Politik

Europa und die USA: Die Zeichen stehen auf Sturm

Lesezeit: 3 min
14.11.2016 01:13
Die neue politische Konstellation in den USA wird auch in Europa zu gravierenden Veränderungen führen. Die Veränderung dürfte nicht ohne Konflikte vonstatten gehen.
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Mit dem Slogan „America First“ als Synonym einer politischen Neuausrichtung in der amerikanischen Sicherheitspolitik, geht für die Europäer eine Ära zu Ende, nämlich die einer bequemen, transatlantisch abgestützten Sicherheitspolitik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Verhältnis zur USA bestimmte.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges dominieren die USA die sicherheitspolitische Debatte in Europa. Trumps außenpolitische Konzeption ist nicht nur ein Paradigmenwechsel für Europa, sondern auch eine Kehrtwende innerhalb des amerikanischen Establishments. Sein Konzept trägt die Handschrift des konservativen Senators Jeff Session, der jahrelang Mitglied des Verteidigungsausschusses war. Anders als in der internationalen Presse dargestellt, ist es ein wohldurchdachtes Konzept, gleichzeitig aber auch eine Kampfansage an die Neocons und die liberalen Interventionisten, welche die Außenpolitik der USA in den vergangenen Jahrzehnten bestimmt haben. Beobachter gehen davon aus, dass gerade diese außen- und innenpolitische Neuaufstellung zu einer enormen innenpolitischen Polarisierung führen wird, handelt es sich doch um eine Wachablöse ganzer Generationen von Networkern quer durch die politische Landschaft in Washington. Europa ist im außenpolitischen Konzept vor allem im Kontext der NATO und der sicherheitspolitischen Vorleistungen durch die USA angesprochen.

Wie nachhaltig die amerikanische Machtverschiebung ausgefallen war, wird unmittelbar nach der Wahl von der Süddeutschen Zeitung als „eine epochale Zäsur, wie sie die Vereinigten Staaten seit Menschengedenken nicht erlebt haben“ kommentiert. Nicht nur, dass die Demokraten vernichtend geschlagen wurden, beide Kammern des Kongresses werden in der ersten Amtszeit des Präsidenten von den Republikanern beherrscht. Selbst die Vakanzen des Supreme Court werden künftig im Sinne der Republikanischen Partei bestimmt werden. Somit fällt eines der letzten demokratiepolitischen Korrektive im US-System. Exekutive, Legislative und Judikative werden von einer Partei dominiert, die in ihrer außen- und sicherheitspolitischen Positionierung weit von dem entfernt ist, was der, neu ins Amt gewählte Präsident, während des Wahlkampfes als Zielsetzungen seiner Präsidentschaft präsentiert hat. Das Land bleibt tief gespalten zurück. Der Graben verläuft nicht nur zwischen den Republikanern und den Demokraten. Ob es einem Präsidenten Trump gelingen wird, die Republikanische Partei in seinem Sinne neu auszurichten, scheint mehr als fraglich.

Der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen wird auch in Europa mit einer neuen Ära der Sicherheitspolitik gleichgesetzt. Ausgerechnet in einer der schwersten Krisen der EU droht auch die bisherige transatlantische Sicherheitsgarantie wegzubrechen und nicht nur das. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker forderte in seiner, schon zur Tradition gewordenen, Europa-Rede am 09.11.2016 mehr europäische Verantwortung in der Verteidigungspolitik bis hin zu einer europäischen Armee. „Unabhängig vom Wahlausgang in den USA muss man sich von der Vorstellung verabschieden, die Amerikaner seien für die Sicherheit Europas zuständig. Das müssen wir schon selbst tun“, so Juncker. Damit schlägt der EU-Kommissionspräsident ein neues Kapitel der transatlantischen Beziehung auf: Mehr europäische Verantwortung in Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Die Forderung nach einer europäischen Armee ist nicht neu: Michel Barnier hat in den Deutschen Wirtschafts Nachrichten ausführlich erläutert, worum es dabei geht.

Die Wiederaufnahme der Diskussion in Europa zeigt, angesichts der zu erwartenden sicherheitspolitischen und militärischen Neuordnung des europäisch-amerikanischen Verhältnisses, die Nervosität aber auch die Dringlichkeit. Auch der deutsche Außenminister Steinmeier zeigt sich in einer ersten Reaktion auf den Ausgang der Wahlen alles andere als erfreut. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die amerikanische Außenpolitik für uns weniger vorhersehbar sein wird.“ Steinmeier äußerte sich mehr als besorgt über die künftige Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA und wirft die Frage auf, ob durch die angekündigte fundamentale Neuausrichtung amerikanischer Europapolitik das Fundament der transatlantischen Beziehung in gewohnter Form weiter aufrechterhalten werden kann. Die Antwort ist: Nein!

Vor allem für die jüngeren osteuropäischen NATO-Mitglieder sind diese Entwicklungen alles andere als beruhigend. Angesichts der Nachbarschaft zu Russland wird sich schon sehr bald die Frage stellen, welcher Staat in Europa jene Rolle übernehmen wird, die bisher die USA innehatten, nämlich das sicherheitspolitische ausbalancieren historisch tradierter Ängste. Damit ist der Rahmen gesetzt für eine neu zu definierende europäische Sicherheitspolitik und der Rolle Frankreichs, vor allem Deutschlands.

Der Ausgang der amerikanischen Wahlen läutet somit die tektonische Verschiebung der uns bisher vertrauten sicherheitspolitischen Landschaft ein. Für Europa kann diese auf den ersten Blick bedrohliche Entwicklung aber auch eine Chance für mehr Eigenverantwortung und mehr Selbstständigkeit mit sich bringen. Trotzdem, der Zeitpunkt für eine Neuausrichtung transatlantischer Sicherheitspolitik trifft Europa am falschen Fuß. Die Vorbereitungen auf den britischen Austritt aus der EU und möglicher weiterer Kandidaten, wie Frankreich nach den nächsten Präsidentschaftswahlen, wird die Desintegration der EU noch dynamisieren. Die Wiedereinführung der Grenzen im Lichte der Migrationsströme und damit die Infragestellung des Binnenmarktes werden nicht ohne Auswirkungen auf die Zukunft des Euros bleiben. Die Zeichen stehen daher auf Sturm.

Ein Kreislauf hat sich in Bewegung gesetzt, zumal die EU keine plausiblen Antworten auf die enormen sicherheitspolitischen Herausforderungen im Inneren wie auch an ihrer Peripherie geben kann. Die Krise der EU in der Flüchtlingsfrage ist nur ein Indiz für den fehlenden gemeinsamen Ansatz. Der europäische Bürger, so scheint es, hat das Vertrauen in die Institution EU verloren, genauso wie das Vertrauen in das politische Establishment in den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Wir sind Zeuge eines Prozesses der Auflösung der uns bekannten Ordnung und einer Entwicklung hin zu der Neuauflage nationalstaatlich dominierter Verhaltensmuster, und das nicht nur in Deutschland. Betrachtet man die Maßnahmen, die alleine Deutschland in den letzten beiden Jahren zum Ausbau der inneren Sicherheit vorangetrieben hat, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Staat sich auf ein Szenario jenseits der uns bekannten sozialen Harmonie vorbereitet.

***

Dr. Gert R. Polli ist der ehemalige Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.


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