Gemischtes

Fahrerlose Lastwagen gefährden Arbeitsplätze

Lesezeit: 3 min
10.06.2015 12:30
Wenig Schlaf und viel Stress: Das Berufsleben von LKW-Fahrern birgt hohe gesundheitliche Risiken. Abhilfe soll modernste Technik bieten. Software steuert das Fahrzeug selbständig, der Fahrer übernimmt nur in Notfällen einen Kontrolleingriff. Doch diese Entwicklung bedroht tatsächlich weit mehr Arbeitsplätze als nur die der Berufsfahrer.

Mehr zum Thema:  
Auto >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Auto  

Pro Jahr sind LKW allein in den USA in 300.000 Unfälle verstrickt, berichtet die BBC. Bei schweren Unfällen kommt es immer wieder zu Todesfällen und erheblichen Materialschäden. Grund sind häufig die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer. Sie stehen unter Termindruck und müssen auf den Fernfahrten mit wenig Schlaf auskommen. Schnell kann es lebensgefährliche Konsequenzen geben.

Dieses Wissen erhöht den Stressfaktor des Fernfahrerberufs umso mehr. Zusätzliche Belastungen liegen in der berufsbedingt häufigen Trennung von der eigenen Familie und unregelmäßigen Arbeitszeiten bei nicht allzu hoher Verdienstspanne. Fernfahrer müssen einen hohen psychischen Druck verkraften können.

Jetzt soll Hightech dabei helfen, die Fernfahrer vom alltäglichen Arbeitsdruck zu entlasten und das Unfallrisiko zu minimieren. Der Automobilkonzern Daimler schickte Anfang Mai einen hochmodernen Sattelzug auf eine Testfahrt durch den US-Staat Nevada. Hauptmerkmal: Das Fahrzeug absolvierte ohne Fahrerführung seine Strecke auf den Highways. Ausgestattet mit GPS, Videokameras, Radar und modernster Software kann der Truck namens Freightliner Inspiration per Autopilot freie Fahrstrecken jenseits des Stadtverkehrs selbständig steuern.

Der Fahrer kann währenddessen einen Film auf DVD anschauen. Seine einzige Aufgabe besteht darin, in einem Notfall die Fahrkontrolle übernehmen zu können. Wenn diese Technik perfektioniert sei, so die Befürworter, helfe sie, Unfälle durch menschliches Versagen zu vermeiden. Außerdem soll der Schadstoffausstoß vermindert und die Transporteffektivität gesteigert werden.

Ganz neu ist die Erfindung des voll automatischen, fahrerlosen Fahrzeugs nicht. Die Berbaugesellschaft Rio Tinto verwendet mehr als 50 selbstfahrende Lastwagen in den Minen von Pilbara in Australien. Der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin hat selbstfahrende Trucks für die US-Armee produziert, die beispielsweise 2011 im Afghanistan-Krieg eingesetzt wurden. Diese Fahrzeuge können sich auf schwierigem Gelände bewegen und anderen Fahrzeugen oder Personen folgen.

Generell fahren sie eher in langsamem Tempo und haben vor allem ein Problem: Sie sind gut einsetzbar in einem möglichst menschenleeren Umfeld. Auf dicht befahrenen Straßen oder gar im Stadtverkehr mit Fußgängern kommen die führerlosen Fahrzeuge an ihre Grenzen. Das gilt auch für Daimlers Freightliner Inspiration. Der Autopilot muss an den Stadtgrenzen ausgeschaltet werden, damit ein menschlicher Fahrer das Fahrzeug durch komplexe Verkehrssituationen steuern kann.

Roland Berger, Unternehmensberater für Daimler, ist allerdings zuversichtlich, dass sich diese Einschränkung in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren technologisch überwinden lässt. Spätestens ab 2030 seien die Fahrleistungen der Autopilot-Systeme den menschlichen Fähigkeiten qualitativ gleichwertig. Nicht die Technik, sondern Gesetzeshürden und soziale Fragestellungen seien die schwierigsten Hindernisse.

Bergers Partner Wolfgang Bernhart stellt die ethische Problematik dar: Es gebe im Straßenverkehr schwierige Situationen, bei denen Unfälle nicht mehr zu verhindern seien. In solchen Momenten entscheide ein menschlicher Fahrer in einem Bruchteil von Sekunden über sein Verhalten. Besonders schwerwiegend sind Situationen, bei denen unvermeidbar Menschen verletzt werden. Diese Fragen von Verantwortung und Schuld müssten zunächst klar ins Bewusstsein gestellt und gesellschaftlich geklärt werden.

Er verdeutlicht das Problem an einem Beispiel: Angenommen, ein voll automatisch fahrender Truck würde von einem herabfallenden Objekt getroffen und geriete außer Kontrolle. Das Fahrzeug könne nur nach links oder rechts ausweichen, aber auf der rechten Gehwegseite befände sich eine Mutter mit Kind, auf der linken Gehwegseite eine Gruppe von Senioren: Welches menschliche Leben sollte geschont und welches im schlimmsten Falle getötet werden? Menschliche Fahrer entscheiden in solchen Momenten intuitiv und individuell. Sie selbst müssen am Ende ihr Handeln vor dem eigenen Gewissen vertreten.

