De Maizière mahnte: «Das Thema Flüchtlinge ist für Europa eine historische Herausforderung.» Einige Länder fürchteten Sog-Effekte.
Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, António Guterres, forderte in Luxemburg mehr Einsatz von der EU. «Wir bedauern den freiwilligen Charakter des Umverteilungsprogramms», sagte Guterres. «Europa wird in den kommenden Monaten einer Situation gegenüberstehen, in der es gefragt sein wird, sehr viel mehr zu tun.» Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ist die Zahl der syrischen Kriegsflüchtlinge im Ausland auf mehr als vier Millionen und damit auf einen neuen Höchststand gestiegen.
Hintergrund ist, dass nach dem Dublin-Abkommen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Laut EU-Diplomaten kann die Verteilung frühestens im Spätsommer beginnen.