Politik

Fußball: „Für die Brasilianer ist die Fifa so böse wie der IWF“

Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten sprachen mit Carlos Molinari, einem der bekanntesten Fußballexperten Brasiliens. Molinari lehrt Sportgeschichte an der Universität Brasilien und kommentiert Fußballthemen beim landesweiten TV-Staatssender TV-Brasil.
15.06.2014 00:59
Lesezeit: 3 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Molinari, Wie könnte die Fifa die Glaubwürdigkeit, die sie in den letzten Jahren eingebüßt hat, wiedererlangen?

Carlos Molinari: Das Image der Fifa, hier in Brasilien, ist total verbrannt! Die Brasilianer sehen die Fifa als gemeine, niederträchtige Institution an, so wie sie vor Jahren den IWF für alles Böse, das uns widerfuhr, verantwortlich machten. Die Leute machen einfache Rechnungen auf. Etwa so: Wir haben keine guten öffentlichen Dienstleistungen zur Verfügung weil das Geld für die Fifa, für die Stadien verschwendet wurde. So denkt die Masse der Bevölkerung. Die Fifa hat Auflagen, die WM-Organisation ist voller Regeln. Und wir Brasilianer mögen im Allgemeinen keine Regeln und schon gar keine von außen auferlegten Verpflichtungen. Auf Jahrzehnte hinaus wird die Fifa in Brasilien keine Turniere mehr abhalten. Aber die Brasilianer wollen auch nicht, dass die Fifa wiederkommt. Das Verhältnis zwischen den Brasilianern und dieser Organisation ist nachhaltig gestört, um es vornehm auszudrücken…

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer ist, wer sind die Verantwortlichen für die Glaubwürdigkeitskrise bei der Fifa?

Carlos Molinari: Ich denke nicht, dass Joseph Blatter der einzige Schuldige ist. Niemand macht sich Illusionen: João Havelange war auch nicht korrekter und anständiger als Blatter. Keiner der Fifa-Funktionäre würde einen Glaubwürdigkeitstest bestehen! Mit dem Fifa-Generalsekretär, Jérôme Valcke hatten wir hier in Brasilien ebenfalls richtig Zoff. Eines ist sicher: In den Fußball-Verbänden gibt es keine Heiligen. Leider ist es so, dass man mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in der Sportpolitik nicht weit kommt. Der Fußball ist besonders betroffen. Um diesen Sport herum gedeihen allerhand mafiöse Geschäfte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Franz Beckenbauer ist von der Fifa provisorisch für 90 Tage für jegliche Tätigkeit im Fußball gesperrt worden. Ist das in Brasilien ein Thema?

Carlos Molinari: Diese Nachricht hat uns alle sehr überrascht. Der Weltverband begründete dies mit einem mutmaßlichen Verstoß gegen das Ethikreglement. Es heißt, Beckenbauer habe bereits reagiert und angekündigt nicht mehr nach Brasilien reisen zu wollen. Ich kann nur sagen: Wir werden mit seiner WM-Absage leben können. Hier in Brasilia haben wir andere Sorgen, nämlich ob die WM ohne Probleme über die Bühne geht. Die breite Öffentlichkeit hat schon mitbekommen, dass es bei der Vergabe der WM 2022 an Katar wahrscheinlich nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Franz Beckenbauer wurde aber bislang nicht mit den Mauscheleien in Verbindung gebracht. Jeder Fußballfan, der halbwegs bei Verstand ist, wundert sich, dass ein Land wie Katar, das sich nie für irgendeine WM qualifiziert hat, den Zuschlag bekommen hat. Das „Argument“ können, meines Erachtens, nur die Petro-Dollars gewesen sein!

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie macht sich die Korruption bei dieser WM in Brasilien bemerkbar?

Carlos Molinari: Vor allem bei den völlig überteuerten Stadion-Neubauten! Nehmen wir – nur als ein Beispiel – das Stadion von Brasilia. Es hat bisher 1, Milliarden Real gekostet! Eine absurd hohe Summe. Dazu kommt: Es ist potthässlich! Und es ist nicht einmal fertig geworden. Zumindest sieht es so aus! Denn es ist überall unverputzter Zement zu sehen. Was noch absurder ist: Die Gestaltung des Geländes um das Stadion herum hat angeblich 300 Millionen Real gekostet. Ein paar gepflasterte Zugänge und Blumenkübel aus Beton für – sage und schreibe – 300 Millionen Real. Korruption ist allgegenwärtig in Brasilien. Und das ist schon seit den Zeiten so, als wir noch eine Kolonie Portugals waren. Heute geht es um irre Summen!

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, dass es Korruption im Zusammenhang mit den Schiedsrichtern dieses Turniers gibt?

Carlos Molinari: Nein, das halte ich nicht für möglich. Einige der Schiedsrichter sind völlig unerfahren. Sie sind es einfach nicht gewöhnt, wichtige Spiele zu pfeifen. Der japanische Schiedsrichter, der das Eröffnungsspiel Brasilien – Kroatien gepfiffen hat war einfach schlecht. Der Kolumbianer, der Mexiko – Kamerun gepfiffen hat, war auch einfach schlecht. Ich glaube nicht, dass Schiedsrichter bestochen wurden. Sie sind wirklich so schlecht wie sie pfeifen!

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie müsste das Turnier verlaufen, aus der Sicht der Brasilianer, damit es als erfolgreiches Turnier angesehen wird?

Carlos Molinari: Brasilien möchte natürlich gewinnen. Aus der Sicht der Fans hätte die WM ihren Zweck erfüllt, wenn Brasilien Weltmeister ist. Die Brasilianer sind aber auch sehr gastfreundlich. Sie wollen die Touristen, die in unser Land kommen, gut empfangen. Sie wollen, dass die Besucher sich hier glücklich fühlen. Die Regierung ist da konkreter: Sie rechnet damit, dass die Fußballfans viel Geld hierlassen. Die Regierung rechnet mit 6,7 Milliarden Real. Mindestens.

 

Teil 1: Die Revolution hat in Brasilien Feuer gefangen

Teil 2: Brasilien: Künstler protestieren gegen die Fußball-WM

Teil 3: Brasilien: Von der Fußball-WM profitieren Konzerne, Politiker und Banken

Teil 4: Weltmeister: Deutsche Waffen-Industrie verdient prächtig mit der Fußball-WM

Teil 5: Brasilien: Staudamm-Bau mit Methoden einer Militär-Diktatur

Teil 6: Wer ist die rätselhafte Dilma Rouseff?

Teil 7: Brasilien: Straßenkinder passen nicht ins Bild der WM – und verschwinden

Teil 8: Der ganz andere WM-Song:  „Öffnet eure Augen, Brüder / die FIFA greift in unsere Taschen“

Teil 9: Brasilien: Fifa unterstützt Projekte gegen Kinderprostitution nicht

Teil 10: Lage in São Paulo eskaliert: Polzei knüppelt streikende U-Bahn-Fahrer nieder

Teil 11: Der Schwarze Block will marschieren: „20 Prozent der Brasilianer sind gegen die WM“

Teil 12: Korruption bei der Fifa: „Wer einmal die Hand aufhält, versucht es auch ein zweites Mal“

Teil 13: Brasilianischer Fußball: Der lange Weg zur Vielfalt der Kulturen

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