Der Auslöser des Preisverfalls war ein Überangebot. Trotz deutlicher Anzeichen auf eine abflauende Weltkonjunktur, nicht zuletzt wegen des stotternden Wirtschaftsmotors in China, haben Förderländer wie Russland und die Mitglieder des OPEC-Kartells die Förderung nicht gekürzt. Das Kalkül dahinter: Die neue Fracking-Konkurrenz aus den USA sollte möglichst aus dem Markt gedrängt werden. Wenn die Förderung dort teurer ist als das Produkt, wird das Geschäft unrentabel. Viele Fracking-Mitspieler haben ihr Geschäft und ihr Equipment über Kredite oder Anleihen finanziert. Sie könnten Pleite gehen. Hinzu kommt, dass Staaten wie Saudi-Arabien finanziell einen viel längeren Atem haben, als die vielen, meist kleineren Ölbarone in Texas oder Norddakota.
Bislang ist diese Spekulation nicht aufgegangen. Aber das Kreditrisiko der Banken steigt. „Niedrige Preise verursachen Druck auf das Kreditgeschäft“, ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte überzeugt. Zahlen, welches Bankhaus in welcher Höhe Kredite an Ölunternehmen gibt, sind schwer zu bekommen. Die Banken schweigen in der Regel zu ihren Kunden. Bekannt ist, dass Wells Fargo, J.P. Morgan Chase und die Bank of America zu den größeren Kreditgebern gehören. Europäische Adressen sind eher selten zu finden. Deloitte rechnet damit, dass besonders umsichtige Banken bereits Schritte zur Absicherung ihrer Engagements im Öl- und Gas-Sektor unternommen haben. Auch dürften neue Stresstests anstehen, die die Frage aufwerfen, ob das Risikomodell angesichts des Preisverfalls bei Rohöl noch richtig ist.
Wer sich im Ölgeschäft Geld leihen will, bringt in der Regel seine nachgewiesenen Ölreserven als Sicherheit ein. Diese Praxis gerät bei fallenden Ölpreisen zunehmend ins Wanken, weil zu befürchten ist, dass die Förderung der Reserven zu teuer wird. Nach einer Umfrage der US-Anwaltskanzlei Haynes and Boone unter 182 im Ölgeschäft tätigen Finanzinstituten erwarten 39 Prozent, dass es schwieriger werden dürfte, Kredit gegen Reserven zu vergeben. „Angesichts des niedrigen Ölpreises drängen die Regulierer die Banken, Öl- und Gas-Kredite schnell als Problemkredite einzustufen, sobald die Schuldner in Schwierigkeiten kommen“, fasst Bill White, Houston-Chef der Investmentbank Lazard der Financial Times, den aktuellen Trend zusammen. Aktuell stehen in den USA die zweimal im Jahr verhandelten Prüfungen der Kreditverlängerungen an. White befürchtet, dass sich die ersten Banken in einigen Fällen weigern werden, ihre Ausleihungen gegen Reserven zu verlängern.
In den 1980er-Jahren hatte ein drastischer Preisverfall bei Rohöl neun von zehn der größten texanischen Banken in den Ruin geführt. Damit rechnet man heute wegen der stärkeren Diversifizierung der Banken nicht mehr. Aber die Kreditvergabe ist nicht das einzige Feld, in dem Banken durch den Ölpreis ins Risiko geraten können. Im Investmentbanking beobachtet Deloitte beispielsweise bei hochrentierlichen Ramschanleihen von Öl- und Gasfirmen eine Ausweitung der Bandbreite der Rendite – im Fachjargon: Yield Spread. Das deutet darauf hin, dass Kreditkonditionen schlechter geworden sind. Das Risiko eines Ausfalls steigt.
Deutsche Banken sind bei der Finanzierung von amerikanischen Öl- und Gasfirmen kaum dabei. Potenziell betroffen von der Ölpreisentwicklung sind sie aber auf anderen Wegen. Beispiel Derivate. Futures, Optionen oder Swap-Geschäfte bergen durch ihre Hebelwirkung ein hohes Risiko. Mit Abstand den größten Bestand an diesen Papieren hat hierzulande die Deutsche Bank mit 50 Billionen Euro. Diese hohe Summe kommt allerdings zustande, weil sich zur Risikoverminderung viele Kontrakte gegenseitig aufheben. Das Institut hat Ende 2013 beschlossen, sich im Derivategeschäft aus den Rohstoffen zurückzuziehen. Begründet wurde dieser Schritt auch mit schärferen Regeln der Bankenaufsicht. Der Nettomarktwert der rohstoffbezogenen Derivatekontrakte der Deutschen Bank belief sich Ende 2014 nur noch auf 134 Millionen Euro. Auch die Schweizer Großbank Credit Suisse ist wegen strengerer Auflagen inzwischen aus dem Rohstoffgeschäft ausgestiegen. Den Verwerfungen, die ein drastisch fallender Ölpreis auf dem Derivatemarkt verursachen kann, sind die hiesigen Institute also kaum mehr ausgesetzt. Anders sieht das möglicherweise bei den US-Amerikanischen Banken aus. Branchengrößen wie Citigroup, JP Morgan, Bank of America und Goldman Sachs kontrollieren nach Berechnungen der F.A.Z. fast ein Drittel des globalen Derivatemarktes.
Im Fondsgeschäft bieten deutsche Bankhäuser weiterhin Rohstofffonds an, die teilweise einen hohen Energie-Anteil haben. Aber angesichts des Preisverfalls nicht nur bei Öl, sondern auch bei vielen Agrarrohstoffen, fahren fast alle Fonds mit Verlusten in zweistelliger Prozenthöhe. Viele Investoren haben sich daher aus diesen Fonds zurückgezogen. Die Banken verlieren dadurch Geschäft, aber riskieren in diesem Feld wenig. Denn in den Fonds liegt anderer Leute Geld. Aus dem Handel auf eigene Rechnung haben sich die Banken in Deutschland nach der Finanzkrise und den immer schärferen Auflagen nach und nach zurückgezogen.
Nachdem der Ölpreis Ende August auf seinen tiefsten Stand seit 2009 gefallen war, rechnen die meisten Experten damit, dass er sich mittelfristig wieder etwas erholen wird. Die Analysten der Commerzbank gehen davon aus, dass Ende 2016 ein Niveau von 65 Dollar je Barrel gezahlt wird. Das wären dann zehn Dollar mehr, als sie für Ende diesen Jahres erwarten. Deloitte ist sogar noch etwas optimistischer und sieht die 60 Dollar-Marke schon Ende 2015 überschritten. Für einen deutlicheren Preisanstieg gibt es derzeit keine Anzeichen. Die Internationale Energie Agentur IEA sagt einen Rückgang der Ölnachfrage 2016 auf 1,2 Millionen Barrel pro Tag (bpd) von 1,8 Millionen bpd in diesem Jahr voraus. Gleichzeitig kommen neue Mengen durch den Iran auf den Markt und sorgen für eine anhaltende Überversorgung.