In der österreichischen Botschaft in Berlin fand am Mittwoch eine Diskussions-Runde zur Ukraine-Krise statt. Neben dem ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz nahmen auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk als Gesprächsteilnehmer teil. Die Diskussions-Runde wurde von Anne Bercio vom Institut für Europäische Politik geleitet. Als Gastredner war der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Johannes Hahn, eingeladen.
Hahn berichtete, dass die EU der größte Geldgeber der Ukraine sei. In den vergangenen Jahren seien sechs Milliarden Euro in das Land geflossen. Der ukrainische Botschafter sagte, dass es in seiner Heimat mittlerweile 1,2 Millionen Binnenflüchtlinge geben würde. 800.000 Personen im Osten der Ukraine würden von Kiew weiterhin Pensionszahlungen erhalten. Allerdings gestaltet sich die Auszahlung der Pensionen an die Rentner in der Ukraine schwieriger als vom Botschafter dargestellt.
Nahezu alle staatlichen Institutionen in der Ost-Ukraine seien abgezogen worden. Zudem müssten sich die potentiellen Pensions-Empfänger registrieren lassen. Die Registrierung hingegen erfolgt auf dem vom ukrainischen Militär kontrollierten Territorium. Dorthin zu gelangen sei aufgrund der zerstörten Infrastruktur ein großes Problem. Auch bei den Auszahlungen gebe es Schwierigkeiten, denn die Banken im Osten des Landes seien fast komplett geschlossen worden. Der russische Rubel habe sich mittlerweile als Zahlungsmittel durchgesetzt, so Wehrschütz. Der ORF-Korrespondent bemerkte, dass seines Wissens kein Wiederaufbau im Osten der Ukraine stattfindet.
Melnyk antwortete: „Es ist schwierig das Banken-System wieder aufzubauen, wenn Krieg herrscht. Im Übrigen hat auch Herr Schäuble keine Antwort darauf“. Deutschland und Frankreich hatten sich zuvor verpflichtet, dass Banken-System in der Ost-Ukraine wieder aufzubauen. Die deutschen Banken sind in der Ukraine laut Bundesbank momentan mit insgesamt 654 Millionen Euro im Risiko. Bisher sind über 46 ukrainische Banken pleite gegangen. Seit März gab es drei Banken-Pleiten.
Niels Annen sprach sich im Rahmen der Diskussion in der österreichischen Botschaft gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. „Es bringt nicht, wenn wir die Ukrainer in eine aussichtslose militärische Konfrontation drängen“, so Annen. „Es gibt in der Ukraine eine wirkliche pro-europäische Bewegung. Doch das politische System wird nach wie vor von den alten Oligarchen geprägt (…) Russland hingegen hat nicht nur das Völkerrecht gebrochen, sondern wendet militärische Gewalt an“, meint Annen.
Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten fragten den ukrainischen Botschafter, wie die Umschuldungs-Verhandlungen mit den privaten Gläubigern der Ukraine laufen würden: Der Botschafter antwortete, dass mit einer großen Wahrscheinlichkeit eine Umschuldung vorgenommen wird, um die Schuldenlast des Landes zu verringern. Kiew wolle einen Forderungsverzicht von 14 Milliarden Dollar aushandeln.
Auf Nachfrage einer Dame aus dem Publikum, welche strategische Bedeutung der Hafenstadt Mariupol zukomme, sagte Wehrschütz: „Die Kämpfe zwischen Rebellen und Militärs finden nicht in Mariupol, sondern in Schirokino statt. Doch Schirokino ist strategisch unbedeutend. Wenn die Rebellen die Eroberung Mariupols wirklich gewollt hätten, hätten sie dies vor Minsk I problemlos machen können. Es wird gesagt, dass es eine Vereinbarung zwischen dem Oligarchen Rinat Achmetow und den Rebellen gibt. Achmetow versorgt Donezk und Lugansk mit Hilfslieferungen und dafür lassen die Rebllen Mariupol in Ruhe. Denn solange sich Mariupol auf dem Territorium der Ukraine befindet, kann Achmetow sein Stahl in der Hafenstadt legal ins Ausland exportieren. Würden die Rebellen Mariupol einnehmen, könnte der Oligarch die Stahlexporte nicht mehr legal durchführen, denn dann wäre Mariupol offizielles Rebellengebiet.“
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Christian Wehrschütz: Brennpunkt Ukraine: Revolution auf dem Maidan, Krim-Krise, Ausrufung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, erbitterte Kämpfe, der Abschuss der Passagiermaschine MH17, brüchige Waffenruhe und zähe Verhandlungen ... Die Ukraine ist heute mehr denn je ein gespaltenes Land. In den Interviews, die dieses Buch versammelt, spricht Wehrschütz mit einflussreichen Politikern, politischen und militärischen Akteuren auf Seite der ukrainischen Freiwilligen und der Rebellen sowie Zivilisten. Zu Wort kommen unter anderen: - Leonid Krawtschuk, erster Präsident der Ukraine - Wiktor Juschtschenko, dritter Präsident der Ukraine - Pawlo Klimkin, Außenminister der Ukraine - Ina Kirsch, European Centre for a Modern Ukraine - Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau - Dmytro Firtasch, ukrainischer Oligarch u.v.a. Das Buch kann hier bestellt werden.