Politik

Studie: TTIP bringt Europa neue Welle von Lohn-Dumping

Lesezeit: 3 min
16.11.2014 01:26
Mit dem TTIP wird der Lohndruck auf die deutschen Arbeitnehmer zunehmen. Jeronim Capaldo, der Autor der ersten unabhängigen Studie über die Folgen des Freihandelsabkommens, erwartet, dass die USA sich auch in den europäischen Märkten festsetzen werden. Das TTIP ist für Capaldo der falsche Weg. Es schafft kein nachhaltiges Wachstum und vergrößert die Ungleichheit zwischen Arm und Reich.
Studie: TTIP bringt Europa neue Welle von Lohn-Dumping

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Laut Ihrer Studie werden die Folgen von TTIP für Deutschland ziemlich hart sein. Warum könnte TTIP Deutschland so hart treffen?

Jeronim Capaldo: Ein Großteil der Zunahme bei Deutschlands Exporten seit Anfang des Jahrtausends ist dadurch erreicht worden, dass man an weniger wettbewerbsfähige Staaten in Europa verkauft hat. Hier würde TTIP den Zugang zu billigeren US-Gütern erleichtern, was zu einem geringeren deutschen Marktanteil führen würde.

Deutschlands Wachstum war sehr stark von Exporten abhängig - vor allem in den Rest der EU. Um dies zu erreichen, sind die Arbeitseinkommen gekürzt und die Inlandsnachfrage geschwächt worden. Derzeit gibt es in Deutschland kein Potential, einen Rückgang der Exportnachfrage durch eine Inlandsnachfrage zu ersetzen. Um sich gegen das Risiko eines Exportrückgangs abzusichern, bräuchte Deutschland eine andere Einkommenspolitik.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bertelsmann-Studie besagt, dass die EU 1,3 Millionen Jobs gewinnen wird. Was ist falsch an diesen Zahlen?

Jeronim Capaldo: Die Bertelsmann-Ergebnisse schwanken stark in Abhängigkeit von dem jeweils gewählten Szenario. Es gibt zwei Hauptprobleme mit dieser Schätzung. Erstens: Die dahinter stehende Theorie ist nicht überzeugend, da sie die Beschäftigungszuwächse für eine Zeit vorhersieht, wo die Wirtschaft einen „beständigen Zustand“ erreicht hat, eine Situation, die möglicherweise niemals erreicht wird und die mit Sicherheit eine lange Zeit braucht, vielleicht zwei Jahrzehnte. Zweitens: Die Daten, die für die Phase nach 2010 verwendet wurden, setzen eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit voraus, ein Zustand, der durch eine Reihe von politischen Maßnahmen zumindest kurzfristig verbessert werden könnte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nordeuropa wird härter getroffen werden als der Süden – warum?

Jeronim Capaldo: Nordeuropa neigt zu Exportüberschüssen. Stärkerer Wettbewerb mit billigeren US-Gütern würde die Marktanteile Nordeuropas treffen, vor allem im restlichen Europa.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn auch die Steuereinnahmen zurückgehen, müssen wir uns in Nordeuropa auf eine neue Welle von Sparprogrammen einstellen, so wie wir es im Süden gesehen haben?

Jeronim Capaldo: Wenn die Geschichte als Orientierung taugt, dann fürchte ich ja. Natürlich wird dies wahrscheinlich kontraproduktiv sein, aber viele Politiker in Europa leugnen dieses Risiko.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wird sich dies auf die Fachkräfte auswirken, wie auf ungelernte Arbeiter?

Jeronim Capaldo: Das können wir nicht aus dem UN-Modell ableiten. Ungelernte Arbeiter werden wohl mehr verlieren, da sie meist in Sektoren mit geringerer Wertschöpfung beschäftigt sind, wo die US-Konkurrenz stärker ist. Doch dies müsste man mit einem Multisektormodell analysieren. Ich glaube, meine Kollegen bei der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) arbeiten derzeit an einem solchen Modell.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum werden die USA mehr profitieren als die EU?

Jeronim Capaldo: Aus vielen Gründen. Der Hauptgrund ist, dass sie niedrigere Lohnkosten haben. Die Daten legen nahe, dass die US-Wirtschaft seit der Krise Jobs im Niedriglohnbereich geschaffen hat, die zum Teil vorher höher bezahlte Jobs ersetzt haben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn die EU-Politiker ihre Vorhersagen ernst nehmen – was sollten sie tun?

