Die Krise ist in Portugal offiziell vorbei - die Wut und die Unzufriedenheit halten im ärmsten Land Westeuropas aber an. Das wurde am Sonntag bei der Parlamentswahl deutlich, als viele Menschen ihrem Ärger ob der Kürzungen und Steuererhöhungen im Euro-Land lautstark Luft machten. «Ich wähle, damit mein nach London ausgewanderter Sohn endlich zurück kann», rief zum Beispiel eine Frau vor einem Wahllokal in der Hauptstadt Lissabon, berichtet die dpa.
Zur Abstimmung stand vor allem die seit gut vier Jahren anhaltende strenge Austeritätspolitik der konservativen Regierung von Pedro Passos Coelho (51). Und die hat Stimmen gekostet: Das Zweiparteienbündnis «Portugal à Frente» (PaF/Portugal voran) von Passos ging zwar nach Auszählung von 88 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft aus dem Urnengang hervor, verlor aber die absolute Mehrheit der Sitze im Lissabonner Parlament.
Knapp 300 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt, in Erada, beließ es eine Gruppe empörter Mütter nicht beim verbalen Protest gegen die Sparwut. Aus Ärger über die Schließung der einzigen Schule der 750-Einwohner-Gemeinde sperrten die resoluten, ganz in schwarz gekleideten jungen Frauen den Zugang zum örtlichen Wahllokal mit einem großen Vorhängeschloss ab. Die Polizei musste mit Werkzeug anrücken und Abhilfe schaffen.
«Wir wollen einen anderen Weg gehen als den des Herrn Schäuble, weil sein Weg Portugal schadet», hatte der Spitzenkandidat der Sozialisten (PS), António Costa (54), zum Abschluss des Wahlkampfs in Abgrenzung zum Kurs des deutschen Finanzministers gerufen. Die PS bekam weniger Stimmen als erwartet, setzte am späten Abend aber weiterhin auf einen sehr knappen Wahlausgang, der eine äußerst komplizierte Regierungsbildung erwarten lässt.
Während PáF am späten Sonntagabend an der 41-Prozent-Marke kratzte, lag die PS von Costa bei knapp 32 Prozent. Zusammen mit den beiden anderen Parteien, die ins Parlament kamen und beide noch stärker linksorientiert sind, die CDU und der marxistische Linksblock (BE), könnte die PS theoretisch koalieren. Die BE lag bei 9,2 Prozent der Stimmen, die CDU bei 7,5 Prozent.
Mit seiner strengen Sparpolitik hat der studierte Ökonom Passos zwar verhindert, dass Portugal nach der 78-Milliarden-Euro-Hilfe von EU und IWF im Jahr 2011 zu einem «zweiten Griechenland» wurde. Und nicht nur das. Neben dem Haushaltsdefizit wurde auch die Arbeitslosenrate gesenkt, auf zuletzt 12,4 Prozent. Nach drei Jahren unter dem EU-Rettungsschirm steht man finanziell wieder auf eigenen Beinen. Und die Wirtschaft wächst.
«Es geht hier aber nicht nur um Zahlen, sondern um Menschen», rief Sozialist Costa seinen Anhängern im Wahlkampf zu. Neben ihm standen mehrere Jugendliche, auf deren T-Shirts zu lesen war: «Ich will nicht auswandern müssen». Rund 500 000 zumeist junge und hoch qualifizierte Portugiesen kehrten ihrem Land seit Beginn der Krise den Rücken - jeder 20. Einwohner des 10,5-Millionen-Landes also.
Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Migration gab es 2014 trotz ersten Wirtschaftswachstums nach vielen Jahren keinen Umschwung:
110 000 Menschen hätten das Land verlassen, hieß es. Wohl auch deshalb, weil viele auch dann nicht über die Runden kommen, wenn sie einen Job haben. Der Anteil der Beschäftigten, die mit dem Mindestgehalt von 505 Euro auskommen müssen, stieg von 11,3 im Jahr 2011 auf 19,6 Prozent (2014) an. Als Kneipenbedienung in London oder Berlin machen Ingenieure oder Architekten oft mehr Geld als im Beruf daheim. Auch das erklärt die Stimmenverluste von PaF.