Politik

Das Spiel mit dem Feuer: Wem nützt der Sturz der Regierung Tsipras?

In Finanzkreisen wird erstmals offen darüber spekuliert, wer in der Troika ein Interesse am Sturz der Regierung Tsipras haben könnte. Die Gläubiger sind offenkundig gespalten. Einige versuchen offenbar, die Krise für einen „regime change“ zu nutzen. Tatsächlich nützt der Sturz niemandem – und doch drängen die Euro-Retter mit schlafwandlerischer Sicherheit an den gemeinsamen Abgrund.
24.06.2015 13:31
Lesezeit: 3 min

Das Wort vom „regime change“, also von einem von außen erzwungenen Regierungswechsel geistert im Fall Griechenlands schon lange durch die Flure der Banken und Finanzinstitutionen. Bereits Anfang Juni veröffentlichen Mujtaba Rahman und Federico Santi von der Eurasia Group eine Notitz an ihre Kunden, in der das Thema angesprochen wird. Die beiden Autoren werden vom Business Insider zitiert:

„In der Euro-Zone herrscht die Einschätzung vor, dass es in Griechenland eine Mehrheit für das Memorandum/den Euro gibt. Doch diese Mehrheit ist nicht die aktuelle Regierungsmehrheit. Daher gilt: Je mehr Druck auf Griechenland ausgeübt wird, umso besser. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Mehrheit entsteht, mit der die Gläubiger verhandeln können (Tspiras verliert die Mehrheit und dies schlägt sich in Veränderungen in der Zusammensetzung der Regierungs-Koalition nieder).“

Mike Bird vom Business-Insider UK zeigt eine interessante Parallele auf: Am 4. Dezember 2014 bereiteten die Euro-Finanzminister die Verlängerung des Kredit-Programms für Griechenland für weitere sechs Monate vor. Die Regierung Samaras weigerte sich, es kam zur Neuwahl des Präsidenten, und die Regierung war weg vom Fenster.

Bird verweist allerdings zu Recht darauf, dass der folgende Druck auf Tsipras weniger von außen, als vielmehr von innerhalb Griechenlands aufgebaut wurde: Der frühere Premier Antonis Samaras kann sehr gut mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Er ist wegen der verheerenden Schlappe bei den Wahlen ebenso isoliert wie die zur Mini-Partei geschrumpfte, einst stolze Arbeiterpartei PASOK. Beide Parteien agieren im Hintergrund, um Tsipras zu stürzen – und zwar so, dass er politisch unmöglich gemacht wird.

Sein aktuell vorgeschlagenes Programm ist politischer Selbstmord und würde die Syriza zunächst zerreissen und danach bei Wahlen vermutlich schwer beschädigen.

Die Euro-Finanzminister finden diese Strategie zumindest insoweit interessant, weil sie ihnen in die Karten spielt: Die Euro-Gruppe hat alles getan, um den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis zu diskreditieren. Es besteht nur noch eine rudimentäre Kommunikation. Jeder, der Wolfgang Schäuble kennt, weiß, dass er mit Leuten außerhalb des von ihm verstandenen und beherrschten politischen Systems Schwierigkeiten hat. Ob der Sturz von Tsipras aus Deutschland aktiv betrieben wird, ist schwer zu beurteilen. Dass sich die Konservativen und die Sozialdemokraten nichts sehnlicher wünschen, als den lästigen neuen Mitbewerber scheitern zu sehen, ist unstrittig.

Man möchte vor allem im Hinblick auf Spanien ein Signal setzen, dass neue Parteien des Teufels sind. Dort droht die Podemos in die Domäne der etablierten Parteien einzudringen. Allerdings finden sich die Euro-Retter in einer paradoxen Lage: Kommt es zum Grexit, muss Spanien – wie alle andere Euro-Staaten auch – Milliarden-Verluste realisieren. Das wären keine gute Nachrichten, weshalb auch Francois Hollande mit allen Mitteln versucht, einen Deal zusammenzukleistern. Er sieht sich dem unaufhaltsamen Aufstieg des Front National gegenüber. Ein Milliarden-Debakel mit allen Folgen für Frankreich würde die französischen Sozialisten in die Luft sprengen.

Interessant ist, dass das Zentralorgan der Londoner City die Analyse der Eurasia Group aufgegriffen hat. Die Zeitung hat mit Mujtaba Rahman gesprochen. Auf die Frage, was hinter dem massiven Druck aus Berlin auf Athen stecken könnte, sagt Rahman, der Chef der Europa-Abteilung bei der Eurasia Group ist: „Indem man Tsipras zwingt, bereits nächste Woche über das Paket abzustimmen, schränkt man seine Möglichkeiten ein, einen internen Konsens über die Maßnahmen zu finden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Mehrheit verliert. Es stellt sich die Frage, ob die Gläubiger versuchen, einen Machtwechsel (regime change) in Athen auszulösen.“

Der IWF findet sich in einer ähnlich misslichen Lage wie die Euro-Finanzminister: Der von Washington beherrschte Fonds hat eigentlich andere Sorgen. Er muss die Ukraine stabilisieren und kann sich in Griechenland eigentlich nicht mehr hinreichend engagieren. Er wird viel mehr Geld für Kiew brauchen. Zugleich hat der IWF seinen Rest-Sachverstand noch nicht völlig aufgegeben und erkennt offenbar, dass das neue Syriza-Programm zum Kollaps und zur Verelendung in Griechenland führen würde. Daher lehnt der IWF die vorgeschlagenen, brachialen Steuererhöhungen ab.

Die US-Regierung ist ebenfalls in einer Zwickmühle: Sie besteht darauf, dass Griechenland im Euro bleibt, um die Stabilität der Nato zu sichern. Zum anderen hat Tsipras jegliches Vertrauen verloren, weil seine Avancen an Russlands Präsident Wladimir Putin in Washington die Alarmglocken haben schellen lassen. Eine solche Regierung ist für die Amerikaner ein Hochsicherheitsrisiko. Sie gehört dringend weg. Doch wie? Origineller Weise sind just im Mutterland der Demokratie die Mehrheitsverhältnisse so, dass die gefälligen Parteien keine Mehrheiten mehr haben. Daher würde die US-Regierung mit einem Syriza-Sturz den Erfolg der rechtsextremen Goldenen Morgenröte begünstigen – eine unvorstellbare Situation, die sich von selbst verbietet.

Die EU-Bürokraten – allen voran die Präsidenten Juncker und Tusk – haben das wenigste Interesse an einem Crash in Griechenland: Sie wissen ganz genau, dass der Grexit dazu geeignet ist, den Zusammenbruch der EU einzuleiten. Juncker ist unideologisch, wenn gewissen Allianzen opportun erscheinen. Tusk hat es schon etwas schwerer, weil er den Amerikanern verpflichtet ist zugleich in Brüssel noch immer als Außenseiter gilt, den keiner so recht einordnen kann.

Doch wie so oft könnte in der Krise vor allem die Kombination von mehreren Unentschlossenen genau jenes Ereignis auslösen, dass sie aus purem Eigennutz eigentlich abwenden wollen: Sowohl der Grexit als auch die weitere Zerstörung Griechenlands durch einen Austeritätskurs, der nicht zwischen konjunkturellen und strukturellen Problemen differenziert, werden die EU an den Abgrund treiben. Es fehlt nicht viel, und sie wird stürzen.

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