Politik

Mikro-Kredite: Wie die Banken aus der Armut einen Finanzmarkt machen

Lesezeit: 3 min
18.08.2013 00:21
Eine Milliarde Menschen sind heute über Mikrokredite von der globalen Finanzindustrie anhängig. Marktführer sind Citigroup und Deutsche Bank. In der Schweiz soll nun die Werbung für Kleinkredite verboten werden. Die Realität zeigt: Die meisten Schuldner werden von den hohen Zinsen ins Unglück gestürzt.
Mikro-Kredite: Wie die Banken aus der Armut einen Finanzmarkt machen

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Mikrokredite haben sich zu einem bedeutenden Finanzmarkt mit einem jährlichen Kreditvolumen von 70 Milliarden Euro entwickelt, der gewaltige Gewinne abwirft. Ein großer Teil der Weltbevölkerung ist zu Abhängigen der Finanzindustrie geworden. Aufgrund der Eurokrise ist der Trend auch in Europa längst angekommen.

In der Schweiz ist bereits jeder Fünfte überschuldet, wie eine eben veröffentlichte Statistik der Schuldenberatung Schweiz ergeben hat. Eine politische Initiative will nun die Werbung für Kleinkredite verbieten.

Ein Blick in die armen Länder der Erde zeigt: Was 2006 mit dem Friedensnobelpreis für Muhammad Yunus aus Bangladesh so fulminant begonnen hat, ist zu einem knallharten Geschäft für die Banken geworden.

Aus westlicher Sicht bekommen die Armen in Bangladesch, Indien, Bolivien und Ghana zwar sehr kleine Kredite. Doch für sie sind es hohe Summen, die sie nur unter großen Anstrengungen zurückzahlen können. Philip Mader, Mikrokredit-Forscher am Max-Plack-Institut, sagte dem DLF.

„Wir müssen uns auch mal klarmachen, 50 Euro sind für eine Frau in Bangladesch sehr, sehr viel Geld, die verschuldet sich eventuell so hoch wie unsereins, wenn wir einen Kredit über zehn- oder zwanzigtausend Euro aufnehmen würden, das ist manchmal ein Jahreseinkommen dort.“

Die Leute arbeiteten oft 12 oder 14 Stunden am Tag, damit sie diesen Kredit wieder abbezahlen können, so Mader. Hinzu kämen beachtliche Zinsen. „Also auf die 50 Euro, die sie sich geliehen haben, kommen gerne noch mal 25 oder 50 Euro drauf, die sie an den Verleiher zahlen müssen.“ Zinssätze von bis zu 200 Prozent seien durchaus realistisch.

Daher ermöglichen die Mikrokredite den armen Leuten oft nicht aus den Weg aus der Armut, sagt Mader. Die Leute bleiben arm und können außerdem ihre Kredite nicht zurückzahlen, stehen somit schlechter da als vorher. Es habe noch niemand den Nachweis erbracht, dass Mikrokredite die Armut auf breiter Basis lindern, so Mader. Sie brächten die armen Leute vielmehr in eine schädliche Konkurrenz-Situation.

„Die Leute machen das schon hundertfach in jeder Kleinstadt, dass sie Gemüse verkaufen am Straßenrand, dass sie gegen geringe Bezahlung Kleider nähen und so weiter. Und wenn da jetzt neue Leute eindringen in diesen Markt mit Mikrokrediten, also schuldenfinanziert, dann treiben sie für alle die Preise runter. Und am Ende steht keiner netto gesehen besser da.“

In den Anfangstagen der Mikrokredite haben vor allem karitative Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen die Kredite verliehen. Doch mittlerweile hat sich das Geschäft mit den Kleinstkrediten zu einem beachtlichen Finanzmarkt entwickelt. Weltweit 90 Milliarden Dollar Mikrokredite sind derzeit im Umlauf.

Verglichen mit dem Derivatehandel ist das Geschäft mit den Mikrokrediten gering. Doch die wirkliche Bedeutung liegt hierbei nicht in der Geldsumme, sondern in der Zahl der Abhängigen. Weltweit gibt es 200 Millionen Mikro-Schuldner. Inklusive der Familienmitglieder stecken also circa eine Milliarde Menschen in der Kreide. Auch die Gewinne sind beachtlich. Im Jahr 2010 wurden 70 Milliarden Euro an Mikrokrediten verliehen, der Zinsgewinn lag bei 20 Milliarden Dollar.

„In diesem Mikrofinanzinvestmentbereich sind die Weltmarktführer die Citigroup und die Deutsche Bank, meistens durch ihre amerikanischen Tochterfirmen. Die vielen kleineren Mikrofinanzinvestmentfonds, die es auch gibt, die diese Investitionen in diese Mikrofinanzbanken tun, die sitzen meistens in Steueroasen wie Luxemburg oder auf den Kanalinseln.“

Das lukrative Geschäft mit den Mikrokrediten gewinnt aufgrund der Finanzkrise auch in Europa eine immer größere Bedeutung. Im Visier der Banken seien Länder, wo es wirtschaftlich abwärtsgehe und die Gläubiger trotzdem darauf beharrten, dass die Sparpolitik umgesetzt werde, so Mader.

„[Die Banken beharren darauf,] dass der Staat sich zurückziehen muss und erst einmal die Schulden begleichen muss, bevor er sich um die eigene Bevölkerung kümmert. Und da sind Mikrokredite ein ganz praktischer Lückenbüßer, um Leute, die ihre Beschäftigung verloren haben, die kein Einkommen mehr haben, beschäftigt zu halten, sie vielleicht nicht mit Almosen abzuspeisen, aber mit einem Kredit, der sie vielleicht zu einem Kioskbesitzer, zu einem Fahrradtaxibesitzer machen wird.“

Die Mikrokredite sind auch deshalb so profitabel, weil die Rückzahlungsquote bei unglaublichen 99 Prozent liegt. Doch Mader sagt, dies sei kein Wunder, wenn man wisse, wie säumige Schuldner zum Zahlen gebracht werden.

„Also es gibt viele berichtete Fälle aus Bangladesch, dass Nachbarn, teilweise auch Familienmitglieder, die auch in derselben Kreditnehmergruppe mit drin waren, das Haus von jemandem, der nicht zurückzahlen konnte oder wollte, abgerissen haben, und das Dach und die Teile und die Töpfe verkauft haben, und die Leute standen natürlich ganz schlecht da, denn sie haben nicht nur ihr Haus und ihr Hab und Gut verloren, sondern auch ihre sozialen Beziehungen.“


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...