Die Bundesregierung verschärft nach der Verhaftung eines deutschen Menschenrechts-Aktivisten in dem Konflikt mit der Türkei die Gangart. Das Auswärtige Amt bestellte am Mittwoch den türkischen Botschafter ein und forderte die unverzügliche Freilassung von Peter Steudtner, berichtet Reuters. Als Indiz für die neue Qualität der diplomatischen Krise unterbrach Außenminister Sigmar Gabriel seinen Urlaub, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Die Opposition verlangte die Einstellung von Wirtschafts- und Finanzhilfen für den Nato-Partner. Nach einem Medienbericht hat die türkische Regierung die Vorwürfe angeblicher Terrorunterstützung auch auf deutsche Unternehmen ausgeweitet.
"Dem türkischen Botschafter wurde klipp und klar gesagt, dass die Verhaftung von Peter Steudtner und anderen Menschenrechtsaktivisten nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel, und schon gar nicht vermittelbar ist", erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die gegen Steudtner erhobenen Terrorismus-Vorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen. Der Deutsche war am 5. Juli zusammen mit der Chefin von Amnesty International in der Türkei sowie weiteren Menschenrechtlern bei einer Schulung festgenommen worden. Am Dienstag wurde gegen Steudtner und weiteren fünf Mitgliedern der Gruppe Untersuchungshaft wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhängt.
Anders als bei vorangegangenen Krisen erhöht die Bundesregierung nun den Druck. "Der türkische Botschafter weiß nun, dass es uns ernst ist und diese Angelegenheiten nicht auf die lange Bank geschoben werden können", sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Das türkische Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen wertete er als "dramatische Verschärfung".
Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit scharfe Stellungnahmen vermieden. So lehnte sie zuletzt Forderungen ab, nach der Absage eines Besuches von Bundestagsabgeordneten auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Konya den Abzug der dort stationierten Bundeswehrsoldaten einzuleiten. Auch im Fall der auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten deutschen Soldaten hatte die Bundesregierung sich erst nach monatelangem diplomatischen Tauziehen für einen Abzug entschieden.
Die türkische Regierung wirft ihrerseits der Bundesregierung vor, Anhängern des Predigers Fetullah Gülen Asyl zu gewähren. Der im US-Exil lebende Gülen ist aus Sicht von Präsident Recep Tayyip Erdogan der Drahtzieher des vor einem Jahr gescheiterten Militärputsches. Gülen bestreitet das. Die türkischen Sicherheitsbehörden haben mittlerweile rund 200.000 Menschen festgenommen oder aus dem Staatsdienst entlassen, weil sie angeblich zu den Unterstützern Gülens zählen.
Die Behörden machen auch keinen Halt vor ausländischen Bürgern. Zu den nach dem Putschversuch Inhaftierten zählen nach Angaben des Auswärtigen Amtes neun Deutsche, davon vier Doppelstaatler, die auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Der bekannteste Fall ist der seit Monaten in Haft sitzende "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der im Gegensatz zu den übrigen drei Doppelstaatlern von deutschen Diplomaten besucht werden durfte.
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, erklärte, Erdogan führe die Türkei in eine Willkürherrschaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel warf er vor, keine Strategie für den Umgang mit Präsident Erdogan zu haben.