Deutsche Börse und London Stock Exchange stellen sich bei ihrem geplanten Zusammenschluss weiterhin auf Widerstand aus Amerika ein. Beide Unternehmen fürchten, dass der US-Konkurrent Intercontinental Exchange (ICE) ab November einen neuen Versuch unternehmen könnte, die gut 25 Milliarden Euro schwere Fusion zu torpedieren, wie drei mit dem Vorgang vertraute Personen am Montag der Nachrichtenagentur Reuters sagten. „Das Thema ist noch nicht vom Tisch“, erklärte einer der Insider. „Das kann ab November wieder auf die Agenda kommen.“ Die Deutsche Börse und die ICE wollten sich dazu nicht äußern. Von der LSE war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Die ICE hatte Anfang März offen mit einer Gegenofferte für die LSE geliebäugelt. Am 4. Mai erklärte sie dann jedoch, „derzeit keine Intention zu haben“, ein Angebot für die Londoner Börse vorzulegen. ICE-Chef Jeffrey Sprecher begründete dies mit der fehlenden Bereitschaft des LSE-Managements, mit den Amerikanern über einen möglichen Zusammenschluss zu verhandeln. Erschwerend kam für die ICE die Unsicherheit über einen möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU hinzu. Im Vorfeld des Referendums am 23. Juni wäre es für die ICE ein großes Wagnis gewesen, ein attraktives Angebot für die LSE auf den Tisch zu legen.
Nach der Ankündigung der ICE im Mai ist es dem Unternehmen aus Atlanta gemäß britischem Übernahmerecht sechs Monate lange untersagt, eine Gegenofferte für die LSE vorzulegen - also bis Anfang November. Völlig aus dem Rennen sind die Amerikaner entgegen der öffentlichen Wahrnehmung damit nicht, wie ein Insider betont. Die Fusion von Deutscher Börse und LSE werde im November nämlich aller Voraussicht nach noch nicht abgeschlossen sein. Und ICE-Chef Sprecher wird im Herbst Klarheit haben, ob Großbritannien noch Mitglied der EU ist oder nicht.
Experten sind uneinig darüber, wie wahrscheinlich eine Gegenofferte der ICE für die LSE im November ist. Falls die Aktionäre von Deutscher Börse und LSE im Juli grünes Licht für die Fusion geben und falls die EU-Kommission keine großen Einwände gegen den Deal hat, sei erneutes Störfeuer aus Atlanta eher unwahrscheinlich, sagte eine mit dem Zusammenschluss vertraute Person. Sollten die EU-Wettbewerbshüter den Deal untersagen oder von den Fusionspartnern den Verkauf wesentlicher Geschäftsteile fordern, steige die Wahrscheinlichkeit einer Offerte aus den USA. Vor ICE-Chef Sprecher, der für seine aggressives Vorgehen in Übernahmeschlachten bekannt ist, haben Deutsche Börse und LSE auf jeden Fall großen Respekt. „Ihm ist alles zuzutrauen“, sagt ein Brancheninsider.