Politik

Stimme aus Israel: Russland hat recht, der Kampf gegen ISIS hat für uns alle Vorrang

Der ehemalige Chef des Nationalen Sicherheitsrats von Israel fordert eine Koalition des Westens mit Russland, um die Terror-Miliz IS zu bekämpfen. Dazu muss die Nato endlich die Türkei bändigen, die die Lage nutzen will, um ihr Territorium nach Süden zu erweitern.
20.12.2015 01:05
Lesezeit: 2 min
Stimme aus Israel: Russland hat recht, der Kampf gegen ISIS hat für uns alle Vorrang
US-Präsindet Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin mit ihren Außenministern bei der UN-Vollversammlung in New York im September. (Foto: EPA/MIKHAIL KLIMENTIEV/RIA NOVOSTI/KREMLIN POOL)

Vor ungefähr 12 Jahren besuchte der Leiter eines russischen Think Tanks Israel. Als Leiter des Nationalen Sicherheitsrats traf ich ihn, gemeinsam mit einigen anderen hochrangigen Verteidigungsbeamten und wir hörten ihn sagen, dass die größte Bedrohung des Weltfriedens der Islamische Staat sei. Sicher, der Name „ISIS“ fiel damals noch nicht, aber das Phänomen, für das er steht, wurde mit beeindruckender Genauigkeit vorhergesagt.

Der russische Funktionär warnte vor dem Zusammenschluss eines islamistischen Kalifats im Irak, das sich im Zerfall befand. Er warnte davor, dass dieses Kalifat versuchen würde, die Kontrolle über den Nahen Osten an sich zu reißen und sich von dort aus Richtung Norden in die ehemals Sowjetischen Republiken auszuweiten. Gleichzeitig würde es versuchen, die Schwächen des Westens auszunutzen und sich auf Europa zu konzentrieren. Seine Schlussfolgerung war, dass Russland, die Westlichen Mächte und Israel einen gemeinsamen Feind hätten und es somit von äußerster Wichtigkeit für sie sein sollte, ihre Kräfte zu bündeln um ihn zu besiegen. Über sie Jahre hörte ich ähnliche Botschaften, wenn ich andere russischen Funktionäre traf. Sie kritisierten auch den US-Krieg im Irak, den sie als idiotisch bezeichneten, und von dem sie sagten, dass er das in Erscheinung treten des Kalifates nur beschleunigen würde.

Etwa ein Jahr vor besagtem Treffen mit dem Russen, traf ich einen hochrangigen türkischen Funktionär. Das war zu einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Jerusalem und Ankara hervorragend waren. Bei diesem Treffen sprach der Funktionär sehr offen über die Weltanschauung seines Landes. „Wir wissen, dass wir die Länder, die vor 1917 zum Osmanischen Reich gehörten, nicht zurückbekommen können“, sagte er. „Aber macht nicht den Fehler zu denken, dass wir die Grenzen, die uns nach dem 1. Weltkrieg von den Siegermächten – vor allem Frankreich und dem Vereinigten Königreich – zugewiesen wurden, akzeptabel finden. Die Türkei wird einen Weg finden, zu seinen natürlichen Grenzen im Süden – zwischen Mossul im Irak und Homs in Syrien – zurückzufinden. Das ist unser naturgemäßes Bestreben und es ist durch die starke Präsenz von Turkmenen in der Region gerechtfertigt.“

Es gibt drei Schlüsse, die wir ziehen können, wenn wir die aktuelle Situation im Licht dieser Treffen betrachten.

Erstens, dass Russland ISIS Aufstieg schon vor langer Zeit vorhergesagt hat und dass Moskau die Organisation als eine bedeutende strategische Bedrohung betrachtet.

Zweitens: Die Russen erwarten zu Recht, dass der Westen die Bedrohung durch ISIS priorisiert und andere Unstimmigkeiten erst einmal außen vor lässt. Und drittens: Obwohl die Türkei ein Mitglied der Nato ist, so verhält sie sich doch nicht im Interesse der Nato. Eher treibt sie die Organisation in eine Auseinandersetzung, um ihre eigenen Interessen zu wahren – Angriffe auf Kurden, die zurzeit die einzigen sind, die ISIS auch am Boden bekämpfen, und unnötige Provokationen gegenüber Russland eingeschlossen.

Russlands Präsident Putin zufolge, versorgt die Türkei ISIS sogar mit Finanzmitteln. Das Ergebnis sollte offensichtlich sein: Die Bedrohung, die ISIS darstellt ist der der Nazis sehr ähnlich. Abstimmung zwischen Russland und dem Westen sind keine Garantie dafür, dass der Kampf gegen ISIS gewonnen ist, aber ohne sie, wird der Kampf wohl verloren sein. Der französische Präsident François Hollande scheint genau das anzuerkennen und wir können nur hoffen, dass er es schafft, die anderen Nato-Länder zu überzeugen, die Türkei zu bändigen und sich mit Russland zusammenzuschließen.

Israel ist hier sicherlich in einem Interessenkonflikt, aber man sollte nicht vernachlässigen, was passieren würde, wenn ISIS an Kraft gewinnen und Syrien, Jordanien und den Sinai kontrollieren würde. Auch für Israel ist die Folgerung klar: Der Sieg über ISIS hat Vorrang.

Dieser Artikel erschien im Orginal beim Guardian. Giora Eiland ist ehemaliger Leiter von Israels Nationalem Sicherheitsrat. (Übersetzung: Deutsche Wirtschafts Nachrichten)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...