Weltwirtschaft

Putins Master-Plan: Russland will wieder Weltmacht werden

Lesezeit: 7 min
08.10.2015 01:23
Wladimir Putin hat das Timing für sein Eingreifen in Syrien sehr geschickt gewählt: Er hat die Chance, Russland über den Nahen Osten wieder zur Weltmacht zu machen. Dieses Match läuft über den Öl-Preis. Und Putin weiß: Wer die Hand auf dem Öl-Hahn hat, der hat auch bei allen geopolitischen Fragen das letzte Wort.
Putins Master-Plan: Russland will wieder Weltmacht werden
Russlands Präsident Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch in der Residenz des Präsidenten in Sotschi. (Foto: EPA/ALEXEY NIKOLSKY / RIA NOVOSTI)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Russlands Intervention in Syrien dient nur vordergründig dem Kampf gegen den Terror. Denn anders als die Amerikaner gehen die Russen nicht nur militärisch, sondern auch geopolitisch äußerst überlegt vor.

Russland ist schon seit langem Partner von Syrien. Syrien ist ein wichtiger Brückenkopf zum Nahen Osten, insbesondere im Hinblick auf die Transportwege für Rohstoffe. Die Amerikaner wollten den Russen diesen Weg ursprünglich abschneiden. Doch der Schuss ging nach hinten los: Die US-Armee verweigerte Präsident Barack Obama die Gefolgschaft. So mussten die Amerikaner mit unberechenbaren Söldnern und Terroristen gegen Präsident Baschar al-Assad ins Feld ziehen. Einziger Partner der USA war die Türkei, die aber ausschließlich Eigeninteressen verfolgt. Die Terroristen wiederum freuten sich über die Waffen, die sie erbeuteten – und setzten diese nach Bedarf auch gegen die Amerikaner ein. Ursprünglich hatte Washington den Aufbau des IS akzeptiert. Die Amerikaner hofften, über dieses Kriegs-Vehikel Assad zu stürzen.

Zugleich versuchten die Neocons, die hinter der US-Strategie stecken, Russland in der Ukraine zu beschäftigen. Mit dem Ausbau des Frackings hofften sie, in den USA und in der Ukraine, vielleicht sogar in der EU eine Alternative zum Erdöl zu etablieren. Doch das erweist sich als langer, steiniger Weg: Die Methode ist teuer und nur mit Fördergeldern aus Steuern zu finanzieren. Die Fracking-Unternehmen sind weit von der Profitabilität entfernt, die Aktien-Kurse stürzten ab.

Auf diesen Moment scheint Putin gewartet zu haben: Denn der Ölpreis-Verfall, den die OPEC zugelassen hatte, um das Fracking abzuwehren, traf Russland schwer. Zwar konnte einiges durch eine geschickte Währungspolitik – starker Dollar, schwacher Rubel – abgemildert werden. Doch die Abhängigkeit von den Rohstoff-Exporten ist die Achilles-Ferse Russlands. Während der Jelzin-Zeit wurde das Land in trautem Zusammenspiel der US-Neocons mit einigen genehmen Oligarchen geplündert, was das Zeug hielt. Keine Regierung hat es geschafft, die russische Wirtschaft zu diversifizieren. Der neue Rohstoff-Schock ist für Russland extrem gefährlich.

Die ersten Entwicklungen des Ölpreises geben Putin recht: Nach dem Beginn der Intervention in Syrien ist der Preis gestiegen. 

Der Rohstoff-Analyst Dallas McEndree in einer sehr interessanten Analyse auf Oilprice.com

Energie bildet das Fundament von Russland, seiner Wirtschaft, seiner Regierung und seinem politischen System. Putin hat schon oft die Wichtigkeit mineralischer Rohstoffe für den Erhalt des russischen Wirtschaftswachstums und der Industrieentwicklung betont, um zu weiterentwickelten Wirtschaftsnationen aufzuholen und sowohl Militär als auch Militärindustrie in Russland zu modernisieren.

Die Korrelation  zwischen BIP-Wachstum auf der einen Seite und Öl- und Gas-Produktion, Exportzahlen und Preisen auf der anderen ist seit 1992 deutlich erkennbar. Doch nicht nur für Russland, sondern auch seine eurasischen Nachbarn sind Russlands Öl- und Erdgasvorkommen wichtig. Im Jahr 2014 lieferte Russland ca. 30 Prozent von Europas Gas und ein Viertel des Rohöls in 2013. 

