Unmittelbar vor dem Referendum in Griechenland wird immer deutlicher, dass die große Koalition auf EU-Ebene einen Sturz der Regierung von Alexis Tsipras betreibt.
Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, hält Neuwahlen in Griechenland für zwingend, wenn die Bevölkerung für das Reformprogramm der Gläubiger stimmt. Die Zeit bis zur Wahl müsse „mit einer technischen Regierung überbrückt werden, damit wir weiter verhandeln können“, sagte Schulz in einem Handelsblatt-Interview. „Wenn diese Übergangsregierung eine vernünftige Vereinbarung mit den Geldgebern findet, dann wäre Syrizas Zeit vorbei. Dann hat Griechenland wieder eine Chance“, sagte Schulz.
Um die Interessen der Sozialdemokraten durchzusetzen, erhob Schulz schwere Vorwürfe gegen Tsipras und schreckte auch nicht vor einer persönlichen Diffamierung zurück. Tsipras sei „unberechenbar und manipuliert die Menschen in Griechenland, das hat fast demagogische Züge“, sagte Schulz. „Mein Glaube an die Verhandlungsbereitschaft der griechischen Regierung ist mittlerweile auf einem absoluten Tiefpunkt angekommen“, sagte Schulz.
Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet der Präsident des EU-Parlaments offen auf die Absetzung einer demokratisch gewählten Regierung hinarbeitet. Bisher hat es so einen Fall in der EU erst einmal gegeben. Damals war der österreichische FPÖ-Politiker Jörg Haider betroffen. Er war von den österreichischen Konservativen in die Regierung aufgenommen worden. Daraufhin hatte die EU Sanktionen gegen Österreich verhängt und alles unternommen, um Haider aus der Regierung zu vertreiben. Damals konnte der Widerstand gegen Haider mit dem Thema Rechtsextremismus legitimiert werden. Haider hat in seiner politischen Karriere tatsächlich übelste Ausfälle in diese Richtung zu verzeichnen. Deswegen kann man mit Recht daran zweifeln, ob ein solcher Politiker geeignet ist, in einer österreichischen Regierung tätig zu werden. Dennoch wäre bei allem unangenehmen Beigeschmack zu bedenken, dass es das Wesen der Demokratie ist, jene Parteien die von den Wählern gewählt werden, auch mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Im Falle Griechenlands ergibt sich eine völlig neue Situation. Denn das Rechtsextremismus-Argument ist im Falle der Syriza-Partei nicht anzuwenden. Die Partei ist eine klassische linke Partei, deren Positionen früher von den Sozialdemokraten besetzt worden waren. Umso erstaunlicher ist es, dass die Sozialdemokraten nun offen antidemokratisch agieren.
Die Ausfälle von Schulz zeigen, dass es den großen Parteien in Europa nicht um das europäische Projekt geht, sondern um den Machterhalt für die eigene Klientel. Der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, hatte in einer fulminanten Rede im Bundestag völlig zu Recht bemerkt, dass die SPD dem Vorschlag eines Referendums von einem sozialistischen Premier in Griechenland vor zwei Jahren noch begeistert zugestimmt hatte. Nun, da der Vorschlag von einem Linkspolitiker käme, lehne die SPD den Vorschlag rundweg ab.
Doch die Lage in Griechenland ist noch weitaus grotesker. Die Sozialdemokraten haben sich dort durch jahrelange Misswirtschaft, Vetternwirtschaft, Korruption und Selbstbedienung vollständig diskreditiert. Die ehemals stolze PASOK wurde bei der jüngsten Wahl marginalisiert und liegt heute bei vier Prozent. Sie ist Mitglied der Sozialistischen Internationale und daher eine Schwesterpartei der SPD. Sie ist jedoch zu schwach, dass mit ihr keine Regierung zu machen ist.
Die Sozialdemokraten in Europa hoffen offenbar, dass in Ländern, wo ihnen von den Wählern vollständiges Versagen bescheinigt wurde, über den Umweg einer Technokraten Regierung wieder an die Macht gelangen können. Die Sozialdemokraten versprechen sich offenbar, ihnen willfährige Technokraten in die Regierungsämter zu hieven. Für die Parteibasis ist es ohnehin wichtiger, lukrative Posten in den verschiedenen Staatsbetrieben zu erhalten. Damit bereiten Vorschläge wie der von Schulz einer Funktionärsdiktatur in Europa den Weg.
Die Tatsache, dass Schulz den griechischen Premier auch persönlich diffamiert, deutet auf besorgniserregende Defizite der demokratischen Kultur in Europa hin. Es steht zu befürchten, dass diese ohnehin brüchige Kultur im Verlauf der Zuspitzung der aktuellen Krise noch weiter verfallen wird.