Politik

Flüchtlinge: Eine Folge der globalen Wirtschafts-Kriege

Lesezeit: 10 min
24.08.2015 02:30
Die Flüchtlings-Welle ist nicht mit moralischen Appellen an die Rechtsextremen zu stoppen. Europa muss endlich außenpolitisch erwachen und die verbündeten USA zwingen, ihre willkürlich angezettelten globalen Wirtschafts-Kriege zu beenden. Sonst fällt die Welt in ein finsteres Mittelalter zurück. Krieg ist kein Schicksal. Er wird von Menschen gemacht. Er muss von Menschen verhindert werden.
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Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge müssen mit äußerster Härte bestraft werden – ohne Wenn und Aber. Die Flüchtlinge haben ein Recht auf menschenwürdige Behandlungen und eine Perspektive in Europa – unbedingt und ohne Einschränkungen! Aber die Regierungen sind nicht dazu da, gefühlsduselige Symbol-Aktionen zu zelebrieren: Sie müssen endlich außenpolitisch erwachen und die vom Westen angezettelte Zerstörung in den Krisen-Gebieten stoppen. Niemand wird freiwillig ein Flüchtling. Es gibt ein Menschenrecht auf friedliches Leben in der eigenen Heimat.

In Europa herrschen jedoch Ohnmacht und Ratlosigkeit wegen der angeblich so überraschenden „Flüchtlings-Wellen“ aus aller Welt. Angela Merkel beklagt die Zustände, als wäre sie völlig überrascht, und sehe sich mit einem völlig unvorhersehbaren Unglück konfrontiert. Alle europäischen Politiker bedienen sich des Themas auf ihre Weise.

Die Rechtsextremen stempeln die Flüchtlinge pauschal als Schmarotzer ab, die sich den hart erarbeiteten Wohlstand der Europäer krallen wollen. Sie schüren die latenten Ängste vor einer „Überfremdung“. Sie malen apokalyptische Schreckensbilder von „Völkerwanderungen“ und Millionen, die Europa angeblich überrennen wollen. Sie bereiten mit dem Schüren einer irrationalen Angst den Boden für jene Kriminellen, die Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge praktizieren. Sie nehmen Verbrechen in Kauf, um Stimmen zu gewinnen. Sie hantieren mit Phrasen wie: „Wir können ja nicht jeden aufnehmen!“, als wäre die Ursache von Flucht und Vertreibung ein unabwendbares Schicksal.

In den 1980er-Jahren gab es die Parole „Hunger ist kein Schicksal!“. Auch Krieg ist kein Schicksal. Kriege werden von Menschen angezettelt und geführt. Kriege sind die Ursache für Flucht und Vertreibung. In einer Welt von G-20, G-7, UN und vielen anderen internationalen Organisationen muss es auch Kriegs-Verhinderer-Allianzen geben. Auch in der arabischen Welt gibt es solche Organisationen, wie Henryk Broder vor einiger Zeit sehr hellsichtig geschrieben hat: Er nannte die Arabische Liga und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Diese Organisationen tun so, als ginge sie das alles nichts an - und ergehen sich, so Broder, in pompösen Konferenzen und Schuldzuweisungen an den Westen. Von ihnen allen hören wir in der aktuellen Diskussion nichts. Es wird getan, als müssten wir uns in Europa gemeinsam mit den Vertriebenen ins Unvermeidliche fügen.

Die Volksparteien fahren eine populistische und kurzsichtige Doppel-Strategie: Sie überbieten sich einerseits in rührseligen Appellen an die Bevölkerung, man möge doch nicht so hartherzig sein. Zum anderen schielen sie auf die Erfolge der Rechtsextremen, übernehmen ihre Positionen in parfümierter Form und betätigen sich als Echo von „Volkes Stimme“, um nicht zu viele Wähler zu verlieren. Das Geschacher in den EU-Staaten um eine Flüchtlingsquote ist eine Schande und Ausdruck dieser Haltung.

Die Wirtschaftsverbände hoffen, dass unter den Flüchtlingen genug qualifizierte Arbeitskräfte sind, um die Überalterung des Kontinents aufzufangen. Viele Medien feiern sich selbst als wahre Humanisten, indem sie ethische Mindeststandards im Kostüm einer moralischen Avantgarde zelebrieren. Der ZDF-Moderator Claus Kleber brach kürzlich live in Tränen aus, weil ein Bus-Fahrer die Flüchtlinge als Menschen behandelt und ihnen „Willkommen!“ zuruft. Alle sind ergriffen und mitunter fast trunken vor so viel „Gutem“ in ein paar Sekunden in der Tagesschau.

