Finanzen

Fallende Erdöl-Preise stürzen Russlands Wirtschaft in die Krise

Lesezeit: 5 min
11.08.2015 00:05
Russland erlebt die erste Rezession seit sechs Jahren. Besonders die starke Abhängigkeit von Öl-Exporten wird dem Land zum Verhängnis. Fällt der Ölpreis weiter, droht die Krise vom Energiesektor auf die Banken überzugreifen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Russland erlebt den ersten Konjunkturrückgang seit der Finanzkrise von 2009: Die russische Wirtschaft rutscht wegen der niedrigen Ölpreise und der Sanktionen immer tiefer in die Rezession. Die Wirtschaftsleistung brach nach vorläufigen Daten im zweiten Quartal um 4,6 Prozent verglichen mit dem Vorjahr ein, meldet Reuters. Zu Jahresbeginn lag das Minus lediglich bei 2,2 Prozent.

Russlands Wirtschaft ist stark von Öl und Gas abhängig, der Ölpreis ist aber seit geraumer Zeit unter Druck. Dazu kommen die EU-Sanktionen und der Fracking-Boom in den USA, die der Wirtschaft zu schaffen machen.

Im ersten Quartal verzeichnete das Land noch einen BIP-Rückgang von 2,2 Prozent. Die Weltbank geht in ihrem aktuellen Russland-Report davon aus, das die Wirtschaftsleistung aufs ganze Jahr gesehen um 2,7 Prozent zurückgeht. Die Organisation mit Sitz in Washington D.C. rechnet frühestens ab 2016 mit einem Zuwachs von 0,7 Prozent, vorausgesetzt der Ölpreis steigt bis dahin auf 64 Dollar pro Barrel an. Auch der russische Wirtschaftsminister Alexei Uljukajew rechnet in diesem Jahr mit einem BIP-Rückgang von 2,8 Prozent, wie Bloomberg berichtet. Die russische Zentralbank zeigt sich dagegen pessimistischer und prognostiziert eine Kontraktion von 4 Prozent. Besonders die hohe Inflation von 17,1 Prozent und der Rückgang der Reallöhne um 8,4 Prozent würden die Wirtschaft belasten.

Die Hauptgründe für die Rezession sind die von der EU und den USA verhängten Sanktionen sowie fallende Rohstoff-Preise. Für den russischen Staat sind Rohstoff-Exporte die wichtigste Einnahmequelle. Doch der Preisverfall im Rohstoff-Sektor ist eine gefährliche Spirale, die kaum zu stoppen ist und die gesamte Weltwirtschaft trifft.

Das Finanzministerium der Russischen Föderation gab bekannt, dass im Jahr 2013 die Hälfte aller Einnahmen durch Explorations-Steuern und Ausfuhr-Zölle auf Öl und Gas generiert wurden. Laut Zollbehörde machten Exporte von Öl und Gas im selben Jahr etwa 68 Prozent aller Einnahmen der russischen Wirtschaft aus. Der Export von Industrie-Metallen und Metall-Produkten steuerte nochmals zehn Prozent bei. Russland erwirtschaftete allein mit dem Verkauf von Erdgas ins Ausland – der Großteil davon nach Europa – rund 73 Milliarden Dollar. Rohöl-Exporte beliefen sich auf 174 Milliarden Dollar und der Verkauf von Rohöl-Produkten generierte nochmals 109 Milliarden Dollar.

Diese Abhängigkeit von Rohstoffexporten wird Russland nun zum Verhängnis. Seit Juni 2014 ist der Ölpreis von seinem Hoch bei 115 Dollar auf unter 50 Dollar pro Barrel eingebrochen. Die Baisse ist Teil eines umfassenden Preiseinbruchs bei Rohstoffen seit 2011, der neben den Energieträgern vor allem die für den russischen Export so wichtigen Industrie-Metalle betrifft. Bisher konnte Russland die fehlenden Einnahmen aus dem Öl-Export mit der Abwertung des Rubels kompensieren. Die russische Währung hat seit Mai ein Viertel ihres Wertes im Vergelcih zum Dollar eingebüßt. Da die großen Energiekonzerne häufig sowohl die Ölfelder als auch die Raffinerien in Russland besitzen, fallen alle Kosten für sie in Rubel an. Sie profitieren so vom fallenden Kurs der Währung, denn ihre Einnahmen generieren sie auf den internationalen Rohstoffmärkten und dort wird in Dollar abgerechnet.

