In einem Artikel für die „Zeit“ hat sich EZB-Chef Mario Draghi ausführlich zu den geplanten Maßnahmen der EZB geäußert. Die Europäische Zentralbank wird ja, auch gegen den Widerstand von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, demnächst mit der großen Geldschwemme beginnen und, wie von den südeuropäischen Staaten gefordert, Staatsanleihen im großen Stil aufkaufen. Draghi betont zwar, dass die EZB die Inflation weiter niedrig halten wolle. Aber: „Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass die Treue zu unserem Mandat es gelegentlich verlangt, über die üblichen geldpolitischen Maßnahmen hinauszugehen. Wenn an Kapitalmärkten Angst und Irrationalität vorherrscht, wenn sich der gemeinsame Finanzmarkt wieder entlang der Ländergrenzen aufspaltet, dann erreicht das geldpolitische Signal der EZB nicht alle Bürger der Euro- Zone gleichermaßen. Diesen Störungen müssen wir begegnen. Nur so können wir eine gemeinsame Geldpolitik, und schlussendlich auch Preisstabilität für alle in der Euro-Zone gewährleisten. Dies kann hin und wieder außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Diese, wenn nötig, zu ergreifen ist unsere Verantwortung als Zentralbank für die Euro-Zone als Ganzes.“
Draghis Beitrag (ganzer Text - hier) ist ein klassischer „sowohl-als auch“ Text, in dem der ehemalige Goldman Sachs Banker zeigt, dass er es bei der Anhäufung von Allgemeinplätzen durchaus mit den europäischen Berufspolitikern aufnehmen kann. Allerdings verstrickt sich Draghi dabei auch in erheblich Widersprüche: Draghi fordert eine enge wirtschaftliche Union, aber keine Vereinigten Staaten von Europa. Er will nicht die Wirtschaftspolitik in Brüssel zentralisieren, aber eine zentrale Steuerung der Wirtschaftspolitik in Brüssel. Er findet den Nationalstaat gar nicht verkehrt, will jedoch, dass es kein nationales Haushaltsrecht mehr geben soll.
Der Hauptzweck ist des Beitrags ist jedoch, dass Draghi sich, an Bundesbank-Präsident Jens Weidmann vorbei, gewissermaßen direkt an das deutsche Volk wendet - ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, den man mit einigem Recht als Affront bezeichnen kann. Draghi wählt für sein programmatisches Statement das altehrwürdige Medium „Zeit“, weil er hier hofft, besonders autoritativ rüberzukommen und die ältere Generation in Deutschland zu erreichen, um deren
Sparbücher natürlich geht.
Draghi weiß nämlich genau, dass es in Deutschland eine große Abneigung gegen das weitere unbegrenzte Gelddrucken und gegen die europäische Schuldenunion gibt - und dass Bundesbank-Chef Weidmann hier keine unbedeutende Einzelmeinung vertritt, sondern ausspricht, was sich viele Deutsche denken. Draghi ist sich darüber im Klaren, dass es im Falle einer Inflation vor allem um die Ersparnisse der Deutschen gehen wird. Diese sind das letzte große Reservoir einer globalen Schuldenpolitik, das angezapft werden kann, um das System noch eine Weile am Leben zu erhalten („to kick the can down the road“). Draghi weiß auch, dass der zweite Vertreter in der EZB, Jörg Asmussen, seinem Kurs der Inflationierung der Schulden bereits zugestimmt hat.
Dass der EZB-Chef jedoch den Deutschen die Politik der Zentralbank direkt erklären muss, weil der wichtigste deutsche Vertreter in den entscheidenden Punkten komplett anderer Meinung ist, zeigt, dass verfahren die Lage bei der EZB ist. Sie ist offenkundig so tief gespalten, dass sie Entscheidungen nicht mehr nach sorgfältiger Beratung, sondern nur noch im Parforce-Ritt treffen kann.