Unbekannten Hackern soll es im vergangenen Herbst gelungen sein, in «sensible Bereiche» des Computernetzwerks des Weißen Hauses einzudringen. Der Sender CNN, der sich auf Angaben von US-Regierungsbeamten bezog, nannte die Sache am Dienstag mit einigem Pathos einen «ernsten Vorgang». CNN, das nicht gerade für die Verlässlichkeit seiner Berichte bekannt ist und in der Ukraine-Krise wiederholt völlig unkritisch Geheimdienst- und Militär-Mitteilungen als Nachrichten verbreitet hat, liefert nun eine Woche später eine angebliche Erklärung für die Angriffe: Es sollen die Russen gewesen sein.
Zwar seien keine geheimen Systeme betroffen gewesen. Aber die Hacker hätten immerhin Zugang zu Informationen wie nicht-öffentlichen Details zum Terminplan von Präsident Barack Obama gehabt. Derartiges sei für ausländische Geheimdienste wertvoll, zitierte CNN die Regierungsbeamten.
Dem Bericht zufolge sind sowohl die Bundespolizei FBI, der Secret Service und US-Geheimdienste in die Ermittlungen eingeschaltet. Sie betrachteten den Hackerangriff als eine der ausgeklügeltsten Cyberattacken, die jemals gegen das Weiße Haus ausgeführt worden seien. Die US-Geheimdienste und Nato-Militärs hegen seit einiger Zeit eine heimliche Bewunderung für die technologischen Fähigkeiten der Russen.
Die Hacker seien zunächst in das Computersystem des US-Außenministeriums eingedrungen und hätten ein E-Mail-Konto als Ausgangspunkt für das Infiltrieren des Netzwerkes der Regierungszentrale benutzt. Ermittlern zufolge wiesen unter anderem bestimmte Codes darauf hin, dass die Hacker für die russische Regierung arbeiteten. Insgesamt habe die «Heftigkeit» der «russischen Aktionen» die US-Offiziellen überrascht, behauptet CNN. Belege für die Behauptung gibt es nicht, der Code wurde nicht veröffentlicht und konnte so auch nicht von unabhängigen Programmierern beurteilt werden.
Das Weiße Haus hatte vergangenen Oktober von «verdächtigen Aktivitäten» in seinem nicht-geheimen Netzwerk berichtet. Danach war das System in Abständen für Sicherheitsvorkehrungen heruntergefahren worden.
Die Tatsache, dass die US-Regierung die Russen beschuldigt, könnte darauf hindeuten, dass die Amerikaner die Gangart gegen die Russen verschärfen wollen. Im Ukraine-Konflikt fällt es Washington nach dem Minsker Ankommen aktuell schwer, Gründe für verschärfte Sanktionen zu finden. Erst kürzlich hatte sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Nato beschwert, weil er übertriebene Kriegsnachrichten aus der Ukraine übermittelt bekommen hatte.
Interessanterweise hat US-Präsident Barack Obama unmittelbar vor der CNN-«Enthüllug» verfügt, dass Hacker-Angriffe künftig als besondere nationale Bedrohung eingestuft werden und die Verantwortlichen mit Sanktionen bestraft werden sollen.
Es lohnt sich, dazu die die entsprechende Executive Order vom 1. April 2015 im Detail zu lesen: Obama hat darin die zunehmende Zahl der Hackerangriffe auf die USA als «nationalen Notfall» eingestuft. Mit einem Exekutiverlass verfügt er, die Verantwortlichen für Cyberattacken mit Sanktionen zu belegen. Die Bedrohungen durch Hacker gehörten zu den größten Herausforderungen für die Wirtschaft und nationale Sicherheit des Landes. Gezielte Strafmaßnahmen seien für die US-Regierung «ein neues und mächtiges Werkzeug, gegen die Schlimmsten der Schlimmsten vorzugehen», schreibt Obama in der Begründung.
Die Executive Order ist nur vordergründig eine Reaktion auf Internet-Attacken auf große Krankenversicherungen, Einzelhändler oder das Hollywoodstudio Sony Pictures. Der Erlass erlaubt dem US-Finanzministerium, Personen und Einrichtungen, die hinter Cyberangriffen oder -spionage stehen, mit Sanktionen zu belegen. Dazu zählen auch andere Staaten. Der Fokus liege vor allem auf Bedrohungen aus Übersee, sagt das Weiße Haus.
Es ist daher wenig erstaunlich, dass nun die Russen für Hacker-Angriffe auf das Weiße Haus verantwortlich gemacht werden. Belege gibt es dafür keine, obwohl die Russen nachweislich über hervorragende Qualitäten im Hacking verfügen: Ihrer hohen Professionalität verdankt die Nachwelt die Überlieferung des legendären "Fuck the EU"-Telefonats von Victoria Nuland.
Russland wies die Berichte entschieden zurück. «Das ist inzwischen schon zum Sport geworden: für alles wird Russland verantwortlich gemacht», kritisierte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau. «Hauptsache, niemand findet demnächst im Fluss Potomac russische U-Boote, wie das schon in anderen Ländern der Fall war», scherzte er. Russland sei an einer Zusammenarbeit mit den USA bei der Lösung internationaler Krisen und Probleme interessiert. Eine gegenseitige «Dämonisierung» lehne Moskau ab. Täglich gebe es im Übrigen Hunderte, manchmal sogar Tausende Cyberangriffe auf den Kreml und die Webseite von Präsident Wladimir Putin, sagte der Kreml-Sprecher Agenturen zufolge.
Die USA hatten bereits in der Vergangenheit bei so gut wie jedem Cyber-Zwischenfall behauptet, es seien die Russen gewesen. Allerdings hatte der Regierung bis dato die formale rechtliche Handhabe gefehlt, um gegen die vermeintlichen Gegner auch in der realen Welt vorgehen zu können.
Die USA führen seit 9/11 einen Krieg gegen den Terror. Neue Attacken gegen andere Staaten oder Organisationen seien durch ein AUMF-Gesetz von 2001 gedeckt, sagt die Regierung. Bürgerrechtler und US-Juristen sehen darin dagegen eine Lizenz zum ewigen Krieg ohne demokratische Kontrolle.