Politik

EU begehrt gegen Merkel auf: Türkei-Deal in Gefahr

Im Widerstand gegen Angela Merkels Deal mit der Türkei haben die kleinen EU-Staaten nun Unterstützung von EU-Präsident Tusk erhalten: Tusk sagt, der Deal müsse für alle Staaten akzeptabel sein. Im Grunde findet nur ein Punkt des Pakts einhellige Zustimmung: Griechenland soll 700 Millionen Euro erhalten, um die Grenzen zu schließen, um die Flüchtlinge von der Kern-EU fernzuhalten.
17.03.2016 11:43
Lesezeit: 3 min

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Das geplante Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise muss nach den Worten von EU-Ratspräsident Donald Tusk für alle 28 Mitgliedsländer akzeptabel sein. Dies gelte unabhängig von der Größe des Unionslandes, sagte Tusk am Donnerstag, offenbar mit Blick auf Zypern. Die zyprische Regierung hat mit einer Blockade des Abkommens gedroht, sollte sich die Türkei nicht Richtung Anerkennung des EU-Mitgliedslandes bewegen.

Tusk erwartete bei den am Nachmittag beginnenden Beratungen auf dem EU-Gipfel in Brüssel schwierige Gespräche. „Ich bin vorsichtig optimistisch, aber ehrlich gesagt bin ich eher vorsichtig als optimistisch.“ Neben der Bedingung, dass eine Einigung für alle 28 EU-Staaten akzeptabel sein muss, nannte er als weitere Voraussetzung die Vereinbarkeit mit internationalem Recht. Auch müsse durch das Abkommen das Ziel der EU gewährleistet sein, die Funktionsfähigkeit des Schengen-Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen wiederherzustellen.

Tusk hatte bereits in der Einladung zum Treffen klargemacht, dass es noch einen ganzen „Katalog“ an offenen Fragen gebe. Die Einladung, die Politico sehr geistreich analysiert, zeigt: Die EU hat nur ganz wenige Stunden Zeit, um den Deal mit der Türkei zu diskutieren – nämlich die Nacht. Bei den vergangenen Gipfeln sind in den Nachtsitzungen stets nur Alibi-Lösungen erzielt worden: So hatte Angela Merkel im Sommer 2015 mit Alexis Tsipras über Details der griechischen Rentenreform gefeilscht, um im Morgengrauen ein „Ergebnis“ präsentieren zu können. Griechenland befindet sich heute in schlechterem Zustand als vor einem Jahr und muss nun mit der Flüchtlingskrise eine neue Last schultern. Die Hilfe für Griechenland von der EU scheint der einzige Punkt zu sein, in dem sich die EU-Staaten einig sind.

Zuletzt hatten Bilder von Flüchtlingen aus Idomeni für Aufregung gesorgt: Deutsche und österreichische Aktivisten sollen hinter dem „Marsch der Hoffnung“ stecken, der durch einen Gebirgsbach führte und angeblich drei Todesopfer gefordert haben soll. Die griechische Regierung war erstaunlich schnell mit der Anschuldigung an die Öffentlichkeit gegangen. In Brüssel und Athen wird allerdings auch auf die Tatsache verwiesen, dass die griechische Regierung bisher keinerlei Anstalten gemacht hat, die Flüchtlinge und Migranten in Ideomeni in befestigte Lager zu bringen. Außer einer unverbindlichen Einladung hat sich Athen bedeckt gehalten. Auch wurde der seltsame Marsch an keiner Stelle von griechischen Sicherheitskräften gestoppt.

Griechenland hat die Bilder also mindestens in Kauf genommen – wohl auch, um der EU die Entscheidung zu erleichtern, die 700 Millionen Euro jetzt rasch zu überweisen.

Alle anderen Punkte sind absolut umstritten: Das beginnt bei den Zahlungen. Bis jetzt sind noch nicht einmal die 3 Milliarden Euro gesichert, die der Türkei versprochen wurden. Von den zusätzlichen 3 Milliarden Euro, die der türkische Präsident Erdogan fordert, ganz zu schweigen. Österreich wird vermutlich eine Art Verrechnungskonto fordern: Das Land beziffert die Mehrkosten für die Flüchtlinge mit 600 Millionen Euro, die Österreich von der EU ersetzt haben möchte. Die Osteuopäer haben Zahlungen an die Türkei bisher abgelehnt. Es ist daher denkbar, dass der Großteil der Summe von Deutschland, Frankreich und aus dem EU-Budget kommt.

In diesem Zusammenhang hat es sich Angela Merkel mit einem ihrer wichtigsten Verbündeten verscherzt: EU-Präsident Donald Tusk war beim vergangenen Gipfel überrollt worden. Sein mühsam unter den 28 Staaten ausgehandelter Entwurf wurde von Merkel beiseite gewischt. Tusk sprach daher bei seiner ersten Einladung zum Gipfel von einem „Vorschlag, der von Deutschland, den Niederlanden und der Türkei“ präsentiert worden und nun zu diskutieren sei – ein beispielloser Affront gegen Merkel im diplomatischen Umfeld.

Tusk ist dennoch bemüht, irgendein Ergebnis herbeizuführen. Die EU-Zentralstellen sind in der äußert misslichen Lage, dass ein Scheitern wieder einmal ihnen zugerechnet werden würde – obwohl sie in diesem Fall überhaupt nicht die Schuldigen sind. Doch der Zank und die Spaltung zwischen den Staaten geht nun sogar schon den notorischen Optimisten an die Substanz: EU-Präsident Martin Schulz sprach davon, dass er die reale Gefahr des Zerbrechens der EU sehe. Daher wird man sich auf dem Gipfel bemühen, das Porzellan nicht völlig zu zerschlagen. Zu einer tragfähigen Lösung der Flüchtlingskrise reicht die Kraft dagegen aktuell nicht aus.

 

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