Politik

Anschlag St. Petersburg: Stabilität Russlands auf dem Prüfstand

Der US-Informationsdienst Stratfor liefert eine pointierte Analyse der möglichen Hintergründe für den Anschlag von St. Petersburg. Die US-Sicht auf die Ereignisse ist in diesem Zusammenhang besonders interessant.
05.04.2017 02:44
Lesezeit: 3 min

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Der private US-Informationsdienst Strafor sieht verschiedene Szenarien hinter dem Anschlag von St. Petersburg. Alle sind gefährlich für die Stabilität Russlands.

Stratfor schreibt: 

Für Russland sind Terrorangriffe nichts Neues. Aber in den vergangenen vier Jahren ist es in dem Land doch weitgehend ruhig geblieben. Anders als in Europa und den USA, wo es viele Terrorangriffe gegeben hat, ist Russland weitgehend verschont geblieben.

Die russischen Ermittler haben relativ schnell erklärt, dass es sich bei dem Vorfall um eine Terrorattacke gehandelt habe. Die Medien im Land haben verschiedene Möglichkeiten angeboten, um das Geschehen zu erklären.

Korrespondenten des russischen TV-Kanal Eins haben die Idee aufgebracht, es könnten ukrainische Spezialtruppen gewesen sein, die hinter dem Angriff stehen – unter Umständen als Vergeltung für die Einmischung Moskaus in der Ost-Ukraine. Diese weitreichende Theorie hat kaum Substanz, um glaubhaft zu sein. Verschwörungstheoretiker haben vor allen auf den sozialen Medien behauptet, dass der Kreml selbst die Explosion initiiert haben soll, um innenpolitisch Unterdrückung ausüben zu können. Diese Theorie entbehrt jeder Grundlage.

Andere Medien haben andere Erklärungen vorgelegt. Ein Beobachter sagte im Staatsfernsehen beispielsweise, dass die Explosionen das Werk von Protestierenden gewesen sein könnten. An den vergangenen zwei Wochenenden haben große Demonstrationen gegen die Korruption in der Regierung in verschiedenen Städten Russland stattgefunden. Tausende russische Lastwagenfahrer haben den Verkehr im ganzen Land blockiert, auch in St. Petersburg, um gegen eine Steuererhöhung zu protestieren. Es kam dabei zu mehreren Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Als Antwort auf die Unruhen hat der Kreml zahlreiche Verhaftungen durchführen lassen und dafür gesorgt, dass die Demonstranten ihre Botschaften nicht auf den sozialen Medien verbreiten können. Wenn der Angriff wirklich die Tat von unzufriedenen Russen gewesen sein soll, die ihre ihren Unmut im Terror ausdrücken, dann müsste sich der Kreml mit einem Problem beschäftigen, mit dem er sich ein Jahrhundert lang nicht beschäftigen musste. Die Verwandlung von gewaltlosen Demonstrationen in Terrorismus würde der Regierung allerdings die Rechtfertigung geben, um noch schärfere Gesetze zu erlassen. Mit diesen könnten Dissidenten kontrolliert und die sozialen Medien überwacht werden, speziell vor der Präsidentschaftswahl in Jahr 2018.

Der russische Medienriese Interfax berichtete, dass ein Mann aus Asien den Angriff durchgeführt haben soll. Diese Theorie ist glaubwürdig. Die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien haben in den vergangenen Jahren mit der Radikalisierung unter ihren Jugendlichen zu kämpfen gehabt, was auch auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist. Wenn der Bericht zutrifft, dann wird der Vorfall ernsthafte Konsequenzen für die rund 200.000 Migranten aus Zentralasien haben, die legal in Russland leben und arbeiten. Noch stärkere Folgen könnte das Ereignis für die geschätzten 200.000 illegalen Migranten aus dem Raum haben. Sollten sich die Ermittlungen bestätigen, dass der Anschlag von jemandem aus Zentralasien verübt wurde, dann könnte Moskau die Einwanderung aus Zentralasien beschränken. Dadurch würde sich die wirtschaftliche Lage in den Regionen weiter verschlechtern, was wiederum zu einer verstärkten Radikalisierung führen würde.

Jede dieser Theorien stellt eine neue Form des Terrorismus dar, mit der sich Russland bisher nicht beschäftigen musste. Bisher waren es meist Terroristen aus dem Nordkaukasus, die in Russland für solche Taten verantwortlich gemacht wurden. Die letzten größeren Angriffe, die Terroristen aus dieser Region durchgeführt haben, erfolgten im Jahr 2013 in Wolgograd, nur wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele in Sotschi. (Video am Anfang des Artikels)

Nun wächst die Sorge, dass nach Jahren relativer Ruhe die sich verschlechternde Situation der russischen Wirtschaft dazu führen könnte, dass es zu neuen Gewalttaten aus dem Kaukasus kommt. Die Republiken von Tschetschenien und Dagestan, traditionell Brutstätten für Aufstände und militante Aktivisten, haben die höchsten Arbeitslosenraten in dem Land. Dieser Faktor könnte die Radikalisierung unter der lokalen Jugend verstärken. Moskau ist auf jeden Fall darauf vorbereitet, den Kampf gegen die Militanten im Nordkaukasus fortzuführen. Ein erneuerte Bedrohung aus dem Kaukasus würde den Kreml darin bestärken, die Sicherheit und Verteidigung zu verstärken – Maßnahmen, die von vielen Russen unterstützt werden.

Am meisten Sorge muss sich Moskau jedoch machen, wenn die Täter Untergrund-Dschihadisten gewesen sind. Führungslose Einzeltäter sind ein völlig neuer und für den Kreml ungewohnter Feind. Zwar hat die russische Regierung das meiste Propaganda-Material verboten, welches auf Social Media zu finden ist. Aber ganz unterbinden kann sie es nicht. Vor allem ist sie nicht darauf vorbereitet und kann keinesfalls akzeptieren, dass auch nur einige der geschätzten 5.000 russischen Bürger – meist aus dem Kaukasus – die das Land verlassen haben, um in Syrien gegen den islamischen Staat zu kämpfen, zurückkehren und den Krieg im eigenen Land fortsetzen. So groß die Erfahrung der russischen Behörden ist, gegen einheimische Netzwerke zu kämpfen, so ist der Kreml doch überfordert, wenn es um aus dem Ausland einsickernde Bedrohungen geht.

Sollten die Ermittler herausfinden, dass die Attacken von St. Petersburg eine Vergeltung für die russischen Anstrengungen gegen den islamischen Staat in Syrien waren, dann muss der Kreml unter Umständen seine Strategie in Syrien überdenken. Moskaus Engagement in Syrien hat zu einer starken patriotischen Bewegung geführt. Die Russen haben ihre Regierung unterstützt, weil diese sich als Verteidiger gegen Extremisten-Gruppen präsentiert hat. Im vergangenen Jahr hat der Enthusiasmus über den Kriegseinsatz in Syrien allerdings stark nachgelassen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Russen den Einsatz unterstützt, noch vor kurzem waren es allerdings 65 Prozent gewesen. Viele Russen glauben, dass der Kreml sich besser auf die Probleme zu Hause konzentrieren sollte, insbesondere angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Einige der Proteste bei den jüngsten Demonstrationen haben diese Sorge direkt zum Ausdruck gebracht. Die Attacken von Montag in St. Petersburg könnten jenen Auftrieb verleihen, die einen Rückzug Russlands aus Syrien fordern.

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