Der ZDF-Moderator sollte besser jedes Mal in Tränen ausbrechen, wenn er routiniert und technisch von den Kriegs- und Krisenschauplätzen berichtet: Dort nämlich werden die Flüchtlingswellen ausgelöst – und es sind keine „Naturkatastrophen“, die die Menschen aus ihren Heimatländern vertreiben, auf gefährlichen und teuren Wegen in eine ganz und gar ungewisse Zukunft. Sie werden vertrieben, weil fremde Mächte im Verbund mit lokalen Verbrecher-Organisationen und korrupten Regierungen den Bürgern der eigenen Länder zu verstehen geben, dass sie zu Hause nicht mehr „willkommen“ sind, dass sie Fremde in der eigenen Heimat geworden sind. Westliche Werte werden dort verteidigt, wo der Westen auf lukrative Geschäfte mit lokalen Diktatoren verzichtet. Lokale Diktatoren nutzen die Kriege in ihren Ländern, um noch mehr Terror aufzubauen. Sie müssen von der Weltgemeinschaft geächtet werden. Das Argument, wenn wir nicht die Geschäfte machen, machen sie andere, ist unzulässig: Wozu treffen sich die Führer der Welt denn eigentlich andauernd bei Gipfeln, wenn sie nicht genau dafür verbindliche Standards vereinbaren können?

Hilfsorganisationen kommen kaum noch nach, um an den Schauplätzen des Grauens die notdürftigste Versorgung sicherzustellen. Wer soll es den Menschen verdenken, dass sie fliehen? Die Unterscheidung zwischen „Kriegsflüchtlingen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ ist der Gipfel des selbstgefälligen Zynismus, der in allen europäischen Parteien längst zum Basis-Jargon gehört. Man kann natürlich nicht zwischen zwei solchen Kategorien unterscheiden: Alle modernen Kriege sind auch Wirtschaftskriege. Es ist gar nicht mehr festzustellen, ob jemand flüchtet, weil er mit einem Gewehr bedroht oder wegen Verarmung dem Tod ins Auge blickt.

Die modernen Kriege erfolgen längst nicht mehr nach den rudimentären Regeln der Haager Landkriegsordnung: Seitdem die „gezielte Tötung“ als legitime Kampfart gegen den „Terror“ üblich geworden ist, kann sich die Zivilbevölkerung nicht mehr schützen. Sie kann sich auch nicht wirtschaftlich schützen, wenn Wirtschaftssysteme im Dienst der angeblich guten Sache zerstört werden, um irgendwelchen „Terroristen“ keinen sicheren Hafen mehr zu bieten. Der sogenannte „Islamische Staat“ ist unter anderem deshalb so erfolgreich, weil er vielen Männern den einzigen Job bietet, mit dem sie ihre Familien ernähren können: Der Berufsstand des Söldners ist die sicherste Betätigung, die in den aktuellen Kriegsgebieten Einkommen und Arbeit sicherstellen kann.

Menschen werden zu Flüchtlingen, wenn ein Krieg ihr Heimatland zerstört. In der Regel sind es geopolitische Interessen, die Regionen verwüsten. Fast immer haben irgendwelche Großmächte ihre Hände im Spiel. Fast immer profitieren auch jene Länder, die sich als Hort des Guten, als Bewahrer der Werte, als Hüter von Menschenrechten und Demokratie gerieren.

Und darüber müssten die Tagesschau- und „heute journal“-Sprecher jeden Tag in Tränen ausbrechen - und zwar nicht solchen, die ihnen tausendfachen Zuspruch in den sozialen Netzwerken bescheren. Sie müssten in Tränen des Zorns ausbrechen, mit denen sie riskieren, ihren Job zu verlieren. Denn die Verantwortlichen für die Kriege dieser Welt sitzen nicht in einem fremden galaktischen Raumschiff, sondern in den Regierungsgebäuden von Berlin, Washington, Moskau, Teheran, Peking, London, Wien usw. Dort, wo es eine freie Presse gibt, wäre scharfe Kritik an der mittlerweile schon fast routinemäßigen Kriegstreiberei der größte Dienst an den Flüchtlingen, nicht der ganz und gar gefahrlose Appell an die „Menschlichkeit“ der „Mitbürger“.

