Politik

Feilschen in Brüssel: Euro-Retter haben Bezug zur Realität verloren

Deutschland zeigt sich vor der Griechen-Entscheidung bockig und verbeisst sich in Details. Die anderen Nordstaaten nörgeln an dem Vorschlag herum, den sie den Griechen noch vor kurzem als perfekte Lösung andrehen wollten. Die meisten haben den Bezug zur Realität verloren.
11.07.2015 14:57
Lesezeit: 2 min

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Die von Griechenland angebotenen Austeritäts-Programm reicht einem anonymen Kreisen zufolge, die die FAZ informierten nicht aus, um die mit den Geldgebern vereinbarten Primärüberschüsse im Staatshaushalt zu erreichen. Der Grund liege in der "bedeutsamen Verschlechterung der makroökonomischen und finanziellen Bedingungen", schreibt die FAZ und beruft sich auf die Troika. Volkswirte betrachten beim Primärüberschuss den Haushalt eines Landes ohne Zinszahlungen. Aus einem solchen Überschuss lässt sich die Fähigkeit eines Staates ableiten, seinen Schuldenstand zu verringern. In der aktuellen Krise ist der Primärüberschuss völlig bedeutungslos, weil Griechenland ums Überleben kämpft. Außerdem ist der Primärüberschuss eine vergleichsweise künstliche Größe, die höchstens etwas über die Fähigkeit eines Finanzministers, eine schwäbische Hausfrau zu imitieren, aussagt. Die Wirtschaft eines Landes muss in einer Depression sektoral gestärkt werden, weil sie sonst so schweren Schaden nimmt, dass die Regierung in der Folge von einem ausgeglichenen Haushalt nur nicht träumen kann.

Dies zeigen auch die Zahlen der Vergangenheit: Die Schulden sind gestiegen, die Wirtschaft ist abgestürzt (Grafik am Anfang des Artikels).

Mehrere Euro-Regierungen zweifeln nach Angaben des niederländischen Finanz-Staatssekretärs Eric Wiebes, dass die griechische Regierung die zugesagten "Reformen" auch umsetzen werden. "Es gibt Zweifel an der Verlässlichkeit", sagt Wiebes vor der Eurogruppen-Sitzung. Zudem reichten die "Reformvorschläge" aus Athen nicht aus. Griechenland müsse das Vertrauen der Gläubiger wieder herstellen.

Trotz der dramatischen Situation in Griechenland überwiegen bei einigen Finanzministern offenbar noch parteitaktische Überlegungen: Mehrere Euro-Länder sollen sich laut Reuters ablehnend geäußert haben: "Der linke Ministerpräsident Alexis Tsipras dürfe nicht auch noch dafür belohnt werden, dass sich die wirtschaftliche Lage Griechenlands seit seiner Amtsübernahme drastisch verschlechtert hat."

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach von "außergewöhnlich schwierigen" Beratungen. Die Vorschläge reichten "bei weitem nicht aus", sagte Schäuble. "Wir werden uns ganz sicher nicht auf Zusagen verlassen können." Die Situation, die bis Ende letzten Jahres Anlass zur Hoffnung gegeben habe, sei in den vergangenen Monaten "bis in die letzten Tage und Stunden hinein" auf unfassbare Weise zerstört worden. Italiens Finanzminister Pietro Carlo Padoan dämpfte die Erwartungen an das Treffen: Es werde am Samstag keine Einigung geben.

Die Finanzminister müssen die Lage natürlich dramatisieren: Die verfehlte Kredit-Politik der Troika wird für die europäischen Steuerzahler immer teurer. Kommt es zum Crash, wird es noch schlimmer - mit unabsehbaren Folgen für Europa. Die Euro-Retter können also am Sonntag in keinem Fall eine positive Nachricht übermitteln. Daher müssen sie die Situation in den düstersten Farben schildern, um die Schuld auf Tsipras zu schieben und sich selbst als Retter präsentieren zu können.

Der irische Finanzminister Michael Noonan fordert das griechische Parlament auf, bereits in den nächsten beiden Wochen entscheidende Reformvorhaben umzusetzen. Dies könne verlorenes Vertrauen zurückbringen.

Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling hat von Griechenland deutliche Nachbesserungen an den "Reformvorschlägen" verlangt. Der größte Brocken sei die Frage, welche Garantien es gebe, dass das, was vorgeschlagen worden sei, auch umgesetzt werde, Schelling am Samstag in Brüssel vor Beginn der Beratungen in der Euro-Gruppe. "Es muss eine Garantie Griechenlands geben, dass die unmittelbare Umsetzung der Maßnahmen erfolgt." Das gelte auch für die zugesagten Privatisierungen.

Nach dem dreijährigen "Hilfsprogramm" müsse gewährleistet sein, dass Griechenland auf einem guten Weg sei und an die Finanzmärkte zurückkehren könne, sagte der ÖVP-Politiker weiter. "Wenn das nicht gewährleistet ist, bin ich nicht sicher, ob ich im österreichischen Parlament die Zustimmung erhalte."

Der Finanzbedarf Griechenlands für die drei Jahre wird nach seinen Angaben von den Institutionen derzeit auf etwa 72 Milliarden Euro beziffert. Darin seien die Zahlungen des Internationalen Währungsfonds enthalten. Es sei der erklärte Wille aller Finanzminister, dass der IWF bei einem dritten Programm an Bord bleibe, betonte Schelling. Er forderte von der griechischen Regierung, die Reformen unmittelbar durch das Parlament zu bringen.

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