Politik

CIA-Spionage bedroht deutsche Wirtschaft in ihrer Substanz

Die Spionage der US-Dienste bedroht die deutsche Wirtschaft in ihrer Substanz. Es geht um tausende Arbeitsplätze und ganze Schlüssel-Industrien. Die Bundesregierung scheint nicht begriffen zu haben, was auf dem Spiel steht.
09.03.2017 02:21
Lesezeit: 3 min

Die Reaktionen der deutschen politischen Öffentlichkeit auf die jüngsten Wikileaks-Enthüllungen zur CIA-Spionage in Deutschland waren von einem auffälligen Desinteresse gekennzeichnet. Die Bundesregierung ließ einen Sprecher sagen, dass man noch nicht wisse, ob die Dokumente überhaupt echt seien. Stellungnahmen von Politikern gab es kaum, einzig die Linkspartei forderte die Ausweisung von Personen, die sich als Diplomaten eingeschlichen haben, tatsächlich aber Cyber-Soldaten im Einsatz sind. Die FAZ sorgt sich, dass die Daten aus den Händen der CIA in die Hände von Unbefugten gelangen könnten, so, als seien die illegal erworbenen Daten bei der CIA in sicheren Händen. Die Welt begrüßt die Spionage ausdrücklich und schreibt, die Überwachung sei im Interesse Deutschlands „um frühzeitig über einen möglichen russischen Angriff gegen ein weiteres Land in Osteuropa informiert zu sein“. Malware in Computern sei „nur das, was früher das Richtmikrofon war, die Telefonüberwachung oder die Wanze im Hotelzimmer“.

Es ist erstaunlich, dass in der wichtigsten Volkswirtschaft Europas eine derartige Naivität darüber herrscht, was Geheimdienste machen und worum es eigentlich geht. Natürlich spielt der Terror eine Rolle, wenngleich man sich schon fragen muss, warum bei all den Überwachungsmaschinen ein angeblich gezielt überwachter Tunesier unter Drogen einen Lkw in einen Weihnachtsmarkt steuern kann.

Vielleicht liegt das daran, dass die Dienste mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind. Jeder deutsche Unternehmer weiß nämlich genau, worum es geht: Es geht um knallharte Wirtschaftsspionage und operative Vorgänge gegen deutsche Unternehmen, um US-Unternehmen Vorteile zu verschaffen. Das Ziel solcher geheimdienstlicher Operationen ist es, deutsche Unternehmen entweder aus dem Markt zu drängen oder aber als Übernahmekandidaten ausforschen und gegebenenfalls sturmreif zu schießen. Ein hochrangiger CDU-Mann aus einem Wirtschaftsverband sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Die Nachricht von der CIA-Spionage hat uns schockiert. Es ist eine Frage, die immer wieder auftaucht. Wir sehen heute schon, dass die mittelständischen Unternehmen in verstärktem Maß von Cyber-Attacken betroffen sind. Zugleich hat die Botschaft, dass wir ausspioniert werden, eine verheerende Wirkung auf unsere Innovationswilligkeit. Wir haben heute schon ein gewaltiges Misstrauen gegenüber der Cloud. Unsere Nachzügler-Position bei der Digitalisierung wird durch neue Ängste weiter zementiert.“

Während die Bundesregierung mit fast schon bedauernswerter Hingabe sich mit der Frage beschäftigt, wie man die Kommentare auf Facebook vielleicht per Gesetz regulieren könnte, sieht sie das wirkliche Problem nicht: Nicht die „User“ müssen kontrolliert werden, sondern jene geballte Wirtschaftsmacht, die sich in einer Koalition aus Geheimdiensten und Technologie-Giganten dran macht, die deutsche Wirtschaft massiv zu schädigen. Für Deutschland ist es völlig unerheblich, wer wie wen im Internet beleidigt und ob Facebook das verhindert. Für Deutschland ist es entscheidend, dass die gesammelten Daten aus Unternehmen nicht über die Geheimdienste in die Hände der Mitbewerber gelangen. In der Praxis kann das nämlich so vielfältig geschehen, dass jedes Unternehmen individuell in die Knie gezwungen werden kann. Die gefürchtete Massenüberwachung ist nicht das Problem.