Die rechtsextremen und fremdenfeindlichen Auswüchse sind nicht die Ursache für das Leid der Flüchtlinge, sondern gedeihen in all ihrer Scheußlichkeit in einem Umfeld einer abgestumpften Politik und Öffentlichkeit, die so tun, als wäre das Problem isoliert zu betrachten. Selbstverständlich gehören all jene, die gegen Flüchtlings- oder Asylanten-Einrichtungen oder gegen Migranten Gewalt oder Hetze anwenden, mit aller Härte des Gesetzes bestraft. Sie gehören ins Gefängnis. Aber sie agieren nicht im luftleeren Raum: Auch die Medien müssen sich fragen, ob sich nicht mit ihrer sehr simplifizierenden Berichterstattung über den „Islamischen Staat“ und seinen Mördern genau jene Ängste schüren, die sie auf der anderen Seite zu Recht als Problem identifizieren? Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Ayman Mazyek, hat kürzlich auf den DWN gebeten, man möge den „IS“ wenigstens unter Anführungszeichen setzen - um die Muslime von einem ungeheuerlichen Generalverdacht zu entlasten.

Doch das Leid der Flüchtlinge beginnt nicht bei ihrem Grenzübertritt nach Deutschland. Das Leid der Flüchtlinge beginnt, wenn ihre eigene Heimat zum Spielball der geopolitischen Interessen wird: Libyen war stabil, bis der Westen unter Führung der USA mit dem Sturz von Ghaddafi das Land ins Chaos stürzte. Der Irak war stabil, bis George W. Bush ihn zum Reich des Bösen erklärte. Syrien war stabil, bis Obama sagte, Assad sei ein Massenmörder.

Beispiel Afghanistan: Der Westen hat Unsummen in den Krieg gesteckt, Deutschland eingeschlossen. Zuvor hatte bereits die damalige Sowjetunion das Land verwüstet. Das Ergebnis: Das Land ist am Ende und hat keine Zukunft. Die Versprechungen der verschiedenen US-Regierungen, Bundesregierungen, UN-Gremien oder „Friedenskonferenzen“ sind leere Phrasen geblieben. Profitiert hat die internationale Rüstungsindustrie.

Eine ganze Generation von Afghanen ist auf der Flucht, tausende davon wollen nach Deutschland. Sie zählen zu jenen, die die Deutschen fürchten und denen Angela Merkel so völlig hilf- und ratlos gegenübersteht.

Afghanistan gehört seit Jahren zu den Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Allein im Juli 2015 wurden 2.104 Erstanträge auf Asyl von Afghanen gestellt. Damit war Afghanistan nach Syrien und Albanien das drittstärkste Herkunftsland. Im ersten Halbjahr 2015 stellten insgesamt 10.191 Afghanen einen Erstantrag, was 5,2 Prozent aller Anträge entsprach. Damit war Afghanistan auf Platz 6 der zugangsstärksten Herkunftsländer, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilt.

2014 war Afghanistan laut BAMF mit 9.115 Erstanträgen auf Platz 4. Im Jahr 2013 belegten 7.735 Erstanträge von Afghanen ebenfalls Platz 4, so das BAMF.

Doch warum kommen die Afghanen überhaupt zu uns? Führen die Nationen des Westens nicht seit Jahren einen gerechten Krieg am Hindukusch, mit dem Ziel, dort eine blühende Demokratie zu errichten, in der einzig die Charta der Menschenrechte gilt?

Der Krieg in Afghanistan hat ungeheure Summen verschlungen: Das US-Congressional Research Service beziffert die Kosten des Afghanistan-Einsatzes insgesamt auf 686 Milliarden Dollar.

Die FAZ berichtet:

„Einer Rechnung der Financial Times zufolge erreichen die Kosten bis jetzt fast eine Billion Dollar, mehrere hundert Milliarden Dollar an Kosten kämen noch hinzu. 80 Prozent der Kosten seien während der Präsidentschaft von Barack Obama angefallen. Allein 756 Milliarden Dollar hätten die Vereinigten Staaten in den Krieg gesteckt, zum großen Teil über das Verteidigungsministerium, aber auch über das Außenministerium. Weitere 100 Milliarden Dollar seien in Aufbauhilfe geflossen. Die Zeitung zitiert zudem eine Untersuchung der City University of New York, der zufolge 125 Milliarden Dollar an Zinsen für die Kredite fällig geworden seien.“

Eine Studie der Harvard-Ökonomin Linda Bilmes bezeichnet die Kriege in Afghanistan und dem Irak als „die teuersten in der Geschichte der USA“. Sie bezieht medizinische Folgekosten für die Versorgung von Kriegsveteranen mit ein und kommt für die Kriege in Afghanistan, dem Irak und Pakistan zusammen auf zwischen 4 bis 6 Billionen Dollar statt der von der US-Regierung angegeben 1,6 Billionen Dollar.