Neben den Rohstoffen an sich verleihen auch seine gut ausgebaute Boden-Infrastruktur für die Verteilung dieser Ressourcen Russland Bedeutung. Tatiana Mitrova, Leiterin der Öl- und Gas-Abteilung im Energy Research Institute an der Russian Academy of Sciences meint: „Russland verfügt über eine einzigartige, transkontinentale Infrastruktur im Herzen von Eurasien (150.000 km an Pipelines), welche es zum Rückgrat des sich entwickelnden, weitläufigen eurasischen Gasmarktes macht. Die Kontrolle sowohl über die Transportmittel, als auch die Gas-Reserven machen Russland zum Dreh- und Angelpunkt dieses neuen Marktes.”  Das landgebundene Öl-Verteilungsnetzwerk ist kleiner, aber nicht zu vernachlässigen. Die 4000 km lange Druzhba-Pipeline deckt beispielsweise rund 30 Prozent der Gesamtlieferungen an Europa ab. Die russische Regierung ist sehr daran interessiert, diese Infrastruktur weiter auszubauen, und hat bereits mehrere Pipeline-Projekte vorgestellt.

Die Bedrohungen für die russische Energiewirtschaft haben sich in den letzten Jahren immer mehr intensiviert und die Erlöse, die Russland aus dem Geschäft beziehen kann, stehen stark unter Druck. Die Entscheidung Saudi Arabiens, den Markt die Preise bestimmen zu lassen, hat zu starken Einbrüchen der Preise für Rohöl und Petroleum geführt. Auch die Exportpreise sind betroffen, was wiederum zum Teil auf die Umstellung zu Hybrid-Preis-Modellen für Gas in Europa zurückzuführen ist. 

Wie bedrohlich die Entwicklung ist, zeigen die Charts:

Die von den USA geforderten Sanktionen gegen Russland haben den Druck erhöht. Denn sie bewirken, dass russische Projekte zur Energiegewinnung weder finanziell, noch durch die Bereitstellung von Technologie oder Ausrüstung gefördert werden dürfen. Hinzu kommt, dass auch die USA und Kanada sich bereits als starker Konkurrent in der Öl- und Gasproduktion etabliert haben, wie McEndree analysiert.

Daher war es für Putin dringend notwendig, aktiv zu werden. Es gelang ihm, die Rebellen in der Ost-Ukraine zum Stillhalten zu bewegen. Zuletzt haben diese sogar die Regionalwahlen abgesagt – auf Putins ausdrückliche Vermittlung. Putins Glück: Die von der EU finanzierte Regierung in Kiew ist korrupt und streitet vornehmlich darüber, in wessen Taschen die EU-Steuergelder fließen. Weil die EU gleichzeitig die griechischen Schulden finanzieren muss und mit den Flüchtlingen voll beschäftigt ist, haben weder Deutschland noch Frankreich ein Interesse, die Bedingungen in der Ukraine weiter eskalieren zu lassen: Sie können es sich einfach nicht leisten.

Die dritte Komponente sind die US-Wahlen: Obama ist eine lame duck – und vielleicht gerade deswegen der einzige, der in Washington noch einigermaßen bei Verstand ist. Obama weiß, dass das militärische Engagement in Syrien ein Desaster war. Obama will nicht in die Geschichte eingehen als der Präsident, der den Nahen Osten und Europa ins totale Chaos gestürzt hat. Daher kooperiert er mit Putin und ist froh, dass dieser nun für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt. Die Neocons toben, können aber nicht viel machen: Der Vorteil des militärisch-industriellen Komplex ist in diesem Fall die Tatsache, dass Obama der Oberbefehlshaber ist. Mehr als kläffen können weder die Neocons noch die Nato.

Putins Allianzen mit dem Irak, dem Iran und vor allem mit China zeugen von einer gewissen Weitsicht: Mit diesen Partnern kann er im Nahen Osten eine führende Rolle übernehmen. In weiser Voraussicht hat er auch Israel eingebunden. Vor allem aber kann es ihm gelingen, die Macht der OPEC zu brechen. Das richtet sich vor allem gegen Saudi-Arabien. Die Saudis selbst sind im Moment mit dem Generationenwechsel beschäftigt und führen, damit sich die jungen Scheichs profilieren, einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Jemen. Das bindet Kräfte und lenkt ab.

McEndree analysiert genau diesen Aspekt in Putins Strategie:

Weiterhin bleibt die Frage zu klären, ob die Entwicklungen im Nahen Osten den russischen Energiemarkt retten könnten. Die Spannungen dort sind meist auf die Sicherheit der Transportwege für Rohstoffe bezogen. Der Nahe Osten selbst ist vor allem auf den Schifftransport angewiesen. Da aber sämtliche Wasserwege ein geographisches Nadelöhr beinhalten, sind sie weitaus anfälliger für externe Bedrohungen als Pipelines, die von Russland genutzt werden. Durch den Ausbau von Luftwaffenstützpunkten in Syrien könnte Russland diese Wege durchaus beeinträchtigen. 

Russlands Einfluss auf die OPEC wird durch Putins Schritt maßgeblich gestärkt. Russland verfügt bereits über enge Verbindungen mit dem Iran und Venezuela und möglicherweise bald auch dem Irak, die alle Saudi-Arabiens Entscheidung zu den Ölpreisen entgegenstehen. Der russische Vizeministerpräsident für Energiepolitik hatte angemerkt, dass die OPEC-Mitglieder nun unter den Effekten ihrer eigenen Strategie leiden, Rivalen durch eine Überflutung des Markts auszustechen, und zweifelte an, dass die OPEC-Mitglieder wirklich langfristig mit niedrigen Ölpreisen zufrieden sein würden. 

