IWF-Chefin Christine Lagarde vollzieht offenbar eine Kehrtwende in der Frage nach einem Schuldenschnitt für Griechenland auf: Schuldenerleichterungen seien nach Ansicht von Lagarde ausreichend, um das Euro-Land wieder auf die Beine zu bringen. "Wir sprechen nicht über den Erlass von Schulden", sagte Lagarde in einem Interview der Schweizer Zeitung Le Temps vom Samstag. Verhandelt werde vielmehr über eine Verlängerung von Kreditlaufzeiten, eine Senkung von Darlehenszinsen sowie die Stundung von Zahlungen. Eine solche Umstrukturierung der Verbindlichkeiten sollte reichen, damit die Griechen ihre derzeit nicht tragfähigen Schulden in den Griff bekommen. Lagarde äußerte sich nicht zu der Frage, ob sich der Internationale Währungsfonds (IWF) auch am dritten Hellas-Kreditpaket in Höhe von 86 Milliarden Euro beteiligt.
Diese Position ist neu: Noch vor wenigen Wochen hatte der IWF eine Berechnung vorgelegt, der zufolge nur ein massiver Schuldenschnitt Griechenland entlasten könne. Doch die Aussicht, dass die europäischen Steuerzahler nun die Schulden für Griechenland übernehmen und damit auch die Rückzahlungen der IWF-Kredite sichergestellt ist, scheint diese Berechnungen obsolet zu machen.
Der IWF hatte sich in der Griechenland-Debatte für Schuldenerleichterungen eingesetzt. Griechenlands Geldgeber aus der Euro-Zone wie vor allem die Bundesregierung hatten jedoch einen regelrechten Schuldenschnitt ausgeschlossen. Lagarde erklärte in dem Interview, eine Debatte über einen Schuldenschnitt sei nie eröffnet worden. "Ich denke nicht, dass es nötig ist, sie zu anzufangen, wenn die Sache gut läuft."
Unlängst hatte auch der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, erklärt, ein Schuldenschnitt scheide als Option aus. Regling sagte zudem, er rechne mit einer IWF-Beteiligung am neuen Kreditpaket.
IWF-Chefin Christine Lagarde, die in heißen Phase der Griechenland-Debatte abgetaucht war, unternimmt mit diesem sehr überraschenden Vorstoß offenbar den Versuch, Wahlkampf in eigener Sache zu betreiben: Lagarde möchte eine weitere Periode auf dem Posten verbringen und muss dazu rechtzeitig sicherstellen, keine mächtigen Widersacher aufkommen zu lassen. Ein Konflikt mit Angela Merkel, mit der sie seit langem gut befreundet ist, ist in diesem Kontext nicht wünschenswert.
Der englischsprachige Dienst von Reuters enthüllt zum Thema des Schuldenstreits zwischen der EU und dem IWF einige interessante Details: Demnach waren die Franzosen unter Nicholas Sarkozy bereits 2010 strikt gegen die Einbeziehung des IWF. Doch Angela Merkel soll darauf bestanden haben: Sie misstraute der EU-Kommission, die keine Krisenerfahrung habe. Doch bereits 2011 sollen sich die Stimmen im IWF gemehrt haben, die einen Schuldenschnitt für unerlässlich hielten: Der damalige IWF-Chef Dominque Strauss-Kahn macht sich sich höchstpersönlich auf den Weg nach Berlin, um Merkel einen Schuldenschnitt abzuringen. Er kam jedoch nur bis zum New Yorker Kennedy-Airport: Wegen einer Affäre mit einem Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel wurde Strauss-Kahn aus dem startbereiten Flugzeug geholt und verhaftet. Er verlor seinen Job. Seine geplante Diskussion mit Merkel über den Schuldenschnitt fand nie statt.