Deutschland, das nun von Afghanistan-Flüchtlingen „überschwemmt“ wird, hat ebenfalls gigantische Beträge in diesem „gerechten“ Krieg gesteckt. Die Bundesregierung gibt die Kosten laut Tagesschau offiziell mit 8,8 Milliarden Euro für zehn Jahre Afghanistan-Feldzug an.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beziffert die Kosten laut FAZ für zehn Jahre Afghanistan-Einsatz für Deutschland auf 22 Milliarden Euro (17 Milliarden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung plus 5 bis zum vollständigen Abzug). Enthalten sind dabei auch Investitionen des Entwicklungsministeriums oder des Auswärtigen Amts zur Stabilisierung der Region oder gesellschaftliche Kosten durch Tod oder Verletzung von Soldaten sowie die Besoldung der Einsatzkräfte.“

Und wozu hat dieser ungeheure Mitteleinsatz geführt?

Eine Analyse von Reuters gibt einen erschütternden Eindruck von der Hoffnungslosigkeit in dem Land:

Ein halbes Jahr nach dem Abzug der meisten ausländischen Truppen vom Hindukusch geben immer mehr Afghanen die Hoffnung auf eine Zukunft im eigenen Land auf. Allein in Deutschland suchten in den vergangenen sechs Monaten fast doppelt so viele Menschen aus Afghanistan Zuflucht wie im gleichen Zeitraum 2014: Die Zahl der Asylanträge von Afghanen stieg nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von etwa 4200 auf gut 7900. Auch die Afghanen tragen damit nach über 13 Jahren Bundeswehr-Einsatz in ihrem Land und vielen Milliarden Euro Aufbauhilfe zum wachsenden Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland bei. Im Vergleich zur stärksten Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien mit knapp 32.500 Asylanträgen und fast ebenso vielen Aufnahme-Begehren von Kosovaren machen sie allerdings nur einen relativ kleinen Anteil aus.

In der afghanischen Hauptstadt Kabul stehen jeden Tag Hunderte Männer vor der Passbehörde Schlange. Viele von ihnen wollen das Land verlassen, das ihnen keine Perspektive bietet und immer tiefer in der Gewalt versinkt. Der Abzug eines Großteils der Nato-Truppen, die viele Einheimische beschäftigten und hohe Summen in dem Land ausgaben, hat Afghanistan zudem in einen wirtschaftlichen Schock versetzt. Die Arbeitslosenquote schnellte im vergangenen Jahr nicht zuletzt deshalb drastisch in die Höhe. Nach Schätzungen von Experten waren Ende 2014 bis zu 50 Prozent der Afghanen arbeitslos oder unterbeschäftigt.

Entlang der Straße von Kabul nach Dschalalabad verkaufen afghanische Auftragnehmer, die ein Jahrzehnt lang im Dienst der ausländischen Truppen standen, inzwischen Hunderte Kräne, Bagger und Zugmaschinen, mit denen früher Militärcamps und Bauten für Entwicklungshilfeprojekte errichtet wurden. Käufer für das schwere Gerät finden sich allerdings kaum.

Die Lage in Afghanistan wird sich also weiter verschlechtern. Ähnliches gilt für den Irak, Syrien oder Libyen.

Die Flüchtlingsströme werden anschwellen, so lange die westliche Öffentlichkeit akzeptiert, dass die globale Außenpolitik heute nicht mehr von verantwortungsbewussten Politikern, sondern von Geheimdiensten, Wirtschaftslobbys, PR-Firmen und Militär-Apparaten gemacht wird. Es ist komplett widersinnig anzunehmen, dass in Afghanistan, Syrien oder dem Irak nicht auch ein Leben in Würde und mit wirtschaftlichem Erfolg möglich sein sollte. Wenn freilich all diese Regionen nur noch als Vorhöfe von globalen Interessen dienen, in denen sich die Amerikaner ausbreiten, die Russen ihre Interessen vertreten und die Chinesen die Krisenherde für eine globale Schnäppchenjagd nutzen, dann haben die Menschen dieser Länder keine Heimat mehr.

