Finanzen

Merkel bei Erdogan: Besuch im Zeichen der Entfremdung

Angela Merkels Besuch beim türkischen Präsidenten Erdogan war vom gegenseitigen Misstrauen geprägt. Die Entfremdung ist das Ergebnis einer von beiden Seiten zu opportunistisch geführten Außenpolitik.
03.02.2017 00:04
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Bei ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten  Recep Tayyip Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Einhaltung der Meinungsfreiheit in der Türkei gepocht. Sie habe „darauf hingewiesen, dass in diesem tiefgreifenden Umbruch die Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit gewahrt sein“ müssen, sagte Merkel am Donnerstag im Präsidentenpalast in Ankara laut AFP. „Opposition gehört zu einem demokratischen Staat dazu“, betonte sie. Die Bevölkerung habe sich bei dem Putschversuch vom 15. Juli sehr deutlich für die Demokratie eingesetzt. „Gerade deshalb ist jetzt eine entscheidende Frage die Meinungsfreiheit“, sagte Merkel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan. Merkel sagte dem türkischen Präsidenten gleichzeitig eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen jede Form des Terrorismus zu. Dabei verwies die Kanzlerin nicht nur auf islamistische Anschläge, sondern auch auf die PKK. Ankara wirft der Bundesregierung vor, die Türkei im Kampf gegen die PKK sowie bei ihrem Vorgehen gegen mutmaßliche Putschisten der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu wenig zu unterstützen.

Erdogan betonte, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland im „Kampf gegen den Terrorismus“ sei.

Die Zeitung Takvim zitiert Erdogan: „Derzeit führt lediglich die Türkei einen entschiedenen Kampf gegen ISIS. Alle anderen Länder bleiben bei Lippenbekenntnissen. In diesem Zusammenhang ist die PKK und die YPG genau dasselbe wie die Terrororganisation FETÖ (Anm.d.Red. die Gülen-Bewegung). Diese Leute haben in meinem Land einen Putsch durchgeführt und sind nach Deutschland geflüchtet, um dort Unterschlupf zu finden. Sie (Anm.d.Red. Merkel) haben Recht. Die Justizminister beider Länder müssen in Kontakt treten und das klären. Doch die deutsche Regierung muss hier etwas unternehmen. Wir haben den Amerikanern 85 Päckchen an Beweisdokumenten zugesendet. Die warten immer noch auf eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Wir erwarten in dieser Frage zügige Handlungen. Verspätete Gerechtigkeit, ist keine Gerechtigkeit. Wir möchten schnelle Ergebnisse sehen.“

Als Merkel das Wort „islamistischer Terrorgruppe“ benutzte, fiel Erdogan Merkel ins Wort und sagte, dass die Nutzung des Worts „islamistischer Terrorismus“ nicht benutzt werden könne. Es sei falsch hier den Islam und den Terrorismus gleichzusetzen. „Ich hatte das der ehrenwerten Kanzlerin eigentlich bereits zuvor bei unserem Privatgespräch erklärt (…). Ich, als Muslim und muslimischer Präsident, kann dies nicht akzeptieren“, so Erdogan.

Die Kanzlerin reagierte auf Erdogans Kritik mit den Aussagen, dass die Religionsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut sei. Es werde sehr viel dafür getan, dass die Menschen ihre Religion frei ausleben können, so Merkel.

Die türkischen Medien gaben keinen positiven Eindruck vom Treffen zwischen Merkel und Erdogan wieder. Die Zeitung Hürriyet titelt: „So hat Erdogan gegen Merkel protestiert.“

Die Zeitung Takvim titelt: „Erdogan hat Merkel gewarnt: Das Wort ,islamistischer Terrorismus‘ kann nicht genutzt werden.“

Das Analyse-Portal OdaTV titelt: „Er hat live gegen folgende Worte Merkels protestiert.“

Die Milliyet titelt: „Erdogan fällt Merkel ins Wort: Das Wort ,islamistischer Terrorismus‘ ist inakzeptabel.“

Die Oppositions-Zeitung Cumhuriyet titelt: „Er hat sie angepflaumt, sie hat geantwortet.“

T24 titelt: „,Islamistische Terror-Polemik zwischen Erdogan und Merkel.“

Ein Grund für das derzeit angespannte Verhältnis zwischen Ankara und Berlin sind die Asylgesuche von einer Reihe von türkischen NATO-Soldaten, die bei ihrer Rückkehr in die Türkei fürchten, als Putschisten inhaftiert zu werden.

