Jeder zweite Spanier unter 25 Jahren ist arbeitslos, in Portugal sind es 40 Prozent der Jugendlichen und in Griechenland liegt die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen sogar bei 64 Prozent. Angesichts dieses Ausmaßes wurde am Dienstag die Konferenz „Europe: Next Steps“ in Paris veranstaltet, an der auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble teilnahm.
Der italienische Arbeitsminister Enrico Giovanni kritisierte die aktuellen Zustände in der EU: „Wir müssen eine ganze Generation von jungen Menschen, die Angst hat, retten. Wir haben die am besten ausgebildete Generation und wir stellen sie in die Warteschleife. Das ist nicht akzeptabel.“
Francois Hollande warnte in seiner Eröffnungsrede ebenfalls vor den Folgen der hohen Jugend-Arbeitslosigkeit:
„Stellen Sie sich all den Hass vor, die Wut. Aber es ist nicht nur Wut, über die wir tatsächlich sprechen, es geht um mehr. Wir reden über einen vollständigen Verlust der europäischen Identität. Es ist die Idee von Europa, die gerade infrage gestellt wird.“
Besonders interessant war der Auftritt von Wolfgang Schäuble.
„Seien wir ehrlich, es gibt keine schnelle Lösung, es gibt keinen großen Plan“, sagte Schäuble: „Wir müssen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit mehr Erfolg haben, sonst werden wir den Kampf um die Einheit Europas verlieren“. Das soziale Modell des europäischen Wohlfahrtsstaates müsse dabei aber bewahrt bleiben, so Schäuble. Schäuble warnte vor amerikanischen Verhältnissen in Europa. Wenn die sozialen Standards, die in den USA existierten, in Europa eingeführt würden, „hätten wir eine Revolution, nicht morgen, sondern noch am selben Tag“, sagte der deutsche Finanzminister (Siehe Video 1:07:10). Nicht alles, was die USA zu bieten hätten, sei Gold.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Schäuble seine Warnung vor amerikanischen Zuständen bei einer Konferenz des Think Tanks von Nicolas Berggruen äußerte: Berggruen sorgt in Deutschland gerade für Aufsehen, weil er bei Karstadt weitere Opfer der Mitarbeiter fordert.
Die FAZ analysiert in einem Blog, wie es um Karstadt gerade steht:
Als einen „Tag der Freude“ für die rund 24 000 Beschäftigten bezeichnete (Arbeitsministerin Ursula von der Leyen) jenes denkwürdige Treffen. Und er sei „irrsinnig glücklich“, ergänzte Berggruen damals, im leisen Ton, aber doch geradezu beseelt. Zumindest aus Sicht der damals angeblich geretteten Karstadt-Mitarbeiter erweisen sich diese Bilder aus glücklichen Tagen inzwischen als Makulatur. Schrammen am Ruf ihres damals fast als Popstar gefeierten smarten Retters gab es schon im vergangenen Sommer, als das Karstadt-Management unter Führung des britischen Handelsprofis Andrew Jennings den Abbau von rund 2000 Arbeitsplätzen ankündigte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt rückten auch die Arbeitnehmervertreter von dem im damaligen Übernahmepoker um Karstadt auch von ihnen klar favorisierten Investor ab.
Inzwischen gehen beide Parteien auf Konfrontation, ist der Ton scharf geworden. Der Ausstieg aus der Tarifbindung, der die zwar sturmerprobten, aber auch leidgeprüften Karstadt-Mitarbeiter in den nächsten beiden Jahren von tariflichen Lohnerhöhungen ausschließt, ist für sie die berühmte Umdrehung zu viel. Die Filialleiter – und die Kunden – müssen sich darauf einstellen, dass schon bald Arbeitskampfmaßnahmen zum Thema werden.
Die FAZ erkennt messerscharf, wenngleich wohlwollend, dass Berggruen ganz anders ist, als ihn die Öffentlichkeit gerne sehen möchte:
Die Berggruen zum Karstadt-Einstieg vorschnell oktroyierte Rolle des Gutmenschen nimmt ihm in den Niederungen der Kaufhauswelt aber auch niemand mehr ab. Weniger naive Menschen wussten sowieso, dass allein vom Nettsein noch nie jemand zum Milliardär geworden ist. Unter den einst als Heuschrecken verschrienen Finanzinvestoren ist es gängige Praxis, die Finanzierung und Entwicklung der übernommenen Unternehmen auf Cashflow-Modellen aufzubauen. Mit dem großen Füllhorn kommt in dieser Branche niemand daher.
Genau hier liegt das Problem.
In Sonntagsreden werden die Werte des europäischen Sozialstaats angepriesen, während in der Praxis immer mehr Unternehmen und ihre Mitarbeiter zum Spielball globaler Finanzinteressen werden.
In seiner preisgekrönten Reportage für das ZDF „Mister Karstadt - Der rätselhafte Nicolas Berggruen“, haben die Journalisten Lutz Ackermann und Christian Esser versucht, dem Karstadt-Retter Berggruen zu entlocken, wieviel eigenes Geld er in die Übernahme Karstadts gesteckt hat. Sie erhielten keine Antwort.
Die Verschwiegenheit in Zeiten des Ausverkaufs ist Teil einer Bewegung, die man tatsächlich als eine Revolution bezeichnen kann: Einer Revolution von oben.
Darüber verlor Wolfgang Schäuble kein Wort.
Kein Wunder.
Denn diese Revolution braucht Schäuble nicht zu fürchten.
Sie ist im vollen Gang - und wird auf dem Rücken jener ausgetragen, denen man nun unterstellt, sie planten eine Revolution.
Die Hass, die Wut und die Angst, von der Franzosen und Italiener sprechen, gibt es auch in Deutschland.
Ein Gespräch mit einer Karstadt-Verkäuferin genügt. Sie rackert sich ab und muss doch um ihren Arbeitsplatz zittern.
Die amerikanischen Verhältnisse haben längst in Deutschland Einzug gehalten.