Der Friedensprozess der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei PKK gerät immer mehr in Gefahr. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf der Gruppe am Dienstag vor, die nationale Einheit des Landes zu gefährden. Deswegen sei es unmöglich, den Friedensprozess fortzusetzen. Das Parlament forderte er auf, die Immunität von Politikern mit Verbindungen zu "terroristischen Gruppen" aufzuheben. Die verbotene PKK warf dem Staatsoberhaupt hingegen einen "Putsch" vor. In Brüssel versicherten die Nato-Partner der Türkei im Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat ihre Solidarität. Zugleich kritisierten sie aber türkische Angriffe auf kurdische Stellungen im Irak.
Der Konflikt mit der PKK war in der vergangenen Woche mit mehreren Angriffen auf türkische Soldaten und Polizisten wiederaufgeflammt, für die die Gruppe verantwortlich gemacht wird. Die Streitkräfte bombardierten daraufhin kurdische Stellungen. Am Dienstag griff die Luftwaffe wenige Stunden nach Erdogans Pressekonferenz nach eigenen Angaben PKK-Kämpfer in der Südosttürkei an. Dies sei eine Reaktion auf eine Attacke auf türkische Sicherheitskräfte.
Erdogan hatte trotz des Widerstandes aus dem nationalistischen Lager mit Reformen zur Ausweitung der Minderheitenrechte begonnen und im Jahr 2012 Verhandlungen mit der PKK aufgenommen. Er wollte den Konflikt beenden, bei dem seit 1984 etwa 40.000 Menschen getötet worden sind. Seit 2013 galt ein Waffenstillstand. Trotzdem konnte der Präsident auf breiter Basis keine kurdischen Wähler gewinnen. So erhielt die prokurdische Partei HDP bei der Parlamentswahl im Juni überraschend viele Stimmen und trug dazu bei, dass Erdogans islamisch-konservative Partei AKP ihre absolute Mehrheit verlor.
HDP-Chef Selahattin Demirtas sagte nun: "Unser einziges Verbrechen war es, 13 Prozent der Stimmen zu gewinnen." Er hielt der AKP vor, die HDP zerstören zu wollen, um bei Neuwahlen die absolute Mehrheit gewinnen. Erdogan hat der Partei Verbindungen zur PKK unterstellt. Die verbotene Gruppe selbst erklärte, Erdogan wolle seine Ziele nun mit einem Staatsstreich erreichen.
Chancen für eine Fortsetzung des Friedensprozesses gibt es möglicherweise noch immer. AKP-Sprecher Besir Atalay sagte, die Gespräche mit der PKK könnten fortgesetzt werden, wenn "terroristische Elemente" das Land verlassen und die Waffen niederlegen würden. Am Sonntag hatte die PKK die Waffenruhe für beendet erklärt, nicht aber den gesamten Friedensprozess.
Seit der Luftangriffe auf die PKK haben sich in der Südosttürkei Anschläge gehäuft, die mutmaßlich von kurdischen Extremisten verübt wurden. Mehrere westliche Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten Erdogan vor einem Ende des Friedensprozesses gewarnt.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versicherte der Türkei nach einem Treffen der Botschafter der Allianz die Solidarität. "Wir sind geeint in der Verurteilung von Terrorismus, in Solidarität mit der Türkei." Die Türkei hatte das Treffen beantragt, um die Partner über das Vorgehen gegen den IS und die PKK zu informieren. Anders als die Bundesregierung rechtfertigen die USA die Bombardierung von PKK-Stellungen mit dem Argument, bei der Organisation handele es sich um eine terroristische Gruppe.
Erdogan hatte das Bündnis zur Unterstützung seines Anti-Terror-Kampfs aufgefordert. Um militärische Hilfe habe die Türkei aber nicht gebeten, hieß es. Nach Angaben aus Delegationskreisen gab es bei der Zusammenkunft trotz aller Solidaritätsbekundungen auch mahnende Stimmen. "Beim Treffen haben viele Delegationen den Dreiklang aus Solidarität, Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der Fortsetzung des Friedensprozesses betont", verlautete aus EU-Kreisen.