Jeronim Capaldo: Sie würden beginnen, an einer Wachstumsstrategie zu arbeiten, die sich nicht auf eine Ausweitung des Außenhandels konzentriert. In einer Phase schwachen Wachstums auf den Außenhandel zu setzen, hat geringe Chancen auf Erfolg. Selbst wenn es Erfolg hätte, riskiert man damit eine schwache Inlandsnachfrage und macht die Wirtschaft anfälliger dafür, dass die Schwankungen, die aus dem Ausland kommen, künftig stärker sein werden. Deutschland ist schon jetzt in dieser unglücklichen Situation.

Eine nachhaltige Wachstumsstrategie würde den relativen Rückgang der Arbeitseinkommen aufhalten. Der Trend kann sogar umgekehrt werden, wenn man zum Beispiel endlich erkennt, dass die häufig als Lösung vorgeschlagenen, flexiblen Arbeitsverhältnisse der Wirtschaft schaden. Flexible Arbeit bedeutet unzuverlässige Einkommen für den Großteil der Bevölkerung. Dies ist nicht nur sozial ungerecht, sondern beeinträchtigt auch den privaten Konsum, mit negativen Folgen für alle. Die Politiker sollten die entgegengesetzte Richtung einschlagen und Wege finden, die Arbeitseinkommen stabiler zu gestalten. Die Herausforderung, die sie annehmen müssen, besteht darin, dies zur erreichen, ohne dass es zu einer übermäßigen Starre in den Kostenstrukturen der Unternehmen führt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum werden die Kapitalmärkte ansteigen – ist dies nur eine neue Form einer Blase?

Jeronim Capaldo: Das ist eine Reaktion, die wir in vergangenen Jahrzehnten in den entwickelten kapitalistischen Wirtschaftsräumen beobachtet haben, vor allem in den USA. Wenn Arbeitseinkommen eine wachsende Nachfrage nicht stützen, können finanzielle Deregulierung und andere legislative Änderungen zu einer riskanten kurzfristigen Sichtweise führen. Befreit von gesetzlichen Einschränkungen, könnten einige finanzielle Anlageformen große Geldflüsse anziehen und einen starken Wertgewinn verzeichnen. Dies könnte zu starken Profiten für einige wenige, und großen Risiken für alle führen, vor allem wenn Konzerne beteiligt sind, die als „too big to fail“ betrachtet werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Da die Pensionsfonds von den Aktienmärkten abhängen, müssen sich die jungen Menschen die Folgen von TTIP bewusst machen?

Jeronim Capaldo: Wir sollten uns alle Sorgen machen. Wir stehen vor der riesigen Herausforderung, eine Wachstumsstrategie zu wählen, die langfristig tragfähig ist, sowohl für die Umwelt, als auch sozial und finanziell. Unter solchem Druck scheinen TTIP und andere politische Maßnahmen die Weichenstellungen in die falsche Richtung zu sein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn Sie moderne Freihandelsabkommen betrachten, ist Ihr Modell im Grunde genommen gültig für alle diese Abkommen?

Jeronim Capaldo: Die zugrunde liegende Logik ist bei allen dieselbe. Unabhängig von dem jeweiligen Abkommen könnte es noch weitere bedeutende Risiken geben, die ich im Zusammenhang mit TTIP noch nicht analysiert habe. Eines ist das Risiko im Zusammenhang mit Schiedsgerichten, die es mächtigen Konzernen ermöglichen würden, einige nationale Maßnahmen gerichtlich anzufechten, darunter Gesundheitsregulierungen, mit der Begründung, dass sie die Handelsregeln verletzen.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifkonflikt gelöst: Keine Lufthansa-Streiks zu Ostern
28.03.2024

Nachdem die Deutsche Bahn ihren Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL in dieser Woche gelöst hat, scheinen auch bei der...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr unterstützt Strukturwandel in der Lausitz
27.03.2024

In Bernsdorf im Landkreis Bautzen wird ein neues Logistik-Zentrum der Bundeswehr entstehen. Das entschied Verteidigungsminister Boris...