Politik

Russland-Sanktionen: Kleine Staaten mucken gegen EU auf

Die EU ist wegen der Sanktionen gegen Russland gespalten. Nun hat Brüssel angeregt, die Entscheidung über das weitere Vorgehen an Angela Merkel und Francois Hollande zu delegieren. Die Kritiker der Sanktionen hoffen, dass Frankreich wegen der bevorstehenden Wahlen gegen eine harte Linie stimmen könnte. Die Position Deutschlands ist unklar, die Amerikaner behaupten, Merkel stehe hinter dem von Washington geforderten Kurs.
19.03.2015 00:36
Lesezeit: 3 min

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Am Donnerstag und Freitag treffen sich die 28 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum EU-Gipfel. Dort wird auch über die Zukunft der Russland-Sanktionen abgestimmt werden.

Insider sprechen von zwei Optionen die sich in diesem Zusammenhang auftun. Eine Möglichkeit ist, die Sanktionen, die im Juli ablaufen, im Anschluss des Gipfels bis zum Jahresende hin zu verlängern. Der Hintergedanke: Dann wäre eine Lockerung der Russland-Sanktionen, wie sie etwa Italien oder auch Griechenland anstreben, mindestens bis Jahresende unmöglich. Denn der Zeitplan sieht eine vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens frühestens bis Ende Dezember vor. Die zweite Möglichkeit ist, die Entscheidung bis zu einem weiteren Gipfel im Juni zu verschieben.

Große Streitfrage ist die Umsetzung des Abkommens Minsk II. EU-Ratspräsident Donald Tusk soll daher in engem Kontakt mit Berlin und Paris stehen. Weil Angela Merkel und Francois Hollande das Abkommen mit der Ukraine und Russland verhandelt haben, wolle Tusk umsetzten, was die beiden für richtig halten, zitiert der EUobserver einen Insider. Tusk, dessen Heimat Polen gemeinsam mit den Balten zu den Hardlinern gehört, scheint zu realisieren, dass eine harte Linie nicht leicht eine Mehrheit finden dürfte. Vor allem Frankreich steht unter Druck: Der Front National führt bei Umfragen zur Präsidentschaftswahl und könnte das bewährte politische Establishment in der EU zum Einsturz bringen. Francois Hollande ist faktisch gezwungen, alle Schritte zu unterlassen, die der französischen Wirtschaft Schaden zufügen.

Ein zweiter EU-Insider sagte dazu: „Ein Lager will bereits im März ein starkes Signal an Russland senden, Minsk II umzusetzen. Das zweite Lager ist der Meinung, dass eine Verlängerung der Sanktionen nur eine weitere Eskalation provozieren würde“. Aufgrund der starken Teilung hoffe man in EU-Kreisen, dass es zu einer gemeinsamen Position zwischen Frankreich und Deutschland komme, berichtet der EUObserver aus Brüssel.

Die EU-Staaten sind wegen den Sanktionen tief gespalten. Merkel ist offiziell für ein Fortführung der Maßnahmen. Bei Frankreich ist die Position nicht so eindeutig. Das liegt auch an dem Deal über zwei Mistral-Kriegsschiffe mit Russland, an dem laut Gewerkschaft mehr als 2.500 Arbeitsplätze hängen.

Am lautesten fordern Polen und das Baltikum eine Verschärfung in Richtung Russland. Gegen die Sanktionen sprechen sich am deutlichsten Österreich, Zypern, Griechenland, Tschechien, Italien, Spanien, Ungarn und die Slowakei aus.

Im Hintergrund wirbt Russland bereits um engere Beziehungen zu potenziellen Anti-Sanktionsstaaten. So wird etwa der griechische Premier Alexis Tsipras am 8. April nach Moskau reisen. Treffen von Putin mit hochrangigen Vertretern aus Zypern, Ungarn, Italien und Spanien fanden bereits statt.

Die russische Regierung hat bereits angedeutet, für Griechenland, Ungarn und Zypern das Importverbot für Lebensmittel aufzuheben. Diese Ankündigung schießt aber gleichzeitig gegen Polen, das mit am meisten unter dem Import-Verbot leidet.

Auch in Richtung Paris hat Moskau ein Entgegenkommen signalisiert: Die russische Waffenindustrie-Behörde erwartet, dass sich Frankreich im Mai entscheidet, ob es seine „Mistral“-Kriegsschiffe liefern wird. Erst danach werde über eine mögliche Schadenersatzforderung von russischer Seite aus nachgedacht.

Die USA wollen hingegen die EU-Staaten gegen Russland einschwören. US-Staatssekretärin Victoria Nuland will daher zeitnah Länder in der EU bereisen, die schärfere Sanktionen gegen Russland ablehnen. Griechenland und Zypern sollen in „bilateralen Gesprächen“ auf Linie gebracht werden. Nuland hat beim Machtwechsel in Kiew eine tragende Rolle gespielt: In ihrem von den Russen abgefangenen Telefonat hatte sie den US-Botschafter angewiesen, Arseni „Jaz“ Jazenjuk als neuen starken Mann aufzubauen (Video am Anfang des Artikels).

Die offene Frage ist, ob Deutschland bereit ist, eine Linie zu fahren, die der Strategie der US-Regierung zuwiderläuft. Erste Risse im transatlantischen Verhältnis wurden erst kürzlich deutlich: Das Außenamt hatte sich beschwert, weil die Nato und die USA falsche Berichte über die Lage in der Ukraine geliefert hatte. Die deutsche Wirtschaft musste im Jahr 2014 bereits Milliarden-Verluste wegen der Sanktionen hinnehmen. Auch für das Jahr 2015 sind die Prognosen düster.

Ob sich Angela Merkel für die amerikanischen Freunde oder eher für die heimische Wirtschaft entscheiden wird, ist eine Frage, die niemand in Brüssel oder sonstwo in Europa beantworten kann. Immerhin hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei einer Veranstaltung in der russischen Botschaft in Berlin anklingen lassen, dass Deutschland an einem konstruktiven Verhältnis mit Russland interessiert sei. Daraus schon einen Hinweis auf einen Kurswechsel zu sehen, halten Beobachter allerdings für gewagt. Gabriel gilt in der internationalen Politik nicht als Schwergewicht.

Die Amerikaner selbst gehen davon aus, dass die Achse mit Berlin hält: Das Weiße Haus teilte am Mittwoch mit, Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel seien sich einig, dass der Westen gegen Russland weiter eine harte Linie verfolgen müsse. Das hätten Obama und Merkel in einem Telefonat vereinbart.

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