Politik

Erdogan-Attacke: Frankreich kritisiert die Türkei, Angela Merkel schweigt

Deutschland und Frankreich haben unterschiedlich auf die Angriffe des türkischen Präsidenten Erdogan reagiert: Die Franzosen verwahrten sich scharf gegen die Maßregelung ihrer Diplomaten. Bundeskanzlerin Merkel hält sich bisher bedeckt. Sie will den EU-Deal mit der Türkei nicht gefährden. Frankreich dagegen hatte von allem Anfang an schwerwiegende Bedenken gegen den Pakt und lehnt vor allem das visafreie Reisen für türkische Staatsbürger ab.
29.03.2016 18:23
Lesezeit: 1 min

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Äußerst unterschiedliche Reaktionen haben die jüngsten Eskapaden des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgelöst: Frankreich kritisiert die Türkei offen wegen Erdogans Attacke gegen ausländische Diplomaten. Die Einbestellung des deutschen Botschafters wegen einer TV-Satire bleibt dagegen von Bundeskanzlerin Angela Merkel unkommentiert. Der Botschafter ist allerdings wie seine französischen Kollegen, wegen seiner Teilnahme am fragwürdigen Prozess gegen kritische Journalisten ins Schussfeld Erdogans gerückt.

Frankreich hat die Kritik der Türkei an der Präsenz von Diplomaten im Prozess gegen zwei regierungskritische Journalisten scharf zurückgewiesen. Französische Diplomaten würden weltweit das Geschehen in ihren Einsatzländern verfolgen und dabei auch „regelmäßig“ als Beobachter Prozessen beiwohnen, erklärte das Außenministerium am Dienstag in Paris. „Diese Praxis steht im Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen.“ Die Presse- und Meinungsfreiheit und das Recht auf kritische Äußerungen seien „für die demokratische Debatte grundlegende Bestandteile“, erklärte das Ministerium. Dies gelte insbesondere für ein Land, das wie die Türkei dem Europarat angehöre und der EU beitreten wolle.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor wütend auf die Anwesenheit ausländischer Diplomaten beim höchst umstrittenen Prozess gegen „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül reagiert. Nach Angaben aus türkischen Diplomatenkreisen legte die Regierung in Ankara offiziell bei den beteiligten Botschaften Protest ein.

Dem Prozessauftakt am Freitag wohnten auch mehrere europäische Diplomaten bei, unter ihnen der deutsche Botschafter und der französische Generalkonsul. Die türkische Regierung ist insbesondere über Veröffentlichungen von Diplomaten im Onlinedienst Twitter erbost. So veröffentlichte der britische Generalkonsul auf Twitter mehrere Fotos, darunter ein Selfie mit Dündar. Der Prozess wird künftig hinter verschlossenen Türen stattfinden. „Wir werden zusammen mit unseren europäischen Partnern weiterhin die Entwicklungen in der Türkei verfolgen“, erklärte das französische Außenministerium nun. Es gebe mit Ankara einen „dichten, vertrauensvollen und konstruktiven Dialog“.

In der Causa der NDR-Satire über Erdogans Regierungsstil ist aus Deutschland dagegen bisher kein Protest von der Kanzlerin zu vernehmen gewesen. Die Türkei hatte den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellt und ihm wie die FAZ schreibt, „den Kopf gewaschen“. Die Türkei verlangt laut FAZ, dass der kurze Clip auch in Deutschland aus dem Verkehr gezogen werden solle. Die FAZ ist aufgebracht und kommentiert:

„Europa braucht die Türkei in der Flüchtlingskrise mehr denn je; wenn Ankara nicht zu seinen Zusagen steht und Flüchtlinge im großen Stil aus Griechenland zurücknimmt, ist die ohnehin wacklige europäische Lösung der Krise gescheitert, noch bevor sie begonnen hat. Für Angela Merkel ist das ein schwieriger diplomatischer – und realpolitischer – Balanceakt. Das Schweigen aus dem Kanzleramt sendet aber das verheerende Signal nicht nur an die anderen europäischen Länder, sondern vor allem an Erdogan selbst, dass die europäische Führungsmacht Deutschland sich unter dem Druck der Krise vielleicht nicht allen, aber doch (zu) vielen Bedingungen Ankaras zu unterwerfen bereit ist.“

