Politik

Augenzeugen-Bericht aus Griechenland: Wirtschaft vor dem Kollaps

Die Lage in Griechenland ist dramatisch: Betriebe müssen schließen, weil sie nicht mehr an ausreichend Benzin kommen. Gehälter oder Renten werden zwar überwiesen, die Bürger kommen aber nicht an das Geld. Kredit- und Bankkarten funktionieren nicht mehr. Trotzdem stehen die Griechen zu ihrem Votum gegen die „Fremdherrschaft“.
07.07.2015 02:42
Lesezeit: 2 min

Die deutsche Unternehmerin Gaby Guzek betreibt in Thessaloniki ein Restaurant. Den Deutschen Wirtschafts Nachrichten erzählt sie, wie die Lage ist.

Über die Stimmung in Griechenland: Seit der Bekanntgabe des Ergebnisses des Referendums überwiegen die Freude und der Stolz. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir alle siegestrunken durch die Straßen ziehen. Die Griechen haben sehr genau aufgepasst, was im Ausland berichtet wurde. Da waren die Aussagen von zahlreichen Politikern wie etwa Martin Schulz sicher nicht von Vorteil. Die Medien haben hier ein Trommelfeuer der Hysterie aufgeführt, welche Tragödie ein „Nein“ bedeuten würde. Meiner Meinung nach hatte es einen gegenteiligen Effekt. Viele müssen mit Nein gestimmt haben, die bei den Parlamentswahlen nicht für Syriza abgestimmt haben. Es war ein bisschen so: „Jetzt sterben oder später“. Die Griechen sind empfindlich, was Fremdherrschaft bedeutet. Der Titel der griechischen Hymne bedeutet ja schon. „Freiheit oder Tod“. Alle wissen: wir sind immer noch nur einen Schritt vom Abgrund entfernt.

Über den Umgang mit den Zahlungsbeschränkungen: Die Kapital-Kontrollen erschweren das tägliche Leben enorm. Ein Steuerberater hat am Montag erzählt, dass seit Freitag vergangener Woche fünf seiner Kunden ihre Betriebe komplett einstellen mussten, die Mitarbeiter wurden entlassen. Das liegt aber nicht daran, dass Aufträge eingebrochen wären. Eine Spedition musste zumachen, weil sie einfach nicht genug Benzin für ihre fünf Lkw beziehen kann. Mit den 60 Euro, die man täglich am Geldautomaten ziehen kann, kann man die Fahrzeuge natürlich nicht betanken. Kredit- und Geldkarten funktionieren nicht mehr.

Jeder, mit dem ich gesprochen habe, geht davon aus, dass die Banken noch mindestens einen Monat geschlossen sind, nicht nur noch einige Tage wie momentan spekuliert wird. Das ist hier das Bauchgefühl. Die Befüllung der Geldautomaten geschieht völlig willkürlich, daher ist unklar, wo es gerade Geld gibt. Heute waren lange Schlangen vor den Automaten, das heißt, sie wurden wohl aufgefüllt.

Über die finanzielle Situation der griechischen Bürger: Alle Griechen, die ich kenne, heben so viel wie möglich von ihrem Konto ab – falls überhaupt noch etwas drauf ist. Die Griechen haben eine viel höhere Affinität zum Bargeld als etwa die Deutschen. Hier ist es nicht ungewöhnlich, hohe Summen zuhause zu haben. Wer jetzt aber sagt, „Wer überhaupt noch etwas auf dem Konto hat, muss bescheuert sein“, soll bedenken: Am Donnerstag, bevor die Verhandlungen geplatzt sind, haben die Rentner ihre Pension überwiesen bekommen. Am Montag waren die Banken dicht. Genauso ist es mit dem Gehalt – das in Griechenland alle vierzehn Tage überwiesen wird. Die Menschen sind hier aber darauf eingestellt. Wenn die Miete nicht am Monatsersten überwiesen wird, bricht keine Panik aus. Das Online-Banking ist in Griechenland nicht sehr verbreitet – wer keines hat, kann eben nichts bezahlen.

Wegen der Kontrollen können die Betriebe ihre Mitarbeiter sowieso oft nicht bezahlen. Ich vermute, dass es sehr bald zu Ketteninsolvenzen kommen wird. Unser Getränkelieferant hat seit dem zweiten Tag der Kontrollen hohe Ausstände, denen nicht nachgekommen wird. So zieht sich das Problem durch den griechischen Alltag. Ende dieser Woche sind die Beamtengehälter fällig. Da wird aber nichts ankommen. Es gibt ja Gerüchte, dass stattdessen staatliche Schuldscheine (IOU) ausgestellt werden sollen.

Zumindest ist der Zeitpunkt gut gewählt. Keiner muss jetzt heizen, jeder hat irgendwie ein kleines Stück Garten und kann etwa anbauen. Im Gegensatz zu den Supermärkten ist der Wochenmarkt perfekt bestückt.

Über die Situation in den Geschäften: In den Geschäften gibt es immer wieder leere Regale, die aber – zumindest bis jetzt – wieder aufgefüllt werden. Trinkwasser ist immer sofort ausverkauft. Man merkt, dass die Griechen jetzt verstärkt Vorräte einkaufen. Vor allem lang haltbare Lebensmittel. Alle weiteren Geschäfte werden nicht mehr besucht. In Thessaloniki ist gerade Sommerschlussverkauf, aber die Straßen sind leer. Da gibt es überhaupt keine Kunden, die den Geschäften etwas Geld bringen können.

Im Großmarkt ist zwar alles vorhanden – bis auf die Fleischtheke, die sonst immer gigantisch bestückt ist. Da lagen beim letzten Mal nur noch ein paar Ziegenköpfe. Der Großteil des Fleisches wird importiert. Da wird es wohl so schnell keine Lösung geben.

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