Politik

US-Geopolitiker Friedman: Deutschland ist sehr verwundbar geworden

Der US-Geopolitiker George Friedman sieht Deutschland in Europa unter Druck. Die Export-Nation braucht die anderen Staaten und wird daher für die Schulden der anderen haften müssen. Außenpolitisch hat Deutschland wenige Optionen: Die USA, Frankreich und Polen werden eine Annäherung an Russland unter keinen Umständen akzeptieren.
31.01.2016 00:41
Lesezeit: 4 min
US-Geopolitiker Friedman: Deutschland ist sehr verwundbar geworden
George Friedman ist Vorsitzender und Gründer der Firma Global Futures. (Foto: G. Friedman) Foto: HAJNAL ANDRAS www.hajnalandras.h

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bundeskanzlerin Angela Merkel steht sowohl im In- als auch im Ausland in der Kritik. Welche Rolle spielt sie in der EU-Krise?

George Friedman: Merkels Persönlichkeit ist nicht entscheidend. Deutschland ist eine der größten Exportnationen der Welt. Etwa 50 Prozent seiner Exporte werden in der Euro-Zone abgesetzt. Hier steht Deutschland vor einer entscheidenden Frage: Wollen wir Verantwortung für Europa übernehmen oder wollen wir abhängig sein von Europa? Deutschland wird Griechenland auf keinen Fall aus der Euro-Zone austreten lassen. Das gilt auch für andere Staaten wie Italien. Deutschland haftet als größter Staat in der Euro-Zone.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Wohlstand in Deutschland hängt auch von den hohen Exportraten in die Schwellenländer ab. Was aber passiert, wenn diese nach einer drastischen Zinserhöhung durch die US-Notenbank einen großen Crash erleben?

George Friedman: Die US-Notenbank wird die Zinsen garantiert nicht drastisch erhöhen. Deutschland hat ein ganz anderes Problem. Jede noch so kleine politische oder wirtschaftliche Veränderung in der Euro-Zone kann Deutschland negativ beeinflussen. Das Land ist sehr verwundbar.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es scheint, dass sich Europa politisch, wirtschaftlich und sozial im Abwärtstrend befindet. Täuscht dieser Eindruck?

George Friedman: Europa befindet sich in einem Prozess der institutionellen Desintegration. In Europa muss jeder Schritt von den Nationen entschieden werden. Die Nationen innerhalb der EU sollen zwar ihre Banken-Systeme kontrollieren und auf Fahrt bringen, doch sie verfügen über keinerlei Kontrolle über die Währungspolitik. Das ist ein Widerspruch. Sie können nicht jemanden für etwas haftbar machen, worauf er erzwungenermaßen keinen Einfluss hat. Deshalb versucht jeder Staat, seinen eigenen Weg zu gehen. Wir haben immer weniger Europa und immer mehr Nationen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Staaten sind weltweit im Aufwärtstrend?

George Friedman: In Europa ist es Polen. Das Land hat bereits heute einen enormen Einfluss auf seine Region. Dann gibt es da die Türkei, die ebenfalls im Aufstieg ist und die ihre Ambitionen knallhart durchsetzen wird. Als drittes Land, das sich im Aufwärtstrend befindet, können wir Japan nennen. Ich sage Ihnen aber auch, wer sich im Abwärtstrend befindet: China, Russland und Deutschland.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Auf welche Veränderungen müssen sich die Bürger in Deutschland einstellen?

George Friedman: Deutschland hat sich von Anfang selbst in die Ecke gedrängt, indem es davon ausgegangen ist, dass es keine Finanzkrise in Europa geben wird. Wenn sie davon ausgehen, dass es etwas nicht geben wird, treffen sie auch keine Vorkehrungen, vorausgesetzt sie haben die Fähigkeiten dazu. Die Deutschen prägen nach wie vor ihren nationalen Mythos der fleißigen, wertschöpfenden und hart arbeitenden Arbeiter, wohingegen die Griechen im Verlauf der Finanzkrise als die faulen Arbeitsverweigerer dargestellt wurden. Doch Deutschland ist hochgradig abhängig von seinen Exportmärkten und nicht von seinem Binnenmarkt. Wenn die Märkte verloren gehen, sieht es schlecht aus.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche langfristigen Folgen wird die Flüchtlings-Krise in Europa nach sich ziehen?

George Friedman: Es gibt keine Flüchtlings-Krise. In Europa gibt es keinen funktionierenden Entscheidungsprozess, der sich mit dem Thema Flüchtlinge auseinandersetzt und Lösungswege einleitet. In der Eurozone leben 338 Millionen Einwohner und in der gesamten EU leben 508 Millionen Einwohner. Es kommen schätzungsweise 1,5 bis zwei Millionen Flüchtlinge dazu. Diese Anzahl ist nicht der Rede wert, doch es gibt einen Mangel daran, damit umzugehen. Die Uhr in Brüssel tickt langsamer als die Uhr der globalen Realität.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der Ukraine, in Libyen und in Syrien toben Kriege. Alle Staaten befinden sich an der Peripherie Europas. Müssen wir auch künftig derartige Konflikte in der Mitte Europas befürchten?