Deutschland würde sich wünschen, dass bei dem Referendum im April über die Einführung des Präsidialsystems OSZE-Beobachter dabei sein können, sagte Merkel weiter. Erdogan versicherte, dass die Gewaltenteilung erhalten bleibe. „Die Exekutive wird mit diesem neuen System viel schneller voranschreiten können“, sagte der Präsident. „Auch die Judikative wird ihre Existenz beibehalten und ihre Funktion voll und ganz erfüllen können.“

Merkel hob ihrerseits hervor, dass in der Flüchtlingsfrage die Türkei „Außergewöhnliches“ geleistet habe für die Integration der 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land. Das im vergangenen März geschlossene EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei sei „in beiderseitigem Interesse“, sagte Merkel. „Wir sind aber noch nicht am Ende der Umsetzung.“ Sie sicherte zu, dass die vereinbarten Hilfen rasch ausgezahlt werden.

Nach dem Gespräch mit Erdogan wollte Merkel zunächst das Parlament besuchen, das bei Luftangriffen während des Putschversuchs schwer beschädigt worden war. Anschließend war ein Treffen mit Ministerpräsident Binali Yildirim geplant mit einer anschließenden Pressekonferenz. Nach einem Abendessen bei Yildirim wollte die Kanzlerin in der deutschen Botschaft mit Vertretern der Oppositionsparteien CHP und HDP zusammenkommen.

Am späten Abend dann sollte Merkel zum EU-Gipfel in Malta weiterfliegen, in dessen Zentrum die Verschärfung der Asylpolitik steht. Die Kanzlerin war vor dem Putschversuch vergangenes Jahr wiederholt zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise in der Türkei, doch war es ihr erster Besuch seit dem Umsturzversuch. Dass seitdem kein hoher deutscher Regierungsvertreter die Türkei besuchte, war in Ankara als Mangel an Solidarität kritisiert worden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Ukraine-Krieg: Gescheiterte Verhandlungen 2022 - Lawrow über Waffenruhe „Wir wollen das nicht mehr“
22.05.2025

Russlands Außenminister Sergej Lawrow erteilt einer langfristigen Waffenruhe eine Absage. Nach Angaben des russischen Außenministers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliardär Arnault warnt: EU treibt Industrie in den Abgrund
22.05.2025

Bernard Arnault, der reichste Mann Europas, schlägt Alarm: Die EU spiele mit dem Feuer, während Zölle explodieren und ganze Branchen...

DWN
Politik
Politik Russisches Schatten-Schiff vor Polens Küste: Polen interveniert - ein verdächtiges Manöver?
22.05.2025

Ein russisches Schiff der „Schattenflotte“ hat verdächtige Manöver in der Nähe des Verbindungskabels zwischen Polen und Schweden...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI statt Ruhestand: Google-Mitgründer Brin kehrt zurück – jetzt wird’s ernst
22.05.2025

Sergey Brin ist zurück – getrieben von der KI-Revolution. Google greift mit neuer Macht an, doch die Fehler der Vergangenheit sitzen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Brüssel bremst Billig-Boom: EU erklärt Temu und Shein den Zoll-Krieg
22.05.2025

Die EU greift zur Zollkeule: Mit einer neuen Pauschalabgabe sollen Temu und Shein ausgebremst werden – doch am Ende zahlen Europas...

DWN
Finanzen
Finanzen Immobilien: Banken vergeben deutlich mehr Kredite für Wohnimmobilien
22.05.2025

Die Immobilienpreise waren zeitweise spürbar gefallen, nun kommt der Markt wieder in Fahrt. Verbraucher und Investoren schließen deutlich...

DWN
Finanzen
Finanzen WHO verabschiedet Pandemie-Abkommen inmitten der Finanzkrise: Deutschland sagt weitere Millionen zu
22.05.2025

Der Weltgesundheitsorganisation fehlen in den kommenden zwei Jahren 1,7 Milliarden Dollar (rund 1,5 Mrd Euro), unter anderem, weil die USA...

DWN
Panorama
Panorama Einwanderungsland Deutschland: Jeder vierte Mensch hat einen Migrationshintergrund
22.05.2025

Rund 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte haben im vergangenen Jahr in Deutschland gelebt. Das sind vier Prozent mehr als im...