Politik

Radikale Abkehr: Großbritannien bricht mit der EU

Großbritannien vollzieht einen harten Schnitt mit der EU. Die Perspektive der Zusammenarbeit soll ein Freihandelsabkommen sein. Es ist unklar, ob das zustandekommt. Wenn nicht, könnte die Scheidung nach den Worten eines britischen Diplomaten tatsächlich blutig werden.
17.01.2017 13:27
Lesezeit: 4 min

Die britische Regierungschefin Theresa May hat in ihrer Grundsatzrede eine klare Trennung von der Europäischen Union angekündigt. Großbritannien wolle keine Teil-Mitgliedschaft oder assoziierte Mitgliedschaft in der EU "oder irgendetwas, das uns halb drin, halb draußen lässt", sagte May am Dienstag in London.

"Wir streben nicht nach einem Modell, das andere Länder schon genießen", sagte sie in Anspielung auf Länder wie Norwegen. Das Land ist kein EU-Mitglied, hat aber vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Im Gegenzug muss es zum EU-Haushalt beitragen, EU-Bürgern erlauben, in Norwegen zu leben und zu arbeiten, und einen großen Teil der EU-Gesetzgebung übernehmen.

May sagte: "Wir streben nicht danach, an Häppchen der Mitgliedschaft festzuhalten, wenn wir gehen."

May sagte, es liege nicht im Interesse des Landes, dass die EU auseinander bricht. Die Entscheidung für den Brexit sei nicht darauf gerichtet, der EU zu schaden. Die Europäer würden auch künftig in Großbritannien willkommen sein, die Briten hoffentlich auch in der EU.

May strebt einen Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion an. Stattdessen plädierte sie am Dienstag in London für ein neues Freihandelsabkommen mit der EU

Der britische Finanzminister Philip Hammond will ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU. Banken in der EU sollten weiter in Großbritannien arbeiten können und umgekehrt, sagt er. Die Regierung verstehe allerdings, dass Großbritannien nicht Teil des Binnenmarkts sein könne. "Wir werden die roten Linien beachten, die europäische Partner gezogen haben."

Der Wunsch, die EU mögen nicht auseinanderbrechen, mag sogar ehrlich gemeint sein - tatsächlich ist die EU mit dem harten Austritt der Briten auseinandergebrochen und wird im Zuge der Verhandlungen alle Beziehungen neu ordnen müssen. Schon die Verhandlung eines Freihandelsabkommens wird schwer genug sein - denn die einzelnen Staaten und Regionen haben unterschiedliche Interesse. Im Falle von CETA haben die Verhandlungen jahrelang gedauert, das TTIP steht vor dem aus und ist in der EU nicht mehrheitsfähig. Der Streit mit den Wallonen zum Ende des CETA hat die Anti-Freihandelskräfte in der EU mobilisiert. Es ist nicht zu erwarten, dass Großbritannien und die EU zehn Jahre Zeit haben werden, um sich auf letzte Details zu einigen.

Eine besondere Erschwernis hat May mit der Ankündigung eingebaut, das britische Parlament über den Deal abstimmen zu lassen. Damit ist klar: May kann mit keinen Halbheiten nach Hause kommen, die Parteien werden sich als Vertreter der nationalen Interessen geradezu überbieten.

Dasselbe gilt für die EU: Am 21. Dezember 2016 hatte Generalanwalt Sharpston beim Europäischen Gerichtshof seinen Schlussantrag zum EU-Singapur-Freihandelsvertrag vorgelegt. Die EU-Kommission wollte vom EuGH in einer Richtungsentscheidung wissen, ob solche Verträge auch ohne Ratifizierung der Mitgliedsländer beschlossen werden können. Dem hat der Generalanwalt einen Riegel vorgeschoben und listet eine große Zahl von wichtigen Rechtsbereichen auf, die nicht in der alleinigen Kompetenz der EU liegen. Das Gericht folgt bei seiner Schlussentscheidung in der großen Mehrzahl der Fälle dem Generalanwalt.

Der Grüne Sven Giegold sagte dazu in einer Aussendung: "Die klaren Worte des Generalanwalts sind eine Ohrfeige für die EU-Kommission und alle Freihandelsbeschleuniger. Das europäische Recht ist stärker als mächtige Interessen, die einseitige Freihandelsverträge möglichst schnell durchpeitschen wollten. Die Analyse des Generalanwalts ist auch eine Lektion für alle TTIP-Kritiker, die alle europäischen Institutionen ohnehin für lobbygesteuert halten. Wer nun die angebliche Handlungsunfähigkeit der EU beklagt, sollte nochmal nachdenken, denn in einem Rechtsstaat darf sich keine politische Ebene Kompetenzen aneignen. Hinzu kommt, dass es für die EU-Handelsverträge nicht einmal eine Subsidiaritäsprüfung gibt."

