Politik

Presseschau: „Um die Kanzlerin ist es einsam geworden“

Lesezeit: 3 min
18.02.2016 00:40
Die deutschen Zeitungen kommentieren das Scheitern von Angela Merkels Flüchtlingspolitik ziemlich einhellig: Die Kanzlerin müsse erkennen, dass Europa nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Die Zahl der unentwegten Beifallklatscher nimmt ab.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

«Lausitzer Rundschau»

Die ehemaligen Ostblockländer mauern im wahrsten Sinne des Wortes. Österreich praktiziert eigene Obergrenzen, indem es pro Tag nur noch eine sehr kleine Zahl von Asylbewerbern aufnimmt. Und von der Achse Berlin-Paris, früher eine verlässliche Konstante bei der Bekämpfung von Krisen, ist in dieser Frage nichts zu sehen und zu hören. Praktisch steht nur noch das kleine Luxemburg fest zu Merkel. Um die Kanzlerin ist es einsam geworden.

«Nordwest-Zeitung»

Das Bild einer weitgehend schwächelnden Koalition gewinnt immer schärfere Konturen. Es mag als geschickter Schachzug durchgehen, dass Angela Merkel ihre bevorstehende unvermeidliche Niederlage auf europäischem Parkett mit der Regierungserklärung ankündigte und ihr damit die Dramatik nahm. Doch die Zahl der unentwegten Beifallklatscher nimmt ebenso ab wie die Hoffnung, dass die Kanzlerin die schwierige Situation schon irgendwie meistern werde.

«Mittelbayerische Zeitung»

Die kommenden Tage könnten das Schicksal der Kanzlerin besiegeln. Wird es beim EU-Gipfel keine Fortschritte bei der gemeinsamen Flüchtlingspolitik geben und bleibt Deutschland in Europa mit seiner Politik isoliert, dürfte der Druck aufMerkel weiter steigen, egal, wie zurückhaltend selbst CSU-Chef Seehofer sich derzeit gibt. Zumal zu befürchten steht, dass die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März von vielen Wählern für eine Abrechnung mit der Asylpolitik der Bundesregierung genutzt werden. Eine europaweit isolierte Kanzlerin, deren Partei für ihre Politik abgestraft wird, wird es schwer haben, ernst genommen zu werden.

«Saarbrücker Zeitung»

Um die Kanzlerin ist es einsam geworden. Stellt sich die Frage, wie lange sie noch an ihrem Kurs festhalten kann. Zumal es auch in den eigenen Reihen immer stärker gärt. Einen Fingerzeig darauf gab Merkel gestern durchaus: Nach ihren Worten soll der Gipfel klären, ob es sich noch lohne, den bisherigen Weg weiterzugehen. Damit stünde die Kanzlerin also an einem Scheideweg. Doch ist kaum anzunehmen, dass sie ihr Scheitern einräumen würde. Jetzt noch nicht. Schon im März findet der nächste EU-Gipfel statt. Und Landtagswahlen gibt es im kommenden Monat ebenfalls. Nach Lage der Dinge könnten die der Kanzlerin sogar Luft verschaffen.

«Schwäbische Zeitung»

Ja, es wird immer einsamer um Merkel. Manche Minister werden mutlos, andere versagen. Die CSU setzt die Kanzlerin enorm unter Druck, die Fliehkräfte in der Koalition wachsen, der Partner SPD wird unruhiger. Die Kanzlerin ist angespannt, ihre Flüchtlingspolitik wird von vielen nicht mitgetragen, schlimmer noch, nicht verstanden. Und doch wird der EU-Gipfel in Brüssel selbst im Fall des totalen Misserfolgs nicht Merkels D-Day werden. Er wird nicht über ihr Schicksal entscheiden. Denn zum einen hat die Kanzlerin alle ihre Erwartungen schon zurückgenommen, das vorläufige Scheitern schon eingestanden. Zum anderen folgt die Unionsfraktion Merkel zwar nicht geschlossen in der Sache, aber geschlossen, wenn es um die Macht geht.

«Badische Neueste Nachrichten»

Die alte europäische Masche, einen Konsens im Zweifelsfall durch mehr Geld quasi zu erkaufen, funktioniert nicht mehr, ebenso läuft der hilflos anmutende Appell nach mehr Solidarität ins Leere, da die einzelnen Mitgliedsstaaten dem nationalen Interesse Vorrang vor einer gesamteuropäischen Lösung geben. Angela Merkel, die in der Euro-Krise noch mit der ökonomischen Macht Deutschlands im Rücken als strenge Zuchtmeisterin auftreten konnte, ist dieses Mal nur noch Bittstellerin, die vom Entgegenkommen der anderen abhängig ist. Doch dieses ist nicht in Sicht.

«Frankfurter Rundschau»

Wer am Mittwoch Angela Merkels Regierungserklärung gehört hat, erlebte eine Kanzlerin, die sich entschlossen und standfest gibt. Doch nimmt man den Inhalt, dann ergibt sich - abgesehen von einigen richtigen Anmerkungen zur Bekämpfung von Fluchtursachen - ein Bild der Schwäche. Das Ziel, die Verantwortung für Flüchtende auf Europa zu verteilen, hat die Kanzlerin vorläufig aufgegeben. Sie wiederholte, es wäre «lächerlich», jetzt größere Kontingente zu fordern, da die beschlossenen nicht mal im Ansatz erfüllt sind. Das stimmt. Es bedeutet aber: Merkel hat ihre Ziele den Mehrheitsverhältnissen in der EU angepasst. Sie hat ihre Niederlage vorweggenommen, um sie nicht auf dem Gipfel zu erleiden.

«Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung»

Aller Voraussicht nach wird in Brüssel zwar wieder bis an den Rand der Erschöpfung gerungen werden. Aber Lösungen wird es kaum geben. Welchen Grund sollte irgendeine Regierung haben, nun einzulenken und Flüchtlingsquoten zuzustimmen? Auch die Kanzlerin weiß, dass es mit einer Gesprächsrunde nach der nächsten ohne wirklich greifbare und wirksame Ergebnisse nicht ewig weitergehen kann. Am Ende könnte sie mit derart leeren Händen dastehen, dass sie einsehen muss: Ohne ein entschlosseneres Vorgehen gefährdet sie das Schicksal ihrer eigenen Karriere, das ihrer Partei und das Europas. Merkel wird sich früher und später bewegen und einen «Plan B» aus dem Hut zaubern müssen. Denn sie wird feststellen: Europa tanzt nicht nach ihrer Pfeife.

«Stuttgarter Nachrichten»

Eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge auf möglichst alle EU-Staaten steht längst nicht mehr an der Spitze der deutschen Arbeitsliste. Erfolg oder Misserfolg des Gipfels entscheide sich nicht an der Frage der Kontingente, sagt Merkel, um nun ganz auf die europäisch-türkische Karte zu setzen. Mehr getrieben als gestaltend. Der Bundeskanzlerin wird es schwerfallen, ohne sichtbare Blessuren aus Brüssel zurückzukehren. Weil die EU in der Flüchtlingskrise in der Tat geschlossener auftreten könnte. Doch dieser Schulterschluss wäre ganz und gar nicht nach Merkels Geschmack.

«Neue Osnabrücker Zeitung»

Hohe Erwartungen richten sich in der Flüchtlingspolitik an den EU-Gipfel. Wenn das Treffen in Brüssel scheitert, wird es der Kanzlerin politisch schaden. Alleine kann Merkel in der Flüchtlingspolitik nur wenig ausrichten, solange die meisten anderen EU- Staaten weiterhin blockieren. Folgerichtig hat die müde wirkende Kanzlerin in ihrer rhetorisch schwachen Regierungserklärung vorsorglich die Erwartungen gedämpft. So ist es richtig, in Brüssel nicht über Kontingente bei der Verteilung zu sprechen. Mit einem Durchbruch zu rechnen wäre unrealistisch. In dieser Situation ist die Stimmung in Deutschland vor dem EU-Gipfel pessimistisch. Die Kanzlerin steht unter Zeitdruck und muss zugleich abwarten, bis sich die Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms spürbar auswirken.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Finanzen
Finanzen Steuern auf Rente: Steuervorteile und Grundfreibetrag - so hoch ist die Besteuerung 2025
15.01.2025

In Deutschland wird die Rente besteuert. Doch seit wann sind Rentner steuerpflichtig? Welcher Rentenfreibetrag gilt aktuell, welche...

DWN
Immobilien
Immobilien Zwangsversteigerungen 2024: Zahl stark gestiegen
15.01.2025

Deutlich mehr Immobilien zwangsversteigert: Die Wirtschaftskrise und steigende Zinsen hinterlassen Spuren, besonders bei Eigentümern. 2024...

DWN
Politik
Politik Wider den Hedonismus: Warum Wehrpflicht (und Zivildienst) Deutschland wieder auf Spur bringen
15.01.2025

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), vom russischen Überfall auf die Ukraine richtig geschockt, die Zeitenwende für Deutschland ausrief,...

DWN
Technologie
Technologie Wie ehemalige IT-Nerds der russischen Suchmaschine Yandex den KI-Markt Europas aufmischen
14.01.2025

Russische IT-Nerds bauen in Amsterdam das KI-Unternehmen Nebius auf. Informatiker um den Yandex-Suchmaschinen-Gründer Arkadi Wolosch...

DWN
Finanzen
Finanzen Bafin-Kontenvergleich: Alle Girokonten in Deutschland im Überblick
14.01.2025

Die Finanzaufsicht Bafin bringt Transparenz in den Kontomarkt: Mit dem neuen Bafin Kontenvergleich können Verbraucher alle Girokonten in...

DWN
Politik
Politik Russischer Außenminister Lawrow: "USA wollen nach Nord-Stream Gaspipeline TurkStream zerstören"
14.01.2025

Russlands Außenminister Lawrow beschuldigt die USA, mit ukrainischen Drohnenangriffen die Gasleitung TurkStream lahmlegen zu wollen....

DWN
Politik
Politik CDU-Heizungsgesetz: Wie die Union das Heizungsgesetz abschaffen will - und warum das schlecht wäre
14.01.2025

Das Habecksche Heizungsgesetz, offiziell Gebäudeenergiegesetz (GEG), gilt seit Januar 2024. Die CDU plant, das GEG bei einer möglichen...

DWN
Politik
Politik Weitere Ukraine-Hilfe? Pistorius zu Besuch in Kiew spricht sich dafür aus
14.01.2025

Ukraine-Hilfe 2025: Verteidigungsminister Boris Pistorius bleibt optimistisch, was die Fortsetzung der Unterstützung für die Ukraine...