Erdmann hat laut AFP gegenüber seinen türkischen Gesprächspartnern auf die Einhaltung der Presse- und Meinungsfreiheit gedrungen. Erdmann habe in den Gesprächen deutlich gemacht, „dass Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und der Schutz grundlegender Freiheiten, einschließlich der Presse- und Meinungsfreiheit, hohe Güter seien, die gemeinsam geschützt werden müssten“, hieß es am Dienstag aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Erdmann führte demnach am Dienstag und in der vergangenen Woche Gespräche im türkischen Außenministerium. In der vergangenen Woche habe er bereits darauf hingewiesen, „dass politische Satire in Deutschland von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt ist“, und es deshalb weder eine Notwendigkeit noch die Möglichkeit für ein Handeln der Bundesregierung gebe.

Die ungewöhnliche diplomatische Intervention der türkischen Regierung nach einem Satirebeitrag des Senders NDR hat in Deutschland heftige Kritik hervorgerufen. Von Union bis Linkspartei sowie auf Seiten der Medien wurde die Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara wegen des kritischen Satirebeitrags über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Dienstag als unangemessener Versuch der Einflussnahme auf die Pressefreiheit in Deutschland bezeichnet.

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Die türkische Regierung hatte den Botschafter Martin Erdmann vor einer Woche wegen des bei der Satiresendung „extra 3“ ausgestrahlten Spottliedes „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ einbestellt. Bei dem Treffen verlangte die türkische Seite von Erdmann nach Angaben eines türkischen Diplomaten die Löschung des Beitrags.

In dem knapp zweiminütigen Lied, das Erdogan ein gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit vorwirft, heißt es zur Melodie von „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ der Sängerin Nena unter anderem: „Ein Journalist der was verfasst, das Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“

Der Chefredakteur des NDR-Fernsehens, Andreas Cichowicz, erklärte, der Rückgriff der Türkei auf eine diplomatische Intervention sei „mit unserem Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit“ nicht vereinbar. „In Deutschland ist politische Satire erfreulicherweise erlaubt. Darunter fällt auch der extra-3-Beitrag“, betonte Cichowicz.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, nannte die türkische Reaktion auf den Beitrag „lächerlich“. Erdogans überzogenes Verhalten zeige, dass dieser „offenbar die Bodenhaftung verloren“ habe, erklärte er.

Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering, Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, sagte dem Spiegel, dass nach türkischen Journalisten nun auch deren deutsche Kollegen und sogar Diplomaten unter Druck gesetzt würden, verleihe dem Verhalten der Regierung in Ankara „eine zusätzliche negative Qualität“. Die Zusammenarbeit beider Länder werde dadurch belastet.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, bezeichnete die Presse- und Kunstfreiheit als „konstitutive Merkmale unserer Demokratie“. Sie forderte die Bundesregierung auf, diese Merkmale zu bewahren und gegenüber der Türkei aktiv dafür einzutreten.

Auch die außenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevin Dagdelen, forderte vom Auswärtigen Amt beim Thema Pressefreiheit gegenüber Ankara „endlich klar Stellung“ zu beziehen. Bisher hat sich die Bundesregierung zu dem Vorfall nicht geäußert.

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen bezeichnete die Einbestellung Erdmanns als „aussichtslose Anmaßung“ der Türkei. Dies sei ein ebenso „inakzeptabler und wirkungsloser“ Einschüchterungsversuch wie die Kritik an europäischen Diplomaten, die als Zuschauer an einem öffentlichen Gerichtsverfahren gegen türkische Journalisten teilgenommen hatten.

Denn wie im Falle Frankreichs dürfte Erdogan weniger der NDR-Clip gestört haben als vielmehr die Anwesenheit Erdmanns beim Journalisten-Prozess. „Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei“, hatte der Präsident sich empört. Die türkische Staatsanwaltschaft erwirkte daraufhin für den weiteren Prozess einen Ausschluss der Öffentlichkeit

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