Das Mitleid, das ihnen die westlichen Gesellschaften entgegenbringen, darf nicht erst erwachen, wenn die Flüchtlinge in Zeltstädten oder Turnhallen in den deutschen Städten aufschlagen. Es muss einsetzen, wenn zu erkennen ist, dass Millionen durch eine skrupellose Politik entrechtet und somit in den Status der Flüchtlinge gezwungen werden. Niemand flieht freiwillig - aus Bequemlichkeit, Faulheit oder angeborenem Schmarotzertum. Flucht ist immer eine Reaktion auf Gewalt. Die Gewalttäter oder jene, die wegschauen, besuchen sich jedoch gegenseitig bei Staatsbesuchen. Sie verbreiten moralische Botschaften. Ihr Handeln ist jedoch das Gegenteil dessen, was sie predigen.

Die Aufgabe einer verantwortungsbewussten europäischen Politik besteht nicht darin, den Rechtsextremen nach dem Mund zu reden und gleichzeitig die Rechtsextremen zu verteufeln. Die Regierungen Deutschlands und der EU sind verpflichtet, den Flüchtlingen, die nach Europa kommen, sofort und unbürokratisch zu helfen. Genau dafür zahlen wir Steuern.

Zugleich müssen die Europäer den befreundeten Amerikanern in die Parade fahren und ihren Einfluss geltend machen, um die globale Zerstörung, die aus geopolitischen Erwägungen erfolgt, zu stoppen. Das echte „Mitleid“ manifestiert sich nicht darin, dass wir uns selbst auf die Schulter klopfen, wenn wir besonders „ergriffen“ oder verstört sind – über gute oder schlechte Taten. Das einzig wirkungsvolle „Mitleid“, das den Flüchtlingen hilft, ist eine Politik des kühlen Kopfes, des klaren Verstandes und des Rückgrats. Das Flüchtlingselend wird nur durch eine eiskalte „Realpolitik“ gestoppt, die die Unversehrtheit und die Würde des Menschen an jenen Orten durchsetzt, wo diese Menschen seit Generationen leben.

Das haben im übrigen sogar schon einige Amerikaner selbst erkannt. So sagte der frühere US-Außenminister Henry Kissinger in einem Interview für The National Interest vor wenigen Tagen einen Satz, der als Leitfaden für alle internationalen Konflikt herangezogen werden kann:

„Das Problem mit den US-Kriegen seit dem Zweiten Weltkrieg besteht in dem Versagen, die Strategie mit dem zu vereinbaren, was innenpolitisch möglich ist. Wir haben alle fünf Kriege, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg gefochten haben, mit großer Begeisterung begonnen. Aber die Falken haben nie durchgehalten. Am Ende waren sie in einer Minderheit. Wir sollten uns nicht in internationalen Konflikten engagieren, wenn wir nicht von allem Anfang an skizzieren können, wie das Ende aussieht. Wir sollten uns nicht engagieren, wenn wir nicht willens sind, die Sache so lange zu unterstützen, bis wir dieses Ende erreicht haben.“

Wenn die Europäer nicht aufpassen, werden sie die nächste Katastrophe bald erleben: In der Ukraine spitzt sich die Lage zu, die Nato rasselt schon mit den Säbeln. Die Nato und Russland bereiten sich auf einen Krieg gegeneinander vor, wie eine neue Studie aus den jüngsten Militärmanövern analysiert hat. Eskaliert die Situation in Europa, werden sich weitere Heerscharen auf den Weg machen müssen, um einem neuen Krieg zu entrinnen. Das Wesen der Menschlichkeit besteht nicht nur darin, die Wunden zu heilen, die Kriege verursacht haben: Wenn man Kriege verhindern kann, ist es die Pflicht von moralisch intakten Regierungen, diese mit allen Mitteln zu verhindern.

Immer wieder erklären alle möglichen Staats- und Regierungschefs ihren Bürgern, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Doch das gilt nicht nur für die Konsum-Vorteile, sondern auch für die sozialen Probleme: Alle haben eine gemeinsame Verantwortung. Krieg ist kein Naturereignis. Er ist von Menschen gemacht – und kann von Menschen verhindert werden. Zu diesem Zweck werden in der Demokratie Regierungen gewählt. Wenn sie – wie es scheint – anhaltend und kollektiv versagen, zerstören sie das System, das immer noch als das beste aller Gesellschaftssysteme anzusehen ist.

Am Ende werden alle verlieren. Die Welt wird zurückfallen in ein finsteres Mittelalter. Die Flüchtlinge, die jetzt nach Europa strömen, sind die Vorboten einer globalen Zerstörung von Wirtschaft, Humanität, Umwelt und Ressourcen. Wer diese Zeichen nicht erkennt, macht sich schuldig an den kommenden Generationen.

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