Politik

Neue Flüchtlings-Welle droht: Europa muss die Ukraine befrieden

Die EU und allen voran Deutschland sollten aus der Flüchtlings-Katastrophe die Konsequenzen ziehen: Die Ukraine darf nicht in einen neuen militärischen Konflikt schlittern. Es muss eine gemeinsame Lösung mit Russland gefunden werden – und zwar bald. Sonst ist das Land wirtschaftlich zerstört. Dies würde zu massiven Vertreibungen führen, mit einer neuen Flüchtlingswelle in Richtung Deutschland.
25.08.2015 00:03
Lesezeit: 3 min

Am Montag haben sich in Berlin Deutschland, Frankreich und die Ukraine getroffen. Merkel begründete die Tatsache, dass Russland nicht am Tisch war. Merkel erklärte, es sei darum gegangen, «aus ukrainischer Perspektive» Fragen vertieft zu besprechen. «Sie können davon ausgehen, dass es gleichrangige Kontakte mit dem russischen Präsidenten gibt», betonte die Kanzlerin. Und: «Ich schließe auch nicht aus, dass man sich wieder zu viert trifft.» Ein solches Treffen bezeichnete auch Hollande als wichtig.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ohnehin einer der besonnensten Politiker in diesem Trauerspiel, sagte: «Es kann eine europäische Friedensordnung am Ende nur mit der Einbindung Russlands geben.»

Das ist in der Tat so: Denn Russland und die Ukraine sind eng verwoben, wie Henry Kissinger neulich sehr klar erläuterte. Dies bezieht sich neben dem großen russischen Bevölkerungsanteil vor allem auf die Wirtschaft. Um diese ist es sehr schlecht bestellt: Der Economist berichtet, dass das BIP im zweiten Quartal um weitere 15 Prozent eingebrochen ist – nach 18 Prozent im ersten Quartal. Die Schulden-Quote liegt demnach bereits bei 100 Prozent des BIP. Die internationalen Gläubiger verhandeln mit der Regierung in Kiew über einen Schuldenschnitt.

Der IWF will den Schuldenschnitt – der Währungsfonds will, wie in Griechenland, sicherstellen, dass die Ukraine ihre Kredite beim IWF bedienen kann. Ein Gläubiger hat sich nicht an den Verhandlungen beteiligt: Russland sieht die die drei Milliarden Euro, die im Dezember fällig werden und die Moskau schon früher fällig stellen könnte, als Faustpfand für die Verhandlungen mit der EU und den USA.

Selbst ohne erneuten Kriegsausbruch wird sich die Lage in der Ukraine dramatisch verschlechtern: Die neuen Kredite des IWF und der EU werden dazu dienen, den IWF auszubezahlen. Für wirtschaftliche Impulse hat die Regierung in Kiew keine Spielräume.

Die Folgen sind klar: Eine Flüchtlingswelle aus der Ukraine in Richtung Westeuropa ist nur eine Frage der Zeit. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Menschen wegen Kampfhandlungen oder wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit vertrieben werden. Der Ukraine droht ein Schicksal wie Afghanistan, dem Irak oder Syrien. Wenn die Leute keine Lebensgrundlage haben, werden sie aus ihrer Heimat vertrieben. Alle modernen Kriege sind Wirtschaftskriege. Die Zivilbevölkerung wird als Geisel genommen. Jeder einzelne Ukrainer hat vor diesem Hintergrund das Recht, das Land zu verlassen. Schon in der ersten Kriegswelle sind hunderttausende nach Russland vertrieben worden. Die russische Regierung hat um dieses Flüchtlingsdrama wenig Aufhebens gemacht. Sie hat die ukrainischen Staatsbürger aufgenommen – trotz erheblicher Kosten.

Daher ist es nun unerlässlich, dass Angela Merkel vor allem der Regierung in Kiew ins Gewissen redet und die merkwürdige Truppe dazu zwingt, ihre martialischen Töne und vor allem die fortgesetzten Provokationen der ukrainischen Armee sofort einzustellen. Putin muss dasselbe von den Rebellen im Osten verlangen. In den vergangenen Wochen hat die Ukraine mehr aggressive Handlungen gesetzt als die Rebellen. Dies scheint auch der Bundesregierung klar geworden zu sein. Merkels Stellungnahme vermied eine einseitige Schuldzuweisung an Putin.