Bei einem selbstfahrenden LKW werden diese Entscheidungen über einen Computer-Algorithmus gesteuert. Dieser wird im Vorfeld programmiert. Somit entscheidet letztendlich der Software-Programmierer über Leben oder Tod bzw. den Wert menschlichen Lebens. Für diesen Vorgang gibt es bislang keine soziale Akzeptanz. Doch auch juristisch entsteht ein Problem: Opfer solcher Programmentscheidungen können die Automobilfirmen auf Schadenersatz verklagen.

Programmierer wünschen sich daher eine Art Normkatalog, wie das übliche und vernünftige Verhalten von Menschen in bestimmten Situation aussehen könnte. Anhand eines solchen Standard-Katalogs könnten sie ihre Algorithmen dann bauen. Damit wäre auch juristisch eine Handhabe gegen hohe Schadenersatzforderungen gegeben.

Bernhart weist noch auf einen zweiten Punkt hin. Mittlerweile experimentieren alle Autokonzerne mit Programmen und Ausstattungen für fahrerlose Fahrzeuge. Der Berechnung zufolge beläuft sich der Marktwert für diese Fahrzeugausstattungen im Jahr 2030 auf geschätzte 40 – 60 Mio. Dollar. Daher besteht ein hohes Interesse daran, bis zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden ethischen Fragen geklärt zu haben. Bislang sind sich aber auch alle Beteiligten über die Risiken der neuen Autopilot-Fahrzeuge im Klaren. Nicht umsonst haben bisher nur die US-Staaten Nevada und Kalifornien den Einsatz solcher Fahrzeuge für eine Testphase erlaubt.

Gizmodo weist auf ein ganz anderes Problem hin. Allein in den Vereinigten Staaten gibt es 3,5 Millionen Berufsfernfahrer. Diese Arbeitnehmer würden zunehmend erst zum Zubehör ihres eigenen Trucks und später ganz arbeitslos. Der Fernfahrerberuf sichert aber weitere 5,2 Millionen Arbeitsplätze, die sich auf die Versorgung der Fahrer während der langen Strecken spezialisiert haben. Das sind die Besitzer kleiner Motels, die Inhaber von Truck-Stops und Restaurants entlang der Fahrtrouten.

Die Arbeitnehmer in den Motels und Restaurants geben ihre Einkommen in den Gemeinden aus, wo sie leben. Sollte in der Zukunft der Fernfahrerberuf verschwinden, beträfe das insgesamt 8,7 Mio. Arbeitsplätze inklusive einer wirtschaftlichen Schwächung der Gemeinden und Einwohner.

Studien haben ergeben, dass die neue Autopilot-Technologie das Unfallrisiko um bis zu 70 % reduzieren kann. Positiv ist ebenfalls, dass der Einsatz dieser Technik die Stressfaktoren für Fernfahrer minimiert. Absehbar ist dennoch, dass die fahrerlosen Trucks in die Massenproduktion gehen werden – und die Folgen werden auf jeden Fall spürbar sein.


Mehr zum Thema:  
Auto >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Politik
Politik Woidke als Ministerpräsident in Brandenburg wiedergewählt - im zweiten Wahlgang
11.12.2024

Der SPD-Politiker Dietmar Woidke ist zum vierten Mal zum brandenburgischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Der 63-Jährige, der an...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zalando-Aktie: Online-Händler will sich Konkurrent About You einverleiben
11.12.2024

Der drittgrößte Modehändler in Deutschland will einen wachsenden Konkurrenten (im Einflussbereich des Otto-Konzerns) übernehmen. Ein...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienpreise: Was sind die 2025-Prognosen für den deutschen Wohnmarkt?
11.12.2024

Wie sehen die Aussichten für das Immobiliensegment Wohnen in 2025 aus? Immobilienpreise für Wohnungen und Häuser haben wegen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Ukraine setzt auf eigene Massenproduktion von Raketen
11.12.2024

Weitere 50 Milliarden US-Dollar soll die Ukraine von führenden westlichen Industriestaaten bekommen. Einen Großteil davon übernehmen die...

DWN
Panorama
Panorama Fleisch-Logo für Restaurants?
11.12.2024

Ein neues Tierhaltungs-Logo für die Gastronomie sorgt für Debatten: Nach dem Supermarkt könnte nun auch in Restaurants, Kantinen und...

DWN
Panorama
Panorama KI-Prognosen: Erderwärmung könnte schneller voranschreiten
11.12.2024

Erwischt uns die Klimakrise noch schneller als bisher angenommen? Auf Künstliche Intelligenz gestützte Analysen zumindest deuten darauf...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Elektroauto-Förderung: Scholz fordert Impulse von der EU
11.12.2024

Der Markt für Elektroautos schwächelt, und Bundeskanzler Olaf Scholz setzt auf Lösungen von der EU. Bei einem Besuch des Ford-Werks in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deindustrialisierung 2024: Umsatzeinbruch der deutschen Industrie – 50.000 Stellen in diesem Jahr abgebaut
11.12.2024

Die deutsche Konjunkturschwäche hat verheerende Folgen: Deutschlands Industrieunternehmen haben binnen eines Jahres rund 50.000 Stellen...