Damit ist klar: Auch bei einem Freihandelsvertrag mit Großbritannien werden die Einzelstaaten mitreden - und zwar nicht zu knapp. Das Problem: Die Staaten haben widersprüchliche Interessen. Eine gemeinsame Linie dürfte schwer zu finden sei, langwierige interne Abstimmungsprozesse drohen. Es ist unklar, ob die EU ausgerechnet in dieser Situation die Kraft aufbringen wird, nationale Egoismen zu überwinden.

Erschwert wird der Prozess durch die Wahlen in wichtigen Ländern: Der Wahlkampf in Frankreich wird ein Anti-EU-WAhlkampf werden, weil sich sowohl Marine Le Pen als auch Francois Fillon gegen die EU positioniert haben. In den Niederlanden muss die Regierung verhindern, Geert Wilders aufkommen zu lassen - das ist schwer genug, weil die Niederländer erst vor wenigen Monaten das EU-Abkommen mit der Ukraine abgelehnt haben. Auch Italien und Österreich sind Wackelkandidaten.

Einzig in Deutschland dürfte es aus wahltaktischer Sicht keine Probleme geben, weil sich auch die AfD monothematisch auf die Flüchtlingsfrage fokussiert und zu Handels-Themen weder über Positionen noch über Expertise verfügt.

Sollte es zu diesem Abkommen nicht kommen, droht der in den Londoner Finanzkreisen immer wieder diskutierte "train-crash Brexit": Wenn sich die EU und Großbritannien nämlich nicht auf einen geordneten Austritt einigen können, folgt der Crash. Dies wiederum hätte gravierende Folgen für die Handelsbeziehungen in Europa. Der kenntnisreiche Kolumnist Gideon Rachman von der Financial Times hält die "train-crash" Variante für sehr wahrscheinlich, sowohl aus prozesstechnischen als auch aus politischen Gründen.

Neben Unterschieden bei der Einwanderungspolitik und dem Binnenmarkt haben die "harte" und "weiche" Austrittsvariante eines gemeinsam: Eine Einigung zwischen Großbritannien auf der einen und den 27 EU-Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite.  Die Fakten sprechen allerdings gegen solch eine Einigung, und zwar sowohl on der "harten" als auch der "weichen" Variante.

Prozesstechnisch besteht das Hauptproblem darin, dass die Verhandlungen zu kompliziert sind um sie in den von Artikel 50 des Lisabonner Vertrags vorgesehenen zwei Jahren abzuschließen. Großbritannien und die EU müssen ein über 40 Jahre hinweg entstandenes hoch komplexes Regelwerk von Recht, Wirtschaft und Handel entflechten. Danach muss die neue Beziehung nicht nur zu Papier gebracht werden, sondern auch von allen 27 EU-Mitgliedstaaten, der EU und Großbritannien ratifiziert werden. Zum Vergleich: die Verhandlungen zum CETA haben etwa zehn Jahre gedauert und sind weit weniger komplex als die völkerrechtlich hochintegrierte EU mit einem gemeinsamen Rechtssystem, dem Binnenmarkt und der Freizügigkeit.

Ein EU-Insider sagte der FT kürzlich, dass diese Aufgabe praktisch unlösbar ist: "Großbritannien hat nicht genügend Beamte für die Aufgabe und die EU nicht den notwendingen Fokus". Laut der FT warnte der britische EU-Botschafter die Minister auf der Insel, dass es ein Jahrzehnt dauern könnte, bis ein neues Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU steht.

In dem halben Jahr seit dem Referendum zeigte sich eine unglaubliche Dissonanz zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien. Die FT spricht von "mutual acrimony", also gegenseitiger Bitterkeit.

Besonders explosiv sind die ausstehenden finanziellen Verbindlichkeiten Großbritanniens an die EU, von ausstehenden EU-Beiträgen bis hin zu Rentenzahlungen an pensionierte EU-Beamten. Laut Schätzungen aus Brüssel belaufen sich diese Verbindlichkeiten auf bis zu 60 Milliarden Euro. Laut FT ist es wahrscheinlich, dass die britische Regierung diese Zahlen als schlechten Witz oder als einen ungeschickten Erpressungsversuch abtun wird.

Aber die EU-Kommission mit ihrem kompetenten Verwaltungsapparat wird handfeste Belege für diese Verbindlichkeiten liefern. Eine pragmatische Lösung für die britische Regierung wäre, die Verbindlichkeiten nach unten zu verhandeln und die Fälligkeitstermine über einen langen Zeitraum hin zu strecken. Aber die konservativen Hardliner und die britischen Medien werden es der britischen Regierung nahezu unmöglich machen, solche Summen zu akzeptieren - vor allem im Angesicht der vielen Versprechungen im Wahlkampf vor dem Referendum. Damals war mehr Geld für das marode Gesundheitssystem oder die veraltete Infrastruktur versprochen worden. So berichtete die FT im August, dass Großbritannien wieder Diesellokomotiven aus den sechziger Jahren einsetzt, um den chronischen Mangel an Zügen vorläufig zu mindern.

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