Diese lieferte umso deutlicher der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Die dpa berichtet, Poroschenko habe zum Nationalfeiertag auf dem Maidan in Kiew mehr als 2.000 Soldaten von der ostukrainischen Kriegsfront aufmarschieren lassen. Poroschenko behauptete in seiner Rede, Russland habe an der Grenze zur Ukraine mehr als 50.000 Soldaten stationiert. Im Kriegsgebiet Donbass seien 40.000 Kämpfer im Einsatz, darunter 9.000 aktive russische Militärangehörige. Weiter sagte Poroschenko: «Moskau hat den Kämpfern bis zu 500 Panzer, 400 Artilleriesysteme und 950 Schützenpanzer geliefert. Allein in dieser Woche haben drei große Kolonnen unsere Grenze in Richtung Luhansk, Donezk und Debalzewe überschritten.» Der Präsident kündigte eine weitere Stärkung des eigenen Militärs an.

Keine dieser Behauptungen ist auch ansatzweise bewiesen. Die Horror-Zahlen sind in höchstem Maße unglaubwürdig: Würde Russland wirklich mit zehntausenden Soldaten an der Grenze aufmarschieren, so hätten dies die US-Spionage-Satelliten längst gemeldet.

Poroschenko darf das Geld der europäischen Steuerzahler nicht für eine weitere Aufrüstung und Militär-Paraden verschwenden. Er ist verantwortlich dafür, dass das Land wirtschaftlich auf die Beine kommt – so schwer das auch sein mag.

Für die Bundesregierung ist es nun zwingend notwendig, sich aus der Entmündigung durch die Nato zu befreien und klarzumachen, dass es mit Deutschland keinen Krieg in der Ukraine geben werde. Auch Putin muss sich gegenüber seinen Armee-Hardlinern durchsetzen. Die Militär-Manöver von Nato und Russland sprechen noch eine andere Sprache: Beide Blöcke lassen ihre Armeen aufmarschieren und bereiten sich auf einen Krieg gegeneinander vor.

Das Treffen in Berlin mag ein erster Schritt gewesen sein. Weitere sind unerlässlich, um ein jahrzehntelanges Desaster mitten in Europa zu verhindern.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Panzer oder Chips: Europas Rüstungsaktien überholen Tech-Aktien
26.06.2025

Rüstungsaktien überflügeln Tech-Aktien – Europas Waffenhersteller sind an der Börse teurer als Nvidia & Co. Doch wie lange kann das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Pleitewelle rollt: Rekordstand bei Firmeninsolvenzen
26.06.2025

Die Zahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland steigt auf ein Zehnjahreshoch – trotz abgeflauter Dynamik. Besonders betroffen sind der...

DWN
Finanzen
Finanzen Verbraucher sparen lieber, als ihr Geld auszugeben
26.06.2025

Die Deutschen halten ihr Geld zusammen – trotz besserer Konjunkturaussichten. Eine neue Studie zeigt: Aus Angst vor wirtschaftlicher...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Leica mit Rekordumsatz: Kamera-Pionier setzt auf Smartphone-Erfolg
26.06.2025

Leica wächst weiter: Mit einem Rekordumsatz im Rücken und einer traditionsreichen Geschichte treibt der Kamera-Hersteller seine Expansion...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse: Bundestag beschließt Verlängerung bis Ende 2029
26.06.2025

Die Mietpreisbremse soll weitere vier Jahre gelten – doch sie ist umstritten wie eh und je. Während der Eigentümerverband sie für...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis im Höhenflug: Anleger in der Falle?
26.06.2025

Der Goldpreis eilt von Rekord zu Rekord, doch Experten warnen: Wer jetzt einsteigt, könnte in eine gefährliche Falle tappen. Was Anleger...

DWN
Immobilien
Immobilien Erbschaftsteuer Kinder - mit diesen Tipps lässt sich bei Immobilien viel sparen
26.06.2025

Geht es ans Erben, haben Kinder hohe Freibeträge, die jedoch bei Immobilienbesitz oder anderen hohen Vermögen schnell aufgebraucht sind....

DWN
Panorama
Panorama Iranische Atomanlagen: Wie stark die US-Angriffe wirklich trafen
26.06.2025

Nach dem massiven Luftangriff der USA auf Irans Atomanlagen überschlagen sich die Einschätzungen. Präsident Trump spricht von völliger...