Die Gefahr kommt aus dem massenhaften Sammeln von Daten und deren Zurverfügungstellung zu einem gezielten Einsatz gegen ein Unternehmen: Das kann Patentrechte, Arbeitsabläufe, Schlüsselpositionen, Zulieferer, Absatzmärkte, Kundenbeziehungen, politische Netzwerke, Preisgestaltung, Kalkulation, Logistik, Bilanzen, Finanzierung, Kredite und so weiter betreffen. Wenn die CIA in der Lage ist, jedes Handy und jeden PC zu knacken und dann die Daten in Kombination mit den vielen Google-Dienste, Skype, Facebook, Microsoft oder den aus den Intranets eines Unternehmen aggregierten Daten zu verknüpfen, dann liegt das Innenleben und die Geschichte eines einzelnen deutschen Unternehmens wie ein offenes Buch in real-time vor seinen Mitbewerber aus den USA oder den Five-Eye-Staaten. Das kann zum Beispiel im Hinblick auf die Brexit-Verhandlungen entscheidend werden, weil die CIA und der MI6 eng kooperieren.

Gerade wegen der umfassenden Digitalisierung entscheidet die Kenntnis der Daten und ihrer Zusammenhänge über Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmensübernahme oder eine Strategie. Das sind meist auch die sogenannten „weichen“ Faktoren. Wenn die CIA etwa erfährt, dass ein Top-Ingenieur in seinem Privatleben Probleme hat und bei seinem deutschen Arbeitgeber eine Summe X verdient, aber mit Y alle seine Probleme lösen könnte – der US-Konkurrent kann den Mann oder die Frau abwerben. Wenn solch eine Aktion systematisch betrieben wird, kann ein Unternehmen schnell in eine existentielle Gefahr geraten. Die Vielfalt der Spionage kann dazu führen, dass tausende Arbeitsplätze in Deutschland zerstört werden – und niemand weiß, warum ein Unternehmen in den Niedergang geraten ist.

Genau deshalb ist die Bundesregierung zwingend verpflichtet, der CIA-Spionage einen Riegel vorzuschieben – und zwar sofort. Im digitalen Zeitalter ändern sich Prozesse sehr schnell, können Attacken quasi über Nacht ausgeführt werden. Wenn deutsche Unternehmen ausspioniert werden und dies auch über Dritte geschehen kann, wie Wikileaks gezeigt hat, dann ist ein spekulativer Angriff gegen ein Unternehmen an der Börse eine sichere Wette. Noch im Jahr 2014 vertrat die Bundesregierung in einer Anfrage-Beantwortung die Position, dass die Unternehmen in erster Linie selbst für ihre Sicherheit verantwortlich seien. Diese Haltung ist im Lichte der neuen CIA-Enthüllungen verantwortungslos: Unternehmen haben keine Chance, sich gegen die Machenschaften von Geheimdiensten zu schützen – sie müssen sich nämlich, im Unterschied zu den Diensten, an Recht und Gesetz halten.

Wikileaks will in den kommenden Wochen weitere Dokumente veröffentlichen. Die Bundesregierung muss sich aus ihrem Phlegma erheben und handeln – nicht mit einem parlamentarischen Debatten-Gremium über die moralische Qualität des Schnüffelns unter Freunden. Es braucht eine Task Force aus Wirtschafts-, Sicherheits- und IT-Experten, um die deutsche Wirtschaft umgehend gegen die Spionage abzuschirmen. Politisch könnte das vielleicht gerade in der Trump-Ära leichter durchzusetzen sein als unter Obama, der die Spionage der CIA in Deutschland im übrigen zu verantworten hat.

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