Der russische Staat hingegen verzeichnete zuletzt ein Haushaltsdefizit von 3,7 Prozent. Die Wirtschaftsuniversität in Moskau warnte in einem Bericht, dass ein Viertel der 83 russischen Regionen vom Bankrott bedroht seien. Demnach würden die Wahlversprechen Putins – höhere Beamtegehälter und höhere Sozialausgaben – besonders die östlichen Regionen nun an ihre finanziellen Grenzen bringen. „Russland wird bis 2017 in einer sehr schwierigen Finanzsituation sein“, zitiert der Telegraph einen Analysten der Bank Unicredit. „Ende nächsten Jahres wird kein Geld mehr im Öl-Reserve-Fonds sein und es gibt ein enormes Defizit im Pension-Fonds. Das Haushaltsdefizit liegt bei 3,7 Prozent des BIP, aber ohne entwickelte Kapitalmärkte kann sich Russland eigentlich überhaupt kein Defzit leisten.“

Während für den Preisrückgang bei Rohstoffen monetäre Gründe ausschlaggebend sind, spielen beim Ölpreis vor allem geopolitische Gründe eine Rolle. Das OPEC-Kartell unter der Führung Saudi-Arabiens sieht durch die Ausweitung der US-Produktion seine Martkmacht bedroht. Die Saudis führen deshalb einen unerklärten Preiskrieg gegen die Fracking-Unternehmen. Doch der Preiskrieg wird von den USA geduldet, um Russland in die Knie zu zwingen. Und ein Ende des Preisverfalls ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Die schwächere Nachfrage aus China wird die Rohstoffen-Preise weiter senken. Gegenwärtig übersteigt die Produktion die Nachfrage schon um rund drei Millionen Barrel pro Tag. Zudem steht mit dem Iran ein weiterer Produzent bereit, der den Markt wieder verstärkt mit Öl beliefern wird. Analysten rechnen daher längerfristig mit tiefen Preisen. Die Internationale Energie Behörde (IEA) geht in ihrem Ölmarkt-Bericht davon aus, dass Russland von allen Ölproduzenten am stärksten vom Preisverfall betroffen sein wird.

„Russland steht vor einem 'Perfekten Sturm' aus kollabierenden Preisen, internationalen Sanktionen und Währungsabwertung und wird vermutlich als der Hauptverlierer der Branche hervorgehen“, heißt es in dem Bericht.

Russland hat in den letzten Jahren wichtige Investitionen im Erdöl-Sektor verschlafen. Die Ölproduzenten sind teilweise noch auf Felder aus Sowjet-Zeiten angewiesen, deren Förderrate jährlich um 8 bis 11 Prozent zurückgeht. Zudem kann Russland aufgrund der Sanktionen keine Fördertechnologie mehr aus dem Westen importieren. Diese wird jedoch dringend benötigt, um schwerzugängliche Ölfelder in der Arktis und Sibirien zu erschließen. Hinzu kommt, dass westliche Unternehmen wie ExxonMobil ihre Projekte mit russischen Energiekonzernen auf Eis gelegt haben. Die Sanktionen schränken die Möglichkeiten der Zusammenarbeit ein und der tiefe Ölpreis macht Bohrungen in der Arktis und Sibirien unrentabel. Die IEA schätzt deshalb, dass die russische Öl-Förderung bis 2020 um 500.000 Barrel pro Tag zurückgehen wird. Der Vize-Präsident des zweitgrößten Ölproduzenten Lukoil, Leonid Fedun, warnte im März sogar vor einem Förderrückgang um 8 Prozent bis Ende des Jahres. Das wären 800.000 Barrel pro Tag weniger als bisher.

Die beiden größten Ölproduzenten des Landes, Rosneft und Lukoil, haben ihre Budgets zur Exploration von Erdöl bereits um 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr reduziert. Lukoil musste zudem einen finanziellen Rückschlag im Ausland verkraften. Einem Reuters-Bericht zufolge haben rumänische Behörden Vermögen im Wert von zwei Milliarden Euro beschlagnahmt. Sie werfen dem Unternehmen Geldwäsche und Steuerflucht vor. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück und hofft auf ein Eingreifen der EU-Kommission. Der Telegraph berichtet zudem, dass Russlands größtes Finanzinstitut Sberbank vor Finanzproblemen bei Gazprom warnt. Demnach könnte Gazproms Umsatz in diesem Jahr um ein Drittel einbrechen, von 146 Milliarden Dollar auf 106 Milliarden Dollar. Grund dafür sei die rückläufige Nachfrage von Erdgas, vor allem aus Europa, was den Konzern dazu zwang, die Produltion um 19 Prozent zu drosseln. Gazprom trägt allein rund 10 Prozent zum russischen BIP bei und sorgt damit im Finanzministerium für etwa ein Fünftel aller Einnahmen.