George Friedman: Ein Krieg in der Mitte Europas bedeutet Frankreich gegen Deutschland, aber das ist nicht möglich. Es gibt ein anderes Problem. Wir beobachten, dass sich immer mehr Regionen von ihren Staaten loslösen wollen. Dazu gehören beispielsweise Katalonien, Schottland oder die belgischen Regionen Wallonien und Flandern. Hierbei muss man auch erwähnen, dass es keinen moralischen Anspruch mehr dafür gibt, beispielsweise die Abspaltung Kataloniens zu verhindern. Wenn die Katalanen sagen, sie möchten ihre Grenzen selbst kontrollieren, kann ihnen das keiner verwehren. Das ist ohnehin die eigentliche Frage: Wer kontrolliert die internen Grenzen in Europa? Wir sehen, dass die Grenzen innerhalb Europas zurückkommen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sehen Sie angesichts der islamistischen Terror-Attacken die Zukunft der Muslime in Europa?

George Friedman: Alle zeitgenössischen Terroristen sind Muslime, aber nicht alle Muslime sind Terroristen. Europa hat die Muslime zu sich eingeladen, weil es sich bei den Menschen um billige Arbeitskräfte handelt. In Deutschland wurden die Muslime von den Regierungen in Ghettos gesteckt und das nannte man dann Multikulturalismus. Es gibt eine Tatsache: Europa braucht über kurz oder lang muslimische Einwanderer. Wenn sie meinen, dass sie mit Hindus weniger Schwierigkeiten hätten, diese zu integrieren, dann täuschen sie sich. Integration ist eine mühsame Angelegenheit, mit der wir Amerikaner umgehen können. Die Europäer tun sich dabei schwer. Stellen sie sich vor, noch vor hundert Jahren wurden irische Katholiken in den USA als Trinker dargestellt, diskriminiert und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Doch das haben wir hinter uns.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Müssen die Muslime in Europa ein ähnliches Schicksal wie die bosnischen Muslime auf dem Balkan befürchten?

George Friedman: Das ist durchaus möglich. Europa hat eine fest verwurzelte Tradition der Diskriminierung von Außenstehenden. Hier möchten Dschihadisten ohne Zweifel durch Terror-Attacken und Propaganda Muslime und weiße Europäer radikalisieren und gegeneinander aufwiegeln. Terrorismus ist hierbei eine Methode, um Zwietracht zu säen. Wenn die Dschihadisten das erreichen, haben sie gewonnen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Russland soll nach Angaben des US-Kongresses Parteien und Bewegungen in Europa infiltriert haben. Nun sollen US-Geheimdienste erforschen, wie unterwandert diese sind. Stimmt das?

George Friedman: Wenn wir Informationen über derartige Probleme in Deutschland brauchen, fragen wir unsere deutschen Kollegen. Natürlich wollen wir wissen, was die Russen in Deutschland treiben. Doch Parteien wie den Front National würde es auch ohne Russland geben. Wenn Moskau denen Geldspritzen verpasst, so beschleunigen die Russen den Prozess des Aufstiegs derartiger Parteien, aber der Trend bleibt derselbe.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Haben die Amerikaner vielleicht Angst, dass Anti-Nato-Parteien tonangebend werden könnten in einigen EU-Nationen?

George Friedman: Für die USA ist die Nato lediglich ein politisches und kein wirklich militärisches Tool. Wenn internationale Einsätze durchgeführt werden sollen, sprechen wir uns mit unseren potentiellen Koalitionspartnern einzeln ab. Es gibt keine Nato, die eine Entscheidungsbefugnis darüber hat, Truppen nach Syrien zu entsenden. Wir verhandeln einzeln mit den Briten, den Franzosen oder Polen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben bei einer Rede am Chicago Council on Global Affairs gesagt, dass es das Ziel der USA sei, eine Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Glauben Sie, dass die USA auch im 21. Jahrhundert mit diesem Ansatz Erfolg haben werden?

George Friedman: Es sind nicht nur die USA, die eine Allianz zwischen Deutschland und Russland verhindern wollen. Es gibt kein einziges Land in Europa, das eine derartige Allianz befürworten würde. Polen und Frankreich sind beispielsweise vehemente Gegner einer derartigen Allianz. Eine Allianz zwischen Deutschland und Russland würde in Europa zu Angst und Schrecken führen.

***

George Friedman ist Vorsitzender und Gründer der Firma Global Futures, die auf geopolitische Prognosen spezialisiert ist. Davor war Friedman Vorsitzender der globalen nachrichtendienstlichen Firma Stratfor, die er im Jahr 1996 gegründet hatte. Er ist der Autor von sechs Büchern, zu denen auch die New York Times Bestseller „The Next Decade and The Next 100 Years“ und „Flashpoints: The Emerging Crisis in Europe“ gehören.

 

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