Tatsächlich könnte Russland also erreichen, dass die OPEC in zwei Blöcke gespalten wird und Russland damit Saudi-Arabien isoliert. Eine strategische Allianz zwischen Putin und dem Iran sowie dem Irak könnte Russland auch noch weitere Möglichkeiten aufzeigen, Druck auf Saudi-Arabien auszuüben. Zum einen könnten sie die saudische Entschlossenheit, ihren Markt zu verteidigen, testen. Zum anderen könnte man durch eine Kooperation mit dem Iran und Irak saudische Marktanteile am chinesischen Markt übernehmen, der als zweitgrößter Importmarkt und  einer wachsender Nachfrage in den nächsten Jahren von noch größerem Interesse für alle Parteien sein wird. 

Putin könnte also dank seines guten Timings weit mehr erreichen als nur einen militärischen Prestige-Sieg über die Amerikaner. Die Türkei, geführt von einem opportunistischen und skrupellosen Präsidenten Erdogan, wird Putin schnell auf seine Seite bringen: Das Projekt Turkish Stream ist in die Wege geleitet, aktuelle Verzögerungen spielen keine große Rolle, sie sind Drohgebärden Putins gegen Erdogan. Putin hat sich bisher noch nie zum Privat-Krieg Erdogans gegen die Kurden geäußert. Er ist froh, dass Erdogan abgelenkt ist und keine deckungsgleichen Interessen mit den Amerikanern hat.

Die EU wird sich nicht von der Stelle rühren: Sie ist jetzt schon völlig abhängig von den russischen Energielieferungen. Wenn Russland den Nahen Osten kontrolliert, werden die Gespräche mit der EU schlagartig sehr konstruktiv verlaufen. Denn dann sitzen für diese Energie-Importe mit Russland und dem Iran zwei Partner am Tisch, denen die chaotische EU-Führung hoffnungslos unterlegen ist. McEndree meint, Putin müsse seine Handlungen gut abwägen, um nicht in Europa die Angst vor einer totalen Energieabhängigkeit von Russland zu wecken. Das Risiko ist überschaubar, weil die EU aktuell vor allem Flüchtlings-Ängste hat und jeden Preis bezahlen wird, um das Thema vom Tisch zu bekommen. Erdogan hat in Brüssel schon die Muskeln spielen lassen. Putin wird, wenn er Syrien befriedet, mit offenen Armen empfangen werden.

Wenn der Plan aufgeht, könnte Russland die OPEC de facto zerschlagen und somit Zugriff auf den Ölpreis gewinnen. Es ist für Russland langfristig nicht möglich, mit einem niedrigen Ölpreis zu bestehen. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Putin besteht auch in der jüngsten Warnung des Gouverneurs der Bank of England, Mark Carney: Dieser hatte in ungewöhnlicher Deutlichkeit gesagt, dass es sehr plötzlich zu drastischen Regulierungen für Erdöl- und Erdgas-Produkte kommen könnte. Das würde Russland stark treffen – allerdings nicht kurzfristig. Es könnte jedoch die Kapitalströme in alternative Energieträger umleiten. Um diesen Angriff abzuwehren, ist Russland allein zu schwach. Hier könnte sich die Allianz mit China lohnen, das mit der neuen Investitionsbank AIIB und dem Seidenstraßen-Projekt eine neue Ebene der Infrastruktur-Projekte eingezogen hat.

McEndree schreibt: Sämtliche dieser Optionen setzen einen Erfolg der Kooperationen mit Syrien, dem Irak und dem Iran voraus, welcher aber im Angesicht der Ukraine-Krise nicht vollständig gewährleistet ist.

Das stimmt. Doch wenn Putin diese Schlacht gewinnt, hat er zumindest eine faire Chance, dass Russland als Weltmacht ernstgenommen werden muss. Mit halbstarken Sprüchen seitens der USA oder der EU ist es dann nicht mehr getan. Denn auf absehbare Zeit gilt: Wer am globalen Öl-Hahn sitzt, der hat das letzte Wort.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Panorama
Panorama Amokfahrt von Magdeburg: Trauer, Entsetzen und offene Fragen halten Deutschland in Atem
22.12.2024

Fünf Menschen sind tot, 200 verletzt: Nach der folgenschweren Fahrt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg stellt sich die...

DWN
Politik
Politik Donald Trump hofft: Elon Musk übernimmt (noch) nicht die US-Präsidentschaft
22.12.2024

Kritiker nennen den Tech-Milliardär süffisant «Präsident Musk». Donald Trump stellt klar, wer das Sagen hat - bestreitet aber auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...