Nur drei Tage nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni steuert Europa auf das nächste Unwetter zu: Am 26. Juni wählen die Spanier ein neues Parlament und bei Anleihe-Anlegern schrillen schon wieder die Alarmglocken. Jüngsten Umfragen zufolge droht eine Hängepartie wie bei den Wahlen im Dezember, als der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy keinen Koalitionspartner fand und König Felipe das Parlament auflöste. Experten befürchten Verwerfungen an den Bond-Märkten – vor allem, wenn das linke Lager mehr Anhänger finden sollte. Risikoaufschläge von Staatsanleihen aus Spanien und anderen Peripheriestaaten wie Portugal und Italien dürften dann in die Höhe schießen.
Brexit-Referendum könnte Wahl beeinflussen
„Sollte es tatsächlich zu einem Brexit kommen, dürfte das zu einer Last-Minute-Entscheidung bei den Wahlen in Spanien führen“, ist sich Chefvolkswirt Dirk Gojny von der Essener National-Bank sicher. Dann könne das Linksbündnis Podemos mit seinem Vorsitzenden Pablo Iglesias noch mehr Zulauf bekommen. Podemos ist offen für die Unabhängigkeitspläne Kataloniens. Die wirtschaftlich starke Region will sich von Spanien abspalten und ähnlich wie die Briten die Bevölkerung darüber abstimmen lassen. „Käme es tatsächlich zu einem solchen Votum, hätten wir ein politisches Minenfeld in Europa, Kontinentaleuropa und der Euro-Zone“, befürchtet Gojny.
Bei den vergangenen Wahlen errang keines der großen politischen Lager eine eigene Mehrheit. Rajoy holte zwar für seine Partei, die konservative Volkspartei Partido Popular, die meisten Stimmen, verlor aber die absolute Mehrheit. Zweitstärkste Kraft wurden die Sozialisten (PSOE) gefolgt von den in der Gruppe Podemos zusammengeschlossenen Gegnern der Sparpolitik und vor der liberalen Bürgerplattform Ciudadanos. Laut Umfragen steuert Spanien nach den Neuwahlen erneut auf eine schwierige Regierungsbildung zu.
Brandbeschleuniger für den Euro-Währungsraum
„Besonders ungünstig aus Marktsicht wäre es, wenn Podemos die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung erhält“, sagt DZ-Bank-Analyst Daniel Lenz. Dies könne sich als ein politischer Brandbeschleuniger für den gesamten Euro-Währungsraum erweisen. „Die Renditen bei zehnjährigen Spanien-Bonds würden dann massiv in die Höhe gehen.“ Eine Ausweitung um einen ganzen Basispunkt auf rund 2,5 Prozent sei gut möglich. So hoch rentierten die Papiere zuletzt im Sommer 2015. „Die große Frage ist, ob es nach einem Brexit zu einem Domino-Effekt käme – und die Märkte beginnen, auf den Austritt von südeuropäischen Ländern aus der EU spekulieren“, sagt der Vorstand einer großen deutschen Bank.
Dann könnten nicht nur die Risikoaufschläge für spanische, sondern auch für italienische und portugiesische Staatsanleihen nach oben schießen. Auf der anderen Seite geht die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe immer tiefer in den Keller und nähert sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik der Null-Prozent-Linie an.
Dass die Renditen in den südeuropäischen Staaten nicht völlig aus dem Ruder laufen, liegt vor allem an der Europäischen Zentralbank (EZB). „Sie wirkt mit ihrem Anleihekauf-Programm wie ein Sicherheitsnetz“, betont Volkswirt Gojny. Die Währungshüter sammeln am Kapitalmarkt Papiere im Volumen von 80 Milliarden Euro monatlich ein. Die Experten der National-Bank rechnen damit, dass die EZB im Notfall ihr Ankaufprogramm sogar ändern wird. So könne eine allzu große Ausweitung der Risikoaufschläge abgefangen werden.
Spanische Zentralbank warnt vor wirtschaftlichen Folgen
Die spanische Zentralbank warnt vor wirtschaftlichen Folgen für die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, falls es bei den Wahlen kein eindeutiges Ergebnis gebe. Nach einer tiefen Rezession startete Spanien vor drei Jahren eine konjunkturelle Aufholjagd – 2015 wuchs die Wirtschaft um 3,2 Prozent, so stark wie kaum ein anderes europäisches Land. Dennoch steht Spanien – wie Nachbar Portugal – wegen zu hoher Staatsdefizite unter verschärfter Beobachtung aus Brüssel.
Das wahrscheinlichste Szenario für die neue Regierung ist nach Meinung von Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen eine große Koalition der Partido Popular mit den Sozialisten. „Allerdings stehen vor dieser Kombination die höchsten Hürden“, räumt er ein. Die beiden Parteien seien seit Jahrzehnten die größten politischen Konkurrenten. Ohne personelle Änderungen werde eine Regierungsbildung wohl nicht möglich sein. Für die Finanzmärkte wäre eine solche Lösung aber einigermaßen gut verkraftbar.