Auf dem Weg zum EU-Kommissionspräsidenten hat der frühere luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker eine wichtige Hürde genommen. Die Sozialdemokraten und Sozialisten in der EU (SPE) unterstützen die Kandidatur des Kandidaten der konservativen EVP, reklamieren als Gegenleistung aber andere EU-Spitzenposten für sich. Auf einem Gipfel in Paris forderten sie zudem, den Europäischen Stabilitätspakt flexibel anzuwenden, um das Wirtschaftswachstum zu fördern (mehr hier).
Der Wahlsieger habe einen Anspruch auf den Spitzenposten, sagte Frankreichs Präsident Francois Hollande nach dem Treffen mit acht Regierungschefs sowie SPD-Chef Sigmar Gabriel am Samstag. Die konservativen Parteienfamilie EVP hatte mit ihrem Spitzenkandidaten Juncker die Europawahl gewonnen. Gegen den früheren luxemburgischen Regierungschef macht vor allem der britische Premierminister David Cameron Front. Allerdings ist er nach dem klaren Bekenntnis der SPE zu Juncker im Kreis der 28 Staats- und Regierungschefs noch mehr isoliert.
Hollande hatte die Regierungschefs von acht Ländern sowie Gabriel und SPE-Fraktionschef Martin Schulz eingeladen, um die Position der Sozialisten für den EU-Gipfel abzustimmen. Dort wollen die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag über den Kurs der neuen Kommission sowie ein Personalpaket für die EU-Spitzenämter beraten.
Nach Angaben britischer Diplomaten will Großbritannien eine Festlegung auf einen Kommissionspräsidenten beim EU-Gipfel verhindern. Die Amtszeit der Kommission läuft im Oktober aus. Großbritannien hoffe, dass bis dahin die Unterstützung für Juncker schwinden könnte, berichteten zwei Diplomaten. Ein Veto gegen Juncker kann Großbritannien nicht einlegen, da für die Nominierung des Kommissionspräsidenten keine Einstimmigkeit erforderlich ist. Nach seiner Nominierung muss der neue EU-Kommissionspräsidenten vom Parlament bestätigt werden.
Die SPE pocht darauf, dass ihr Spitzenkandidat Schulz Präsident des EU-Parlaments bleibt und ihre Parteienfamilie weitere EU-Spitzenposten erhält. Auch wenn Schulz Parlamentspräsident werden sollte, "das ersetzt nicht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Konservativen und Sozialdemokraten in der Kommission", sagte Gabriel in Paris. Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" will die SPE Italiens Außenministerin Federica Mogherini als EU-Außenbeauftragte durchsetzen (mehr hier). Die 40 Jahre alte Politikwissenschaftlerin ist seit Ende Februar Außenministerin Italiens, das nach dem Wahlsieg der Partei von Ministerpräsident Matteo Renzi die größte Gruppe in der SPE-Fraktion stellt. Der oder die EU-Außenbeauftragte ist automatisch einer der sechs Stellvertreter des Kommissionspräsidenten. Die britische Amtsinhaberin Catherine Ashton scheidet aus.
Hollande und Gabriel betonten in Paris, es habe eine breite Übereinstimmung über die Auslegung des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts gegeben. Dieser solle zwar nicht geändert, aber flexibler zur Förderung von Wirtschaftswachstum eingesetzt werden. Gabriel hat angeregt, dass Länder, die konkrete Reformen eingeleitet haben, mehr Zeit zur Einhaltung der EU-Haushaltsziele erhalten sollen. Vor allem Frankreich und Italien fordern dies, um die lahmende Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen (mehr hier).
Die Europäische Zentralbank warnte vor einer Aufweichung der Regeln zur Haushaltsführung. "Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte nicht bis zu dem Punkt gedehnt werden, an dem er seine Glaubwürdigkeit verliert", sagte EZB-Direktoriumsmitglied Benoit Coeure der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (mehr hier).
Scharfe Kritik an dem Vorstoß der Sozialisten kam von der CSU. Der EVP-Fraktionschef Manfred Weber sagte derselben Zeitung, eine Aufweichung der Stabilitätskriterien werde es mit seiner Fraktion nicht geben. Die Zusammenarbeit mit den Sozialisten im Europaparlament sei gefährdet, "wenn der Euro aufgeweicht werden soll", sagte der CSU-Politiker. "Das ist eine rote Linie." Ohne die Stimmen der EVP kann Schulz nicht zum Parlamentspräsidenten gewählt werden.
Der bayerische Finanzminister Markus Söder kritisierte namentlich den SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler. "Der Weg, den Gabriel vorschlägt, gefährdet den Euro. Das ist so, als wenn man Venedig die Pfähle wegnimmt. Dann geht die ganze Stadt unter", sagte er der "Bild am Sonntag". Frankreich und Italien müssten ihre Finanzen aus eigener Kraft und in der vorgegebenen Zeit in Ordnung bringen.