Politik

Cameron ist dann mal weg: Heiterer Abschied von der EU in London

David Cameron wird als historischer Premier in die Geschichte Europas eingehen: Er hat die EU in ihrer bisherigen Form beendet, die Union muss sich nun völlig neu erfinden. Auffallend: Cameron geht mit einer heiteren Gelassenheit - als habe er eine lang geplante Mission erfolgreich abgeschlossen.
13.07.2016 18:49
Lesezeit: 2 min

Der scheidende britische Premierminister David Cameron ist im Buckingham-Palast eingetroffen, um bei Königin Elizabeth II. offiziell seinen Rücktritt einzureichen. Cameron fuhr am Mittwoch zusammen mit seiner Frau Samantha und seinen drei Kinder zur Residenz der Queen. Von seiner Abfahrt sagte er in einer letzten Stellungnahme in der Downing Street, es sei "die größte Ehre" seines Lebens gewesen, dort zu arbeiten.

"Mein einziger Wunsch ist anhaltender Erfolg für dieses großartige Land, das ich so sehr liebe", fügte Cameron hinzu. Der konservative Politiker hatte nach dem Brexit-Referendum vom 23. Juni seinen Rücktritt angekündigt. Am Mittwoch stand er dem britischen Parlament zum letzten Mal in einer Fragestunde Rede und Antwort.

Nachdem Elizabeth II. seinen Rücktritt offiziell angenommen hat, soll die 59-jährige Theresa May als zweite Frau nach Margaret Thatcher die Regierung in Großbritannien übernehmen. Sie wird nach Camerons Rücktritt am Abend ebenfalls im Buckingham-Palast empfangen, mit der Regierungsbildung beauftragt und symbolisch ernannt. Die Ernennung des britischen Premierministers findet traditionell in einer "Kissing Hands" genannten Zeremonie bei der Queen statt.

Cameron hatte sich zuvor mit einem Satz aus den Anfängen seiner politischen Karriere vom Parlament verabschiedet, dessen Saat er zu Beginn seiner Amtszeit gesät hatte: "Ich war einmal die Zukunft", sagte der 49-Jährige am Mittwoch bei seiner letzten Fragestunde im Londoner Unterhaus. Diesen Satz hatte der Tory-Politiker vor elf Jahren schon einmal über den damaligen Premierminister Tony Blair gesagt: "Ich will über die Zukunft sprechen. Er war einmal die Zukunft", hatte Cameron in seiner ersten Fragestunde als neugewählter konservativer Oppositionsführer gesagt.

Die kleine Reminiszenz war nur ein Scherz, den sich der Premier nach dem großen EU-Knall erlaubte. Cameron wirkte seit dem Referendum erleichtert, geradezu befreit. Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der gerade großen Schaden angerichtet haben soll. Schon in seiner ersten Parlamentsrede sagte er klipp und klar, dass die Regierung mit dem Referendum über den Brexit eine historische demokratiepolitische Leistung vorzuweisen habe. Am Dienstag nach dem Treffen mit der Presse ging er fröhlich summend zurück in das Haus mit der Nummer 10 - wissend, dass, er nur noch eine NAcht dort verbringen würde.

Mit Cameron ist nach Nigel Farage, und Jonathan Hill ein weiterer Vertreter des EU-Zerstörungsquartetts abgetreten. Was die Proponenten genau machen werden, ist unklar.

Boris Johnson hat sich jedoch zur Überraschung aller rasch zurückgemeldet: Die neue Premierministerin Theresa May berief den exponiertesten EU-Gegner zum neuen britischen Außenminister - was auf harte Verhandlungen mit der EU hindeutet.

Sie alle sind eng mit der Finanzindustrie vernetzt. Farage hatte mit seiner falschen Ankündigung in der Wahlnacht die Wettbörsen noch einmal angeheizt. Zahlreiche Spekulanten mit Insider-Informationen könnten in der Brexit-Nacht ein Vermögen gemacht haben. Ob und welcher Form die auffallend fröhlich zurückgetretenen EU-Gegner von diesen Wetten profitiert haben, ist unklar - und wird sich vermutlich nicht so einfach feststellen lassen: London ist immer noch eine der weltgrößten Oasen für Briefkastenfirmen, mit denen man auch weiter viele Geschäfte abwickeln wird können, ohne als Profiteur enttarnt zu werden. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Cameron persönlich während der Kampagne kurzfristig in die Kritik geriet - als nämlich die von einer US-Website lancierten Panama Papers in der Vergangenheit des Premiers zu kramen begannen.

Das ist jetzt in der Tat alles Geschichte. Cameron wird, ähnlich wie der frühere EU-Kommissar Barroso, seine hervorragende Fachkenntnis in Zukunft sicher auch nicht für sich behalten, sondern dem Gemeinwohl zu Verfügung stellen - wenn auch nicht mehr aus der ersten Reihe der großen Politik: Er werde die Fragestunden des Premierministers nun nur noch von den Hinterbänken des Parlaments aus verfolgen, sagte Cameron, bevor die Abgeordneten ihn mit minutenlangem Applaus, Schulterklopfen und Umarmungen verabschiedeten.

"Ich werde die Rufe der Menge vermissen, ich werde die Gehässigkeiten der Opposition vermissen, aber ich werde euch weiter anspornen", rief Cameron den Abgeordneten zum Abschied zu. "Nichts ist unmöglich, wenn man es wirklich will." Auf dem Weg zum Ausgang drehte er sich dann noch ein letztes Mal um - um seiner Frau Samantha und seinen Kindern auf der Besuchertribüne zuzuwinken.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Europa vor dem Zerfall? Ex-Premier Letta warnt vor fatalem Fehler der EU
02.07.2025

Europa droht, zum Museum zu verkommen – oder zum Spielball von Trump und China. Italiens Ex-Premier Letta rechnet ab und warnt vor dem...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...