Deutschland

Großes Unbehagen bei SPD vor Mitglieder-Entscheid

Knapp eine halbe Million SPD-Mitglieder sollen über den Koalitionsvertrag mit der Union abstimmen. Meinungsforscher halten die Parteibasis für unberechenbar. Die Partei-Führung wirbt und droht, um die Zustimmung des Fußvolks zu erlangen. Doch das Unbehagen dort ist groß.
25.11.2013 18:16
Lesezeit: 3 min

Das Wohl und Wehe einer großen Koalition von Union und SPD liegt an einem Samstagmorgen wahrscheinlich in einem Lkw verborgen. Von einem Postfach des SPD-Parteivorstandes in Leipzig wird ein Lastwagen in der Nacht zum 14. Dezember das Urteil von rund 473.000 SPD-Mitgliedern über einen schwarz-roten Koalitionsvertrag nach Berlin transportieren.

In einer eigens gemieteten Veranstaltungshalle auf dem Gelände eines ehemaligen Postbahnhofs in Berlin-Kreuzberg soll der Laster am Samstagmorgen die Briefwahl-Unterlagen zur Auszählung anliefern. Der Ausgang ist ungewiss, doch die SPD-Spitze ist überzeugt: Sie hat es selbst in der Hand, die Weichen für einen Erfolg zu stellen.

Das Unbehagen an der Basis ist groß. Das Blatt wenden will die Parteispitze mit mindestens 32 Regionalkonferenzen in allen Bundesländern ab dem 28. November - also einen Tag nach der für Mittwoch erwarteten Vorlage eines Koalitionsvertrages.

SPD-Chef Sigmar Gabriel wird am Donnerstagabend im Taunus erwartet, um für ein schwarz-rotes Regierungsbündnis zu werben. Einen Vorgeschmack darauf gab Gabriel bei einem Treffen mit der Basis in Bruchsal am Wochenende.

Teilnehmer hatten den Eindruck, dass sein Werben bisweilen in Drohungen abglitt. Der SPD-Chef bittet und mahnt bei solchen Veranstaltungen. Es sei zwar verständlich, wenn die SPD keine Lust habe, mit der Union zu regieren: „Aber ehrlich gesagt: Lust, Dinge zum Besseren zu wenden für die Menschen in Deutschland, sollte sie schon beibehalten.“

Die Parteilinke Hilde Mattheis, die aus ihrer Ablehnung einer großen Koalition keinen Hehl gemacht hatte und prompt bei der Wiederwahl in den Parteivorstand scheiterte, sieht die Stimmung kritisch. Bei den Regionalkonferenzen in Bruchsal und Leinfelden-Echterdingen gewann sie den Eindruck, dass die SPD-Mitglieder einen Koalitionsvertrag kritisch prüfen werden. „Ich hatte das Gefühl, dass die Partei sehr interessiert ist und sich nicht gerne unter Druck setzen lässt“, sagte Mattheis zu Reuters. „Ich habe den Eindruck, dass alles noch offen ist.“

Der Schlüssel zur Zustimmung der Mitglieder liege in den Verhandlungen der kommenden Tage und Nächte, hieß es am Montag aus der SPD-Führung. „Die Mitglieder werden nur zustimmen, wenn das Verhandlungsergebnis den Kriterien des Parteikonvents entspricht“, sagte der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner der Agentur Reuters.

Die Verhandlungsführer der SPD müssen daher nachweisen, dass sie das Versprechen des Parteikonvents einlösen. Ein kleiner Parteitag hatte am 20. Oktober für die Verhandlungen einen Katalog von zehn Punkten für „unverzichtbar“ erklärt. „Daran lassen wir uns messen“, druckte die SPD-Spitze auf Flugblätter.

Die Messlatte wurde aber schon mit dem Beschluss gesenkt: Kernforderungen wie etwa Steuererhöhungen oder Bürgerversicherung tauchten gar nicht mehr auf in Erwartung, darüber sei mit der Union kein Kompromiss zu erzielen.

Um Stimmung zu machen für einen Koalitionsvertrag, dürfe die SPD-Spitze keinen Druck auf die Mitglieder ausüben, heißt es in der Partei. Auch der Eindruck, die Führungsleute hätten die Posten bereits unter sich verteilt, könnte SPD-Mitglieder auf den Gedanken bringen, ihr Votum sei gar nicht mehr erwünscht.

Deswegen habe es Überlegungen gegeben, die SPD-Namen für die Kabinettsriege erst nach dem Mitgliedervotum zu benennen, vorausgesetzt dies sei erfolgreich, hieß es in der SPD. Das sei aber weniger eine taktische als eine Personalfrage: Das Personaltableau steht noch nicht (mehr hier).

Die große Unbekannte für die Parteiführung ist das einfache Mitglied, das sich weder in Sitzungen der rund 10.000 Ortsvereine zeigt noch sich anders aktiv engagiert. Etwa 80 Prozent der Mitglieder werden als passiv eingeschätzt.

Die Frage, wie die SPD-Mitglieder ticken, können auch die großen Meinungsforschungsinstitute nicht beantworten. So hieß es bei der Forschungsgruppe Wahlen, für ein Stimmungsbild nur bei den Genossen müsste man das SPD-Mitgliederverzeichnis haben. Die Zahl von 473.000 Mitgliedern sei zu gering, als dass sie sich in den Wählerumfragen in einer ausreichend großen Zahl und damit repräsentativ herausfischen ließen.

Gefragt wird daher - wie für die Bild-Zeitung bei YouGov - in den laufenden Wähler-Umfragen nach der Stimmung gegenüber der großen Koalition. Demnach lehnt fast jeder zweite SPD-Wähler ein Bündnis mit CDU und CSU auf Bundesebene ab.

In der SPD wird argumentiert, die eigenen Mitglieder seien pragmatisch und zudem durch Mitgliedschaften in Gewerkschaften oder Kirchen daran gewöhnt, in Massenorganisationen Kompromisse zu machen. An dem Votum müssen sich mindestens rund 94.000 SPD-Mitglieder beteiligen.

Der Koalitionsvertrag würde geschlossen von allen Landesvorsitzenden, den Ministerpräsidenten, dem Fraktionschef wie auch dem Parteichef und den Vizes vorgelegt. „Wenn das nicht durchgeht, müssen die alle von ihren Parteiämtern zurücktreten“, hieß es in der SPD.

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