Auch Rosneft steht vor finanziellen Problemen. Im Jahr 2013 beteiligte sich der Konzern noch für 40 Milliarden Dollar am Energiekonzern TNK-BP. Doch seit Rosneft auf der Sanktionsliste steht, hat das Unternehmen keinen Zugang mehr zu den internationalen Kapitalmärkten. Um seine Schulden bedienen zu können, wurden milliardenschwere Rubel-Anleihen ausgegeben, die von den großen staatlichen Banken gekauft wurden, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Die Zentralbank akzeptierte die Anleihen als Sicherheiten für weitere Kredite. Finanzexperten fürchten deshalb, dass die Krise aus dem Energie- auf den Finanzsektor übergreifen könnte. Sowohl die Gazprom-Bank als auch die VTB müssen bereits vom Staat mit Milliardenbeträgen gestützt werden. Sollte der Ölpreis weiter so niedrig bleiben, drohe Russland eine „gewaltige Bankenkrise“, zitiert die Süddeutsche den ehemaligen Wirtschaftsminister und Sberbank-Chef German Gref.

Seit dem Inkrafttreten der Sanktionen von EU und USA sind russische Unternehmen vom Zugang zu westlichen Kapitalmärkten abgeschnitten. Zwar haben sie ihre Auslandsschulden in den letzten 18 Monaten bereits um 170 Milliarden Dollar reduziert. Um ihre 86 Milliarden Dollar Auslandsschulden im laufenden Jahr noch zu begleichen, sind sie jedoch auf die Hilfe der Zentralbank angewiesen. Die Behörden können einen Teil davon finanzieren, denn die Staatsverschuldung liegt mit rund 30 Prozent des BIP vergleichsweise niedrig. Doch die offiziellen Währungsreserven sind seit Ausbruch der Ukraine-Krise schon von 524 Milliarden auf 361 Milliarden Dollar zusammengeschmolzen. Ökonomen sehen mit Sorge, dass Russland die Wirtschaftskrise bekämpft, in dem es an seine Substanz geht.

„Russland verfügt nur deshalb über genügend Geld, um die Lichter am Brennen zu halten, weil es das Geld für nichts anderes nutzt. Es hat den Preis, dass nicht in neue Infrastruktur oder Diversifizierung investiert wird“, zitiert die Moscow Times den Analysten Chris Weafer von Macro Advisory.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brain Drain in Deutschland? 20 Prozent der Studenten wollen nach Abschluss auswandern
25.12.2024

Laut einer Umfrage sehen viele Studenten bessere berufliche Chancen im Ausland. Auch die Zahl der deutschen Auswanderer war zuletzt hoch....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: „Null-Bock-Tage“ im Job? Auszeiten im Arbeitsalltag – ein Arbeitsmodell für Deutschland?
24.12.2024

Der Krankenstand in Deutschland bleibt weiterhin auf einem hohen Niveau. Und das nicht ohne Grund: „Einfach mal durchatmen“ ist für...

DWN
Politik
Politik Wahlen in Deutschland: Anteil von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund steigt
24.12.2024

Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind wahlberechtigt. Diese Zahl steigt stetig und wird das Land in Zukunft entscheidend...

DWN
Technologie
Technologie Kirche und Künstliche Intelligenz: KI-Jesus im Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere
24.12.2024

Avatar direkt in der Kirche: Eine Schweizer Kirche hat in diesem Jahr mit künstlicher Intelligenz einen sprechenden Jesus kreiert, der in...

DWN
Panorama
Panorama Inklusion im Fußball: Wie Manchester United mit Pflegeprodukten für Männer vorangeht
24.12.2024

Manchester United setzt mit der Einführung von Pflegeprodukten für Männer mit Blasenschwäche ein wichtiges Signal für Inklusion im...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Investitionen für deutschen Mittelstand: Hidden Champions kämpfen um Aufmerksamkeit am Kapitalmarkt
24.12.2024

Investitionen für deutschen Mittelstand sind der Schlüssel, um die Innovationskraft der Hidden Champions zu stärken. Diese weltweit...

DWN
Panorama
Panorama Spendenbereitschaft Deutschland 2024: Einfluss von Einkommen und Alter auf die Spendenhöhe
24.12.2024

Die Spendenbereitschaft in Deutschland ist 2024 gesunken, trotz eines hohen Spendenvolumens von 12,5 Milliarden Euro. Der Rückgang...

DWN
Panorama
Panorama Klimawandel: 2024 wird das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen
24.12.2024

2024 wird das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und markiert eine Rekordabweichung von über 1,5 Grad Celsius zum...