Politik

Kultur-Schock: Italienische Verhältnisse in Deutschland

Lesezeit: 4 min
14.03.2016 02:18
Der Wahlsonntag zeigt Deutschland auf dem Weg zu italienischen Verhältnissen. Der SPD droht ein Schicksal wie den italienischen Christdemokraten. Der Erfolg einer rechten Partei wie der AfD zeigt, dass die europäische Normalität in Deutschland Einzug hält. Es wird nun entscheidend darauf ankommen, dass die Regierenden dem Staat dienen und sich mit kühler Sachpolitik das Vertrauen der Wähler verdienen.
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Die unterschiedlichen Wahlergebnisse in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben einen gemeinsamen Nenner: Das klassische deutsche Konsens-Prinzip von Parteien, die sich jahrzehntelang an der Macht halten können, ist Geschichte. Bisher haben vor allem CDU und SPD die Rolle von „Volksparteien“ gespielt. Sie haben verschiedene Strömungen in ihren Verbänden integriert. Das ging so lange gut, so lange die Strömungen überschaubar und nicht zu widersprüchlich wurden. Die Entwicklung hat sich schon in den schweren Zerwürfnissen von CDU und CSU angedeutet. Im Grunde verbindet die beiden Schwestern auf Bundesebene nur noch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Bundesregierung.

Mit der AfD hat sich in Deutschland ein rechtes Lager in den Parlamenten etabliert, das sich erstaunlicherweise gegen die geschlossene Ablehnung aus vielen Medien und allen anderen Parteien behaupten konnte. Der Grund für den Erfolg der AfD liegt sicher nicht darin, dass alle AfD-Wähler heimliche Nazis sind. Was wirkliche Nazis sind, konnte man am Wochenende bei einer Demonstration in Berlin sehen. Die meisten AfD-Wähler dürften die diversen rechtsextremen Wortmeldungen, die es von AfD-Funktionären auch gegeben hat, gar nicht mitbekommen haben. Das liegt auch daran, dass alle anderen Parteien den Fehler gemacht haben, die AfD als Ganzes außerhalb der Demokratie positionieren zu wollen. Irgendwann schaltet dann der Wähler ab und glaubt gar nichts mehr. Die Parteien haben verkannt, dass die Welt der Politik die meisten Leute nur am Rande, wenn überhaupt, interessiert. Viele Verästelungen und Grabenkämpfe oder Kämpfe über die Gräben hinweg werden von den Wählern nicht verstanden. Die meisten AfD-Wähler haben, so zeigte es eine ARD-Wahlanalyse, das Gefühl gehabt, von den anderen Parteien nicht ernstgenommen zu werden.

Die Politik der kollektiven Ausgrenzung mag aus Sicht der einzelnen Parteien verständlich sein. Doch tatsächlich kann man am Beispiel Österreichs sehen, dass diese Methode mittelfristig zu einer nachhaltigen Stärkung von rechten Parteien führt: In Österreich wurde die FPÖ wegen der rechtsradikalen Sprüche des damaligen Parteichefs Jörg Haider so lange dämonisiert, bis sie die in seinem Bundesland Kärnten stärkste Partei geworden war. Frauke Petry hat sicher nicht das Charisma von Haider. Doch man muss sich fragen, was eigentlich passieren würde, wenn die AfD einmal einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende vom Kaliber eines Haider oder einer Marine Le Pen hat. Wozu die Regierung Haider geführt hat, wird ausgerechnet in diesen Tagen klar: Das von ihm beherrschte Bundesland Kärnten ist faktisch pleite.

Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass die AfD sich nicht zwangsläufig in eine rechtsextreme Partei verwandelt, sondern eher in einer Art CSU auf Bundesebene. Eine interessante Otto Brenner-Studie hat ergeben, dass die AfD in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz einen viel stärker bürgerlich-akademischen Charakter trägt als etwa in Sachsen-Anhalt. Die AfD aus Baden-Württemberg wird in der Gesamt-AfD nach dem Erfolg bei den Landtagswahlen eine stärkere Rolle spielen. Ob sie sich gegen die dumpfen und völkischen Kräfte durchsetzen kann, ist nicht ausgemacht. Aber auszuschließen ist es nicht. Dass die AfD in großen Städten wie Pforzheim und Mannheim sogar stärkste Partei wurde, sollte den anderen Parteien eine Warnung sein.

Mit den Erfolgen der AfD hat sich die deutsche Parteienlandschaft in der europäischen Normalität eingeordnet: In fast allen anderen EU-Staaten haben rechte oder rechtsextreme Parteien seit Jahren eine starke Basis. Zuletzt war dies in der Slowakei zu sehen und die Wahlen in Frankreich wird, wenn sich die Regierung Hollande nicht noch fängt, dieser Trend noch deutlicher werden.

Man kann das nun beklagen – oder auf die Stärke der Demokratie vertrauen, die nun eben einmal die Mitwirkung der Bürger bei der politischen Willensbildung vorsieht. Die Demokratie ist und bleibt eine unberechenbare Gesellschaftsform. Sie ist aber kein Selbstzweck. Sie dient dazu, den Bürgern ein Minimum an Mitbestimmung zu sichern. Einmal gewählt, müssen die Parteien ihren Gruppen-Egoismus zurückstellen und für alle Bürger regieren. Den Regierungen kommt eigentlich das zu, was ob des Erfolges der AfD etwas ratlos wirkende Kommentatoren jetzt für die Parteien fordern: Der Ruf nach Zusammenhalt ist an die staatlichen Organe zu richten und nicht an die Parteien. Sie sind ihrer Natur nach Kontrahenten. Nicht jeder Streit ist Gezänk. Die Demokratie lebt davon, dass sich die unterschiedlichen, politischen Gruppierungen auch lautstark beharken.

Der überragende Sieg des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, und zu einem geringeren Ausmaß auch das überzeugende Abschneiden von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, haben gezeigt: Es ist möglich, ein Land so zu regieren, dass die Bürger einem Politiker auch dann vertrauen, wenn er einer Partei angehört, die man sonst vielleicht nicht wählen würde. Kretschmann hat in vielen politischen Entscheidungen gezeigt, dass er nicht die grünen Parteiinteressen, sondern Recht und Gesetz und somit die Staatsräson als oberstes Prinzip betrachtet. Die Wähler haben das honoriert. Das Gegenbeispiel ist Vizekanzler Sigmar Gabriel, der sich ohne Augenmaß in das Parteiengetümmel gestürzt hat und vergessen hat, dass er eigentlich auch der Vizekanzler für alle Deutschen sein muss.

Die SPD befindet sich trotz des Erfolges von Malu Dreyer in einer misslichen Lage. Gerade ihr Abschneiden in Baden-Württemberg ist eine Katastrophe. Europäische Beobachter fühlen sich an die legendäre Democrazia Christiana (DC) erinnert: Sie war in Italien ein Macht und ist verschwunden. Die SPD hat es nicht verstanden, die wegen der Turbo-Globalisierung immer deutlicher spürbaren Auswirkungen auf ihre Kern-Klientel zu adressieren. Hilflos hat Gabriel in letzter Minute versucht, die Flüchtlinge gegen die notleidenden Einheimischen auszuspielen – eine unzulässige und gefährliche Verknüpfung, die am Ende eher der AfD genutzt hat als der ehrwürdigen Sozialdemokratie. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass dies auch der Linkspartei nicht gelungen ist. Ihre Verluste in Sachsen-Anhalt sind dramatisch, weil sie in einem ihrer Kernländer ausgerechnet von der AfD marginalisiert wurde.

Die Zersplitterung der Parteienlandschaft wird von allen Regierenden – sowohl auf Länderebene als auch im Bund – eine neue politische Kultur erfordern. Die Konsensbildung wird weit schwieriger. Sie wird wegen der unterschiedlichen Positionen ehrlicher sein müssen. Die FDP etwa, von der Rolle als „Kanzlerwahlpartei“ schwer beschädigt, scheint ihre Lektion schon gelernt zu haben. Sie will sich nicht um jeden Preis an Koalitionen beteiligen. Sie musste erfahren, wozu es führt, wenn der Preis für die Beteiligung an der Macht die Selbstaufgabe ist.

Die politische Willensbildung der Parteien wird diesen Kulturwandel auch bei der Regierungsbildung erfordern. In allen Landesregierungen sollten nun belastbare Sachvereinbarungen im Vordergrund stehen. Der Postenschacher muss hinten anstehen, wenn die Parteien mittelfristig nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren wollen.

Zu diesem Zweck sollten alle Parteien auch die Wahlbeteiligung im Blick haben. Diese ist zwar in allen Ländern gestiegen, doch ausgesprochen viele der Neu- oder Wiederwähler haben die AfD gewählt und nicht die Regierungsparteien. Das bedeutet: Nur in einer kühlen Sachpolitik à la Kretschmann liegt die Chance der Wiederwahl. Ein Weiter-wie-bisher, orchestriert mit einer manischen Dämonisierung der AfD, wird auf die etablierten Parteien zurückschlagen. Auch diese Lektion kann man aus anderen Ländern lernen – Österreich, Frankreich, Schweden oder Finnland belegen es.

Es ist dringend zu empfehlen, dass alle Parteien nach der geschlagenen Wahlschlacht verbal abrüsten. Die Probleme sind groß genug, um das Wohl des Staates über die Verführungen zu stellen, die das Geschäftsmodell Politik für die einzelne